«So eine extreme Teuerung habe ich noch nie erlebt»
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Preiswahnsinn beim Bauen:«Solche Schwankungen habe ich noch nie erlebt»

Preisanstieg überrascht selbst Profis
Kommts zum Baustopp wegen Materialmangel?

Da staunen selbst die Bauprofis: Die Preise für Baumaterialien wie Holz, Stahl oder Kunststoff gehen gerade durch die Decke. Das macht Bauen so richtig teuer. Einige finden die Entwicklung gar nicht mehr lustig.
Publiziert: 12.07.2021 um 08:56 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2021 um 10:19 Uhr
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In Dietikon baut Leuthard Bau eine Filiale für den österreichischen Möbelgiganten XXXLutz.
Foto: Claudio Meier
Christian Kolbe

Nach dem Mittag fahren die grossen Fahrmischer vor, bringen eine Ladung Beton nach der anderen auf die Baustelle im Industriegebiet von Dietikon ZH. Hier entsteht eine neue Filiale des österreichischen Möbelgiganten XXXLutz.

Beton ist zwar einer der wenigen Baustoffe, der gerade nicht einer exorbitanten Preissteigerung unterliegt. Dafür fast alles andere, was es dazu braucht, um den Liftschacht in der dritten Etage des künftigen Möbelhauses weiterzubauen.

Vor allem bei den Schalungstafeln aus Holz und dem Bewehrungsstahl, landläufig unter dem Begriff Armierungseisen bekannt, sind die Preise durch die Decke geschossen. «Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft, aber so eine extreme Teuerung in so kurzer Zeit – das habe ich noch nie erlebt», sagt Daniel Huwiler (57), Geschäftsführer von Leuthard Bau aus Merenschwand AG.

China und USA hamstern Stahl

Leuthard ist mit rund 300 Angestellten einer der Mittelgrossen der Branche, baut in Dietikon für den Arealentwickler Hiag den neuen XXXLutz-Standort. Was aber selbst Profis wie Huwiler überrascht, ist die simultane Preisexplosion: «Es ist ungewöhnlich, dass die Preise für unterschiedliche Baumaterialien wie Stahl, Kunststoff oder Holz gleichzeitig so stark steigen.»

Konkret heisst das: Seit Anfang Jahr hat der Preis für Bewehrungsstahl um 39 Prozent zugelegt. Stahl ist global Mangelware. In China und den USA erholt sich die Wirtschaft nach Corona, und so steigt der Bedarf nach Stahl – auf dem Bau, aber auch in der Autoindustrie. Viele Stahlwerke wurden während der Pandemie heruntergefahren, laufen noch nicht wieder auf Hochtouren, können den Stahlhunger noch nicht stillen.

Ähnliches gilt für Produkte aus Kunststoff, deren Basis Rohöl ist: Die Organisation erdölexportierender Staaten Opec hat die Produktion gedrosselt. Die Folge: Der Ölpreis steigt und steigt. Kanalrohre aus Kunststoff haben sich seit Jahresbeginn um 39 Prozent verteuert, Dämmplatten sind um ein Drittel teurer geworden, die Lieferfrist beträgt rund elf Wochen.

Probleme mit der Marge

Im Erdgeschoss des Rohbaus stappeln sich rosa Dämmplatten. Denn in Dietikon wird bereits seit Mitte November 2020 gebaut, das heisst, die Baufirma Leuthard hat die benötigten Materialien noch im letzten Jahr bestellt, zu günstigen Preisen und guten Lieferbedingungen. Ansonsten kann so ein Industriebau allein wegen der gestiegenen Stahlpreise schnell einmal 100'000 Franken mehr kosten.

Klingt nicht nach viel, ist aber bei den knappen Margen in der Branche nicht unerheblich: «Viele Baufirmen können die Preissteigerungen nicht an die Bauherren weitergeben. Das drückt stark auf die Marge», sagt Huwiler, der als Präsident des Baumeisterverbandes Zürich/Schaffhausen die Sorgen und Nöte auf dem Bau bestens kennt.

Wertvolles Wiederverwerten

Die Vibrationsmaschine beim Liftschacht macht einen nervtötenden Lärm. Dank der Vibrationen setzt sich der Beton richtig. Plötzlich wird der Lärm durch ein lautes Hämmern und Krachen übertönt. Der Betonboden der dritten Etage hat sich so weit verfestigt, dass die Schalungselemente nun wieder entfernt werden können.

Diese werden für die Wiederverwendung sorgfältig gestapelt. Schalungstafeln sind überall gefragt, die Lieferzeit beträgt neun Wochen. Die USA und China kaufen den europäischen Markt leer, das treibt die Preise weiter nach oben: Schalungstafeln haben sich um ein Viertel verteuert, der Preis für Schalungsträger aus Holz sich gar verdoppelt.

Ein Architekt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt zu Blick: «Es im Moment nicht lustig zu bauen.» Eine verlässliche Planung ist bei den Preissteigerungen und den Wartefristen fast nicht möglich. Immerhin: Zu Verzögerungen kommt es bei Leuthard im Moment noch nicht, versichert Huwiler. «Wir können die meisten Rohbauten termingerecht erstellen, es kostet im Moment aber sehr viel mehr.»

Weitere Verschärfung droht

Eine Entspannung an der Preisfront ist nicht in Sicht, einzelne Immobilienentwickler beginnen damit, kleine Projekte zu verschieben. Denn auch in der Schweiz wird gebaut ohne Ende. «Die Baufirmen haben alle Hände voll zu tun, die Auftragsbücher sind gut gefüllt», erklärt Huwiler. «Die tiefen Zinsen heizen die Baukonjunktur weiter an.»

Viele ziehen es vor, nicht öffentlich über die grossen Probleme am Bau zu sprechen. Bauriese Implenia ist eine der wenigen Ausnahmen, rechnet ebenfalls mit weiteren Preisaufschlägen und verlängerten Lieferfristen. «Aus unserer Sicht könnte sich die Situation kurzfristig durchaus weiter verschärfen», heisst es auf Anfrage.

Trotzdem: Noch ist der Aufschub grosser Bauprojekte keine Option, das Warten auf sinkende Preise lohnt sich in den allermeisten Fällen nicht. Denn auch in Zeiten von tiefen oder gar negativen Zinsen würden die Kapitalkosten zu Buche schlagen. Das gibt Huwiler zu bedenken, ehe er ins Auto steigt und zur nächsten Baustelle fährt.


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