Putin dreht den Gashahn zu, die EU leitet ein Ölembargo ein. Es wird eng – besonders für die Schweiz. «Wir sind total abhängig von Öl- und Gasimporten», sagte Bundesrat Guy Parmelin (68) am Montag.
Zwei Tage später verfügte die Landesregierung den Aufbau einer Kriseninterventionsorganisation im Gasbereich. Denn die Uhr tickt: Die Eidgenossen verbrauchen fast 50 Prozent der verfügbaren Energie zum Heizen – zwei Drittel davon in Form von Öl und Gas.
Energiewende verschlafen
«Wir hätten es anders haben können», sagt Josef Jenni (68), Chef der Energietechnik AG in Oberburg BE. Sein Unternehmen baut seit 20 Jahren Häuser, die ganzjährig mit erneuerbarer Energie heizen: Sonnenkollektoren auf den Dächern erwärmen dafür Wasserspeicher im Erdgeschoss. Mehr als 25'000 Solartanks aus Jennis Fabrik stehen bereits in Europa.
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine überborden die Anfragen. Jenni muss sie alle ablehnen. «Wir klappen fast zusammen», sagt der Emmentaler Energiepionier, der täglich mit in der Werkstatt steht. Auf die Schnelle lasse sich kein zusätzliches Personal finden.«Unsere Firma ist enorm unter Druck», sagt Jenni. Denn: «Der Markt ist völlig ausgetrocknet. Andere Firmen werben unsere Mitarbeiter von der Baustelle weg ab.»
Das werde zum zentralen Problem der Energiewende, so Jenni. «Es bräuchte Zehntausende versierter Handwerker. Tatsächlich werden es jeden Tag weniger.» Und das bei einer massiv steigenden Nachfrage nach grüner Energie. Anbieter von Solaranlagen und Wärmepumpen sind heute schon am Anschlag. Jenni: «Die Branche ist überfordert.»
Keine guten Aussichten
Was die Schweiz zum nächsten Problem führt. Die Energieperspektiven 2050+ rechnen mit einem zusätzlichen Strombedarf von zehn Terawattstunden (TWh) im Winterhalbjahr, der nicht durch Erneuerbare gedeckt werden kann. Das entspricht einem Sechstel des gesamten derzeitigen Stromverbrauchs der Schweiz.
Diese Lücke muss mit Strom- oder Gasimporten gefüllt werden. Angesichts des Energiekriegs, der gerade in Europa tobt, sind das keine guten Aussichten. Der Bundesrat arbeitet denn auch an einem beispiellosen Rettungsschirm für die Stromkonzerne. Am Mittwoch hat er ein neues Monitoringsystem zur Früherkennung drohender Strommangellagen ins Leben gerufen. Josef Jenni überrascht das nicht: «Natürlich läuft die Schweiz in ein Problem hinein. Im Winter werden wir zum Strom-Armenhaus.»
Es gibt allerdings eine Alternative, mit der die Winterlücke auf einen Schlag fast halbiert werden könnte: saisonale Wärmespeicher, die im Sommer Energie in Form von Wärme aufnehmen und diese im Winter wieder abgeben.
Saisonale Wärmespeicher
Solche Speicher können den zusätzlichen Winterstrombedarf von zehn TWh auf sechs TWh senken, wie Gianfranco Guidati (53) vom Energy Science Center der ETH Zürich und Jörg Worlitschek (51) betonen, Leiter des Kompetenzzentrums Thermische Energiespeicher der Hochschule Luzern. Sie stützen sich auf Berechnungen im Rahmen des Forums Energiespeicher Schweiz, einer Initiative des Wirtschaftsdachverbands AEE Suisse. Am nächsten Mittwoch stellen die Forscher ihre Arbeit an einem öffentlichen runden Tisch vor.
Die Wissenschaftler verweisen auf drei zentrale Speicherformen, mit denen sich massiv Winterstrom sparen lässt. «Wir können Wärmepumpen auch im Sommer betreiben und die Wärme bis im Winter speichern», sagt Professor Worlitschek. «Sodann produzieren Kehrichtverbrennungsanlagen im Sommer viel überschüssige Wärme, die wir ebenfalls speichern können. Und schliesslich lässt sich mit Erdsonden nicht nur Wärme entziehen. Wir können sie im Sommer mittels Gebäudekühlung, Umgebungswärme und Sonnenkollektoren auch in den Boden zurückschicken und in der kalten Jahreszeit nutzen.»
Musterschüler Skandinavien
Für Guidati und Worlitschek ist klar: «Saisonale Wärmespeicher können wesentlich zur Unabhängigkeit von Öl und Gas beitragen.» Bloss: Bis jetzt gibt es in der Schweiz nur eine Handvoll Einzelprojekte, etwa den Erdspeicher des Suurstoffi-Areals in Rotkreuz LU oder den geplanten Geothermiespeicher in Bern. In den Energieperspektiven des Bundes ist die saisonale Wärmespeicherung bislang nicht zu finden.
Dabei zeigt ein Blick Richtung Norden, was möglich ist: Dänemark und Norwegen setzen seit Jahren auf grosse thermische Speicher, um von fossilen Energien loszukommen. In Deutschland ist bereits von einer «Wärmewende» die Rede.
«Die Technologien sind da», sagt Gianfranco Guidati von der ETH. «Deshalb lassen sie sich auch rasch aktivieren.» Was wiederum wirtschaftlich sinnvoll sei: «Mit einer Energiestrategie, die mit Wärmespeicherung operiert, sparen wir jedes Jahr mehrere Hundert Millionen Franken.»
Priska Wismer-Felder (51, Mitte), Mitglied der nationalrätlichen Umweltkommission, macht deshalb Druck: «Saisonale Wärmespeicher können ein wichtiger Baustein sein, um unseren Wärmebedarf im Winter zu decken und die Abhängigkeit von Gasimporten zu reduzieren.» Und sie seien imstande, den Strombedarf im Winter und damit die Gefahr einer Strommangellage erheblich zu senken. Wismer-Felder: «Die Verwaltung und die Regierung sind gefordert, das konkrete Potenzial von Wärmespeichern zu erheben und als Basis für politische Entscheide verfügbar zu machen.»
Auch Othmar Reichmuth (58, Mitte), Mitglied der Umweltkommission des Ständerats, fordert nun konkrete Schritte: «Es ist zu ermitteln, wo und wie in der Schweiz saisonale Wärmespeicher tatsächlich realisiert und betrieben werden können.» Der Präsident des Fernwärmeverbands Schweiz ist überzeugt: «In der Energiezukunft spielen thermische Speicher eine zentrale Rolle.»