Programmieren bei Sirenenalarm
Schweizer Start-up baut in der Ukraine neue Jobs auf

Die ukrainische Wirtschaft liegt kriegsbedingt am Boden. Jobangebote sind da gern gesehen. Ein Schweizer Start-up baut jetzt IT-Stellen in der Ukraine auf. Ein Risiko – aber auch eine Chance im Kampf gegen den Fachkräftemangel.
Publiziert: 23.05.2022 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 24.05.2022 um 11:19 Uhr
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Das Schweizer Start-up Noii unter Gründerin Laura Matter hat jüngst fünf Programmierer in der Ukraine angestellt.
Foto: Zvg
Sarah Frattaroli

Während Millionen Menschen die Ukraine auf der Flucht vor dem Krieg verlassen, geht das Schweizer Start-up Noii aus dem Zürcher Weinland in die andere Richtung: Es baut neue Jobs in der Ukraine auf. Und das mitten im Krieg! Fünf Programmierer in der Ukraine arbeiten seit wenigen Wochen für Noii, bald sollen weitere dazukommen.

Noii ist eine Onlinedatingplattform, vermittelt Videodates zwischen Singles – und befindet sich auf Wachstumskurs. Das Start-up hat gerade seine erste Finanzierungsrunde abgeschlossen. Dank Investoren kann das Techunternehmen unter Gründerin Laura Matter (22) erstmals Programmierer beschäftigen, um die App zu entwickeln. Bisher gibt es die Datingplattform nämlich erst im Browser.

Vladislav Lisavcov (38) ist technischer Direktor bei Noii, lebt in der Schweiz – und stammt aus der Ukraine. Von ihm kam auch die Idee, auf ukrainische Programmierer zu setzen. «Dort gibt es Topfachkräfte», schwärmt er gegenüber Blick.

Programmieren bei Sirenenalarm

Die ukrainischen Noii-Programmierer sind alle Anfang 30, sie dürfen das Land nicht verlassen. Immerhin sind sie bisher nicht in die Armee eingezogen worden, dann wäre es nämlich vorbei mit Quellcodes schreiben und App designen. «Es gibt momentan mehr Freiwillige als Waffen, deshalb hoffe ich nicht, dass sie in den Dienst müssen», sagt Lisavcov.

Dennoch ist der Krieg ständiger Begleiter bei der Arbeit. Einer der Noii-Entwickler lebt in Odessa. Die Stadt am Schwarzen Meer steht im Fokus Russlands, wird immer wieder Ziel von Luftangriffen. «Einmal hat eine Rakete in der Nähe seines Elternhauses eingeschlagen», erzählt Lisavcov. «Da habe ich gemerkt: Er wird nervös.» Schon am nächsten Tag habe der Programmierer aber wieder normal gearbeitet.

Ein anderer der Noii-Programmierer, Vasyl Yavorskyi (32), schreibt Blick, dass er in seiner Wohnung immer wieder in Deckung geht, wenn draussen die Sirenen losheulen. Er hält sich dabei immer fern von den Aussenwänden, geht in einen Raum, der möglichst weit im Inneren des Gebäudes liegt: So ist er durch mehrere Mauern vor Explosionen und zersplitternden Glasfenstern geschützt.

Dass der Bombenalarm mitten in einem Videocall losging, ist bisher allerdings nicht vorgekommen. «Aber unsere Entwickler arbeiten auch weitgehend selbständig, wir sind nicht so viel am Telefon», sagt dazu Technikchef Vladislav Lisavcov.

Lohndumping im Krieg?

Noii sieht die Anstellung ukrainischer Programmierer auch als Akt der Solidarität, schliesslich hätten viele wegen des Kriegs ihren Job verloren. Einer der ukrainischen Entwickler, Oleksii Yurchenko (36), mailt Blick, der neue Job gebe ihm die Möglichkeit, trotz Krieg im Land zu bleiben. «Wir wollen den Europäern nicht auf der Tasche liegen.»

Noch wichtiger als Solidarität dürfte allerdings sein, wie ausgetrocknet der Markt für IT-Fachkräfte ist. In der Schweiz ist Personal Mangelware. Und teuer. Für ein kleines Start-up wird ein Schweizer IT-Lohn schnell einmal unbezahlbar. Da sieht es in der Ukraine schon besser aus.

Man nutze den Krieg allerdings nicht aus, um die Löhne der ukrainischen Programmierer zu drücken, versichert Lisavcov: «Sie haben alle den Lohn gekriegt, den sie gefordert haben. Und ein Entwickler in der Ukraine verdient bis zu zehn Mal mehr als der Landesdurchschnitt!»

Neben Noii werden wohl bald weitere Unternehmen aus ganz Europa auf den Zug aufspringen. Angesichts der nun verfügbaren ukrainischen IT-Entwickler reiben sie sich die Hände.

Allerdings birgt das auch Risiken: Dass Russland weitere Gebiete unter seine Kontrolle bringt, sich die Kämpfe wieder gegen Westen ausdehnen, mehr Männer in den Armeedienst einberufen werden. Dann steht die IT-Arbeit für den ausländischen Arbeitgeber plötzlich hintan. Noii hofft, dass es nicht so weit kommt. «Die Erfolge Russlands waren bisher überschaubar», meint der Ukrainer Lisavcov gelassen.

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