Verzeiht man auf dem Land leichter? Oder ist an der Peripherie schlicht nicht massgebend, was in der St. Galler Zentrale passiert?
Über ein Jahr nach dem Start der Affäre Pierin Vincenz (62) bei Raiffeisen sind vier der Verwaltungsräte, die das Desaster hätten verhindern müssen, noch immer in Amt und Würden. Nicht in der Zentrale – dort wurde die Teppichetage seither ausgeräumt, alle mit Vincenz-Touch sind weg. Aber in den Banken auf dem Land.
Vom Tessin bis nach Genf
Das sind die vier: Angelo Jelmini (64) ist noch heute Verwaltungsratspräsident in Lugano TI, Philippe Moeschinger (58) und Werner Zollinger (61) sind Präsidenten der Banken d'Arve et Lac in Genf und am rechten Zürichseeufer, Daniel Lüscher (58) leitet die Bank Aarau-Lenzburg. Zollinger und Jelmini waren im Juni 2018 bei Raiffeisen Schweiz zurückgetreten, Moeschinger und Lüscher im November.
Wir erinnern uns: Zuvor hatte die Finanzmarktaufsicht (Finma) den Verwaltungsrat scharf kritisiert. Und auch Raiffeisen-Chefuntersucher Bruno Gehrig (71) stellte der gesamten Aufsicht ein vernichtendes Zeugnis aus. Von «schwerwiegenden Mängeln bei Corporate Governance» war die Rede.
Verantwortung zeigen
Der langjährige CEO soll sich bei millionenschweren Übernahmen durch die Bank und ihren Töchtern selbst bereichert haben. Aktuell arbeitet die Zürcher Staatsanwaltschaft an einer Anklage gegen ihn. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Und diese Männer, die sich jahrelang von Vincenz an der Nase herumführen liessen, sollen an der Spitze einer Bank stehen können?
«Rechtlich ist das voraussichtlich kein Problem», sagt Reto Steiner (48), Wirtschaftsprofessor mit Schwerpunkt gute Geschäftsführung an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW), zu BLICK. «Allerdings haben diese Personen durch ihre mangelhafte Aufsicht bei Raiffeisen Schweiz auch ihren lokalen Genossenschaften einen grossen Imageschaden beigefügt.» Das heisse zwar nicht, dass sie für den Rest ihres Berufslebens keine Mandate mehr übernehmen dürften. «Aber es wäre angezeigt, dass sie Verantwortung übernehmen und von ihren Ämtern bei den Lokalbanken zurücktreten.»
Zeichen des Vertrauens?
Die Angeschossenen sehen es anders. Der Tessiner Jelmini verweist gegenüber BLICK darauf, dass es durch die Raiffeisen-Statuten vorgegeben sei, dass die 246 Banken im Land angemessen im Verwaltungsrat vertreten seien. Dass er letzten Frühling trotz der Vincenz-Affäre als Präsident in der Lugano-Bank bestätigt wurde, sei ein Zeichen des Vertrauens durch die Genossenschafter. Er werde an der anstehenden Generalversammlung der Raiffeisen Lugano die bereits geplante Erneuerung aber des Präsidiums offen diskutieren.
Der Zürcher Zollinger darf keine Auskunft geben, weil die Staatsanwaltschaft ihn in der Vincenz-Affäre mit einer Auskunftssperre belegt hat. Es läuft jedoch kein Verfahren gegen ihn, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage betont.
Der Romand Moeschinger will keine Auskunft geben und verweist an die Zentrale in St. Gallen. Diese wiederum gibt an, dass die Verantwortung jeweils bei den einzelnen Banken liege.
Rücktritt angekündigt
Und dann ist da noch der Aargauer Daniel Lüscher, als Bankleiter der Einzige vom Fach. «Den anderen drei möchte ich keinen Strick drehen, die kommen aus anderen Bereichen», sagt Hans Geiger (75), emeritierter Bankenprofessor. Tatsächlich: Jelmini ist Jurist, Moeschinger kommt aus der Immobilienbranche, Zollinger aus der IT-Beratung.
Geiger urteilt: «Bei Lüscher hätte man erwarten können, dass er seine Aufgabe im Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz besser erledigt.» Lüscher tritt im Sommer als Bankleiter zurück, betont aber, dass das nichts mit der Affäre bei Raiffeisen Schweiz zu tun habe.