Die Abnehmspritze Wegovy und Artverwandte entpuppen sich immer mehr als medizinische Wunderwaffen. Die Abnehmspritze des Pharmakonzerns Novo Nordisk, die seit drei Jahren von Kopenhagen aus die Welt erobert, lässt nicht nur die Pfunde purzeln. Sie führt auch dazu, dass Übergewichtige weniger häufiger unter schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Auch bei Survodutid, dem möglichen Wegovy-Konkurrenten des deutschen Pharmakonzerns Boehringer Ingelheim, geht es längst nicht mehr nur ums Abnehmen. Der Wirkstoff soll auch gegen die Fettleber wirken, eine entzündliche Erkrankung der Leber und eine häufige Begleiterkrankung von Fettleibigkeit.
Weniger Herzinfarkte bedeuten weniger Stents
Ein Medikament, das nicht nur gegen Übergewicht wirkt, sondern auch gegen die Erkrankungen, die damit einhergehen – für Patientinnen und Patienten sind das Good News. Anders sieht es für die Pharma- und Medtechfirmen aus, die mit ebendiesen Krankheiten ihr Geld verdienen. Beispiel Herzkreislauf: Wenn Wegovy dazu führt, dass es zu weniger Herzinfarkten kommt, braucht es weniger Stents. Ein zweites Beispiel ist der Insulinmarkt, wo die Abnehmmedikamente à la Wegovy bereits heute tiefe Spuren hinterlassen und die Aktienkurse der Hersteller von Insulinverabreichungsgeräten zum Absturz brachten.
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Mit anderen Worten: Die GLP-1-Rezeptor-Antagonisten – so die wissenschaftliche Bezeichnung der neuen Wirkstoffklasse – bringen nicht nur Gewinner hervor wie den dänischen First Mover, der mit seinen Pieks zum Abnehmen inzwischen den französischen Luxusgiganten LVMH als wertvollstes Unternehmen Europas vom Thron gestossen hat, sondern auch Verlierer.
«Die Abnehmspritzen sind der neue, disruptive Faktor der Pharmaindustrie», sagt Florian Leschinsky. Er ist Partner und Managing Director beim Unternehmensberater Kearney. Er hat sich die Geschäftsrisiken angeschaut, welche der Hype um Wegovy und Co. für andere Pharmafirmen mit sich bringt. Sein Fazit: Bei einigen Pharma- und Medtechunternehmen stehen bis 2033 gut ein Fünftel der Umsätze auf dem Spiel.
Wegovy wird immer mehr zur magischen Kugel
Übergewicht und Fettleibigkeit und die damit verbundenen Begleiterkrankungen gehören zu den grössten Gesundheitsproblemen unserer Zeit. In den USA liegen die damit verbundenen Gesundheitskosten in der Höhe von astronomischen 300 Milliarden Dollar, und mit den GLP-1-Wirkstoffen scheint es erstmals so etwas wie eine magische Kugel zu geben, um Übergewicht und die damit verbundenen Krankheiten zu bekämpfen.
Der Wegovy-Wirkstoff Semaglutide führt nicht nur zu einer Gewichtsreduktion von 15 Prozent innerhalb eines Jahres, er reduziert auch signifikant das Risiko, einen grösseren Herzkreislaufvorfall zu erleiden oder an der Niere zu erkranken. Mehr noch, es gibt sogar erste zaghafte Hinweise darauf, dass das Medikament aufgrund seiner entzündungshemmenden Wirkung bei der Bekämpfung von Alzheimer oder Parkinson eine Rolle spielen könnte, zweier Krankheiten, die bis heute erst ansatzweise beziehungsweise kaum behandelt werden können. Vor allem in den USA gehen deshalb die Verschreibungen der GLP-1-Medikamente durch die Decke. Inzwischen nutzt bereits jeder hundertste Amerikaner Wegovy oder ein Konkurrenzprodukt. Bis 2030 dürften 9 Prozent der amerikanischen Bevölkerung mit Medikamenten zum Abnehmen behandelt werden.
Aktien der Hersteller von Atemgeräten tauchen
Entsprechend aggressiv reagierten die Märkte bei den Unternehmen, die ihr Geschäft zumindest teilweise mit den Folgen von Übergewicht machen. So verloren etwa die beiden amerikanischen Unternehmen Inspire und Redmed 40 Prozent ihres Marktwertes. Die Medtechunternehmen stellen Geräte her, die Patienten und Patientinnen mit Apnoe bei der Atmung unterstützen. Apnoe, also Aussetzer der Atmung, insbesondere während des Schlafs, ist eine häufige Begleiterscheinung von starkem Übergewicht.
Mit mehrschichtigen Effekten ist auf dem Insulinmarkt zu rechnen. Zum einen führen GLP-1-Analoga wie Ozempic und Wegovy zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels bei Diabetikerinnen und Diabetikern. Dafür wurden sie ja zuerst eingesetzt. Die Zulassung zur Behandlung von Übergewicht kam erst, nachdem sich gezeigt hatte, dass die Medikamente dazu führten, dass die Patienten und Patientinnen stark an Gewicht verloren. Insulin ist zwar längst generisch, ist aber eben wegen der vielen Diabetiker und Diabetikerinnen noch immer ein Milliardenmarkt. Bei Kearney rechnet man damit, dass das Geschäft mit Insulinmedikamenten bis 2033 allein in Deutschland um rund 650 Millionen Euro schrumpfen wird. Hinzu kommen die Einbussen, welche auf die Hersteller von Insulinpumpen zukommen dürften.
Novartis ist zuversichtlich
Auch beim Geschäft mit kardiovaskulären Erkrankungen wird es Verschiebungen geben. Bei Wegovy ist der positive Effekt aufs kardiovaskuläre System bereits erwiesen. Das Medikament reduziert das Risiko, einen tödlichen Herzinfarkt zu erleiden, um 28 Prozent. Das wird nicht nur dazu führen, dass weniger Stents eingesetzt werden; es werden auch weniger Medikamente gebraucht, die für die Akutbehandlung von Herzinfarkten eingesetzt werden. Und es wird womöglich auch Folgen für das ganze Therapiegebiet haben, ein Geschäft, das zu den Schwerpunkten von Novartis gehört.
Das Herzmedikament Entresto gehört zu den wichtigsten Umsatzpfeilern der Basler und der Rollout von Leqvio läuft. Leqvio ist ein neuartiger Cholesterinsenker auf der Basis der RNA-Technologie. Derzeit wird getestet, ob das Medikament auch das Risiko von kardiovaskulären Erkrankungen reduziert. Novartis schreibt dazu auf Anfrage: «Wir begrüssen diese zusätzliche Option für Patienten und Patientinnen mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse». LDL-C – also das sogenannt schlechte Cholesterin – sei jedoch nach wie vor zentral bei kardiovaskulären Erkrankungen. «Deshalb glauben wir an das langfristige Potenzial von Leqvio.» Zudem sei die Wirkung von Leqvio unabhängig von anderen Risikofaktoren wie Fettleibigkeit.
Leqvio kommt aus der 9,7 Milliarden Dollar teuren Übernahme des amerikanischen Biotechunternehmens The Medicines Company. Es zählt zu den grossen Umsatzhoffnungen von Konzernchef Vas Narasimhan.