Chinesische Onlinehändler überschwemmen den europäischen Markt gerade mit Billigware – Kleidung, Elektronik und Alltagsgüter zu Tiefstpreisen. Allen voran hat der Neuankömmling Temu auch hierzulande einen rasanten Aufstieg hingelegt. Und nun greift China auch im Hochpreissegment an. Konkret geht es um eine der letzten Domänen Europas, bei der Tradition, Lifestyle und Prestige eine grosse Rolle spielen: den Weinhandel.
Der Weinkonzern Changyu Pioneer Wine Company drängt nach Europa – und nimmt sich gleich das Bordeaux-Gebiet vor, das französische Herz der gelebten Weinkultur. «Wir wollen auf der Höhe von Lafite Rothschild sein», sagt Changyu-CEO Zhou Hongjiang dem «Spiegel». Als Massstab nimmt er also das Château der Familiendynastie Rothschild, dem Nonplusultra der Bordeaux-Weine.
Changyu produziert 100 Millionen Weinflaschen pro Jahr
Hierzulande ist Changyu noch unbekannt. Aber die Marktanalysten des Londoner Markenbewerters Brand Finance stufen den ältesten Weinbetrieb Chinas als zweitwertvollsten Hersteller von Wein oder Champagner ein – direkt hinter der traditionsreichen Weltmarke Moët & Chandon. Changyu stellt jedes Jahr 100 Millionen Flaschen her. Der Grossteil davon ist billiger Tafelwein, der hauptsächlich für den Heimmarkt bestimmt ist.
Um Europa zu erobern, fährt das börsennotierte Unternehmen mit einem Wert von rund 1,6 Milliarden Franken jedoch eine Premiumstrategie mit hochpreisigen Bordeaux-Imitaten. Der Cabernet Sauvignon «Purple Air Comes from the East» kostet 200 Franken – und überzeugt selbst die Experten des alten Kontinents. Die britische Weinkritikerin Jancis Robinson versah den edlen Tropfen mit Spitzennoten.
Renaissance-Schloss am Rande der Wüste
Für seine ehrgeizigen Pläne hat Changyu ein zweites Bordeaux an den Südrand der Wüste Gobi gepflanzt. Für 70 Millionen Euro hat der Konzern ein den französischen Renaissanceschlössern nachempfundenes Château in der Provinz Ningxia aufgebaut. Dort stehen 1500 importierte Barriquefässer und Hightech-Keltermaschinen.
Den Wissenstransport aus Europa nach China stellt Lenz Maria Moser sicher. Der Önologe aus Niederösterreich, dessen Familie seit Jahrhunderten Wein in der Wachau keltert, kreiert die Spitzenweine für Changyu. «Wir verfolgen den unmöglichen Traum», so Moser gegenüber dem «Spiegel».
Auf die Premiumstrategie setzt Changyu aufgrund der Billigkonkurrenz. Die chinesische Weinindustrie erlebt nämlich gerade eine verkehrte Welt: Sie kann wegen höheren Standortkosten nicht mit den Tiefpreis-Weinen beispielsweise aus Chile oder Spanien mithalten. Um dem Preiskampf auf Dumping-Niveau zu entkommen, weicht der Spirituosen-Riese aus China also auf das Hochpreissegment aus.
Chinesen besitzen Hunderte von Bordeaux-Weingütern
Vor einigen Jahren begannen chinesische Millionäre, im grossen Stile Weinschlösser im Bordelais zu kaufen. Die fallenden Preise aufgrund der Corona-Pandemie begünstigten diesen Trend. 2020 waren rund 2020 Bordeaux-Weingüter im Besitz von Investoren aus Festland-China, Hongkong oder Taiwan. Jetzt erfolgt die nächste Stufe: Das bessere Bordeaux liegt neuerdings in China – zumindest wenn es nach Changyu-CEO Zhou geht. Sein Anspruch: Die Kopie soll besser werden als das Original.