«Eine Flut von Gesuchen», «markant mehr» oder «aussergewöhnlich hoch» – viele solche Antworten hat der «Beobachter» bekommen, als er in den letzten Wochen eine Umfrage bei den Schlichtungsstellen durchführte. Die Stellen sind zuständig für Streitigkeiten aus Miet- und Pachtwesen – und sie sind schweizweit am Anschlag.
Im Schnitt 46 Prozent mehr Verfahren gab es in der zweiten Jahreshälfte 2023 im Vergleich zur ersten. Das zeigt eine neue Erhebung des Bundes. Grund dafür ist der Referenzzinssatz, der nach jahrelangem Sinkflug 2023 gleich zweimal angestiegen ist.
Der Zinssatz bildet die Hypothekarkosten der Eigentümer ab und gilt als Grundlage für alle Mietzinse. Eine Erhöhung kann deshalb an die Mieterschaft weitergegeben werden. Für die Schlichtungsstellen heisst das: so viele Mietzinsanfechtungen wie noch kaum zuvor.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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In Luzern gab es im zweiten Halbjahr 2023 sogar mehr als dreimal so viele Fälle wie im ersten. Barbara Pfister Piller, Präsidentin der kantonalen Schlichtungsstelle, erklärt im Interview, was das heisst:
Dreimal mehr Verfahren: Das ist enorm. Haben die Vermieter übertrieben?
Barbara Pfister Piller: Das kann ich nicht verallgemeinern. Es ist sehr unterschiedlich, je nach Begründung. Es gibt in der Regel drei Gründe für Mietzinserhöhungen. Darf ich ausführen?
Gern.
Genannt werden normalerweise Anpassungen an den Referenzzinssatz, Teuerung und Kostensteigerung. Wir stellen fest, dass vor allem bei der Kostensteigerung, dem komplexesten Punkt, in vielen Fällen die Vermieter Berechnungsfehler machen oder nicht ganz nach unserer Praxis erhöht wird.
Um welche Beträge geht es da?
Das ist sehr verschieden. Wir haben teilweise auch Fälle, wo es um wenige Franken Unterschied geht. Das will ich aber nicht verharmlosen: Es gibt viele Mieterinnen und Mieter, die wirklich froh sind um jeden Franken, den sie nicht zahlen müssen.
Spüren Sie, dass die steigenden Mieten den Leuten Sorgen machen?
Ja, das stellen wir definitiv fest, das hat zugenommen. Miete ist immer auch etwas Persönliches. Und gerade bei all diesen Anfechtungen jetzt, da geht es ums Geld. Das geht sehr nahe, und die Emotionen gehen hoch.
Wie lange muss ich heute in Luzern warten, wenn ich einen Mietzins anfechte?
Aktuell etwa vier bis sechs Monate bis zur Verhandlung. Wir sind bestrebt, die Verfahren zu straffen, und haben mehr Personal eingestellt, damit wir die Parteien schneller vorladen können. Aber es ist ein Fakt: Aufgrund der vielen Anfechtungen geht es momentan deutlich länger. In normalen Zeiten sind es eher zwei Monate.
Funktioniert das System der Schlichtungsstellen noch?
Ja, die Schlichtungsstellen halte ich für ein Erfolgsmodell. Von den Fällen im zweiten Halbjahr 2023 wurden über 90 Prozent auf Stufe der Schlichtung statt vor Gericht gelöst. Das ist eine massive Entlastung für die Gerichte. Aber der Referenzzinssatz, da muss die Politik vielleicht schon über Alternativen nachdenken.
Warum?
Nach den Erfahrungen des letzten halben Jahres, mit diesen massiven Fallzahlen, stellt sich schon die Frage, ob das der richtige Weg ist. Der Referenzzinssatz führt zwangsläufig zu sprunghaften Veränderungen und so zu Anfechtungswellen wie aktuell. Das ist nicht optimal und bringt lange Wartezeiten für die Verhandlungen.
Sehen Sie bei den aktuellen Wartezeiten ein Missbrauchspotenzial? Also dass Verfahren absichtlich gestartet werden, um zum Beispiel Kündigungen zu verzögern?
Ich habe generell nicht den Eindruck, dass bewusst Verfahren eingereicht werden, um dann einen Vorteil daraus zu ziehen. Wenn wir feststellen, dass Verzögerungstaktiken im Raum sind, wenn etwa mehrmals verschoben wird, dann setzen wir dem Grenzen und laden die Leute einfach vor. Und Kündigungsanfechtungen haben natürlich eine ganz andere Priorität, die ziehen wir sowieso vor, da sehe ich keine Gefahr.
Was können Mieter und Vermieterinnen tun, um die Schlichtungsstellen zu entlasten?
Also zum Ersten ganz sicher: Geduld haben. Es ist einfach Fakt, wir haben sehr viele Fälle im Moment – und das heisst, es dauert. Auch bis Sie zum Beispiel eine Bestätigung erhalten, dass Ihr Gesuch eingegangen ist.
Und zum Zweiten?
Zweitens haben wir oft Fälle, in denen sich Parteien wenige Tage vor der Schlichtungsverhandlung einigen. Das ist grundsätzlich gut, aber für uns leider keine Entlastung. Der Fall ist dann bereits analysiert, die Verhandlung vorbereitet und die Zeit zu kurz, um eine neue für diesen Zeitpunkt anzusetzen. So ist die Schlichtungskommission blockiert. Da wären wir dankbar, wenn sich die Parteien schon zu Beginn des Verfahrens zusammensetzen und reden, drei, vier Monate vor der Verhandlung.