Claire Sottas-Blattmann (70) steht auf dem Balkon im 12. Stock eines Hochhauses und atmet tief durch. «Die Hitzewelle ist endlich vorbei», sagt die Rentnerin aus Genf. «Es war anstrengend. Sogar erschreckend.»
Doch ihre Sorgen werden schnell von anderen verdrängt. Die Inflation macht Sottas-Blattmann zu schaffen. «Ich spüre die Auswirkungen seit etwa sechs Monaten», sagt sie. «Ich kaufe auf Märkten ein, vor allem lokale Produkte.» Grosse Supermärkte meide sie. «Plötzlich sind die Preise für bestimmtes Gemüse um acht Franken pro Kilo gestiegen! Das hab ich noch nie erlebt.»
Diese verschiedenen kleinen Preiserhöhungen strapazieren das Budget der Genferin. Wenn sie alle Fixkosten bezahlt hat, bleibt von ihren 4200 Franken monatlich nicht mehr viel übrig. «Zum Glück habe ich eine tiefe Miete, die nach meinem Einkommen berechnet wird», fügt sie hinzu. «Es ist gut, was die Stadt tut.»
«Keine andere Wahl»
Trotzdem muss die Frau, die ihr ganzes Leben lang im Verkauf gearbeitet hat, ständig darauf achten, wofür sie ihr Geld ausgibt. «Restaurant-Besuche sind gestrichen, neue Schuhe auch», sagt Sottas-Blattmann. Für sie, nach langen Jahren der Arbeit, sei das schwer zu akzeptieren.
Sie meidet Restaurants, da sie sich diesen Luxus nicht mehr leisten kann. Aber auch Wichtiges wie neue Schuhe kauft sie sich nicht, «obwohl ich sie brauche, da ich Diabetikerin bin und meine Füsse sehr empfindlich sind.» Die Rentnerin macht eine Pause und sagt: «Aber ich habe keine Wahl.»
200 Franken weniger im Monat
Für Claire Sottas-Blattmann ist es schwierig, die Auswirkungen der Preiserhöhungen auf ihr Portemonnaie genau zu beziffern. Sie rechnet vor: «Wenn man alles berücksichtigt, habe ich wohl 200 Franken weniger im Monat zur Verfügung.»
Jammern will sie aber nicht, sondern betont: «Stellen Sie mich nicht als etwas hin, was ich nicht bin! Ich gehöre nicht zu den Bedauernswerten. Ich habe eine kleine Wohnung im Wallis geerbt und könnte dort einziehen, wenn das Leben in Genf eines Tages wirklich zu teuer wird.» Sie denke immer häufiger darüber nach.
Was ist mit der AHV?
Die 70-Jährige greift nach einem Schwarz-Weiss-Foto ihres Vaters, das auf dem Bücherregal in ihrem Wohnzimmer steht. Sie betrachtet es liebevoll. «Ich habe noch nie so eine Krise gesehen. Ich frage mich, was Papa dazu sagen würde. Er war ein gewählter Christdemokrat. Wahrscheinlich würde es ihn verrückt machen, zu sehen, dass die Behörden sich nicht beeilen, obwohl man sofort reagieren müsste, um den Menschen zu helfen, die es nötig haben.»
Sottas-Blattmann macht sich besonders Sorgen um ältere Menschen, die schon unter normalen Umständen Schwierigkeiten haben, über die Runden zu kommen. «Seit der Inflation denkt niemand mehr an diejenigen, die nur von der AHV leben! Können Sie sich vorstellen, wie das sein muss?»
Für die Rentnerin ist klar: «Wir werden auf die Strasse gehen und Demonstrationen organisieren müssen. Ich bin bereit!» Wichtig sei, dass Jüngere und Ältere nun zusammenhalten. «Nur so können wir uns Gehör verschaffen.»