Pflegebedürftiger 95-Jähriger
Basler Rentner von Spitex-Hilfe um 360'000 Franken betrogen

Eine Haushälterin im Auftrag der Spitex erhält Zugang zum Konto eines Klienten. Und bedient sich mutmasslich mit insgesamt 360’000 Franken.
Publiziert: 15.02.2025 um 13:15 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2025 um 14:35 Uhr
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Ab Februar 2022 übergab der Rentner seiner Haushaltshilfe seine Postkarte – mitsamt PIN-Nummer. Die Frau soll darauf 360'000 Franken abgehoben haben, um ihr Luxusleben zu finanzieren.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Daniel Faulhaber
Beobachter

Ralf Brand war ein Mann der Wissenschaft. Sein Berufsleben verbrachte er als Chemiker in einem Basler Pharmabetrieb in der Forschung. Dass ausgerechnet er, der Analytiker, Opfer eines mutmasslichen Betrugs wurde, das tat weh. «Die Scham hat meinem Vater zugesetzt», erzählt seine Tochter Mona Brand. «Der Vertrauensverlust war ein Schock.» Zum Schutz der Familie sind die Namen in diesem Artikel geändert. Auch die mutmassliche Täterin heisst anders.

Geschenke und Geschichten

Ralf Brand musste sich im September 2020 von seiner langjährigen Ehefrau verabschieden. Da war er 95. Ihr Tod hinterliess ein «emotionales Loch», sagt seine Tochter Mona. Sie selbst habe damals viel arbeiten müssen und konnte die Lücke nicht füllen. Ihre Schwester – Ralf Brands zweite Tochter – lebt weit weg in Kalifornien.

Doch die Haushälterin Karuna Perera von der Spitex war zur Stelle. Ihr Auftrag: kochen, putzen, haushalten. Nach dem Ableben der Ehefrau begann sie aus eigenem Antrieb, Ralf Brand Geschenke zu machen. Sie brachte zum Beispiel Konfitüre mit, einmal eine Marienstatue oder auch Weihnachtsschmuck. Und sie erzählte Geschichten, die Brands Mitleid erregten.

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Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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In einer dieser Geschichten ging es um eine verstorbene Schwester in Sri Lanka. Diese habe angeblich fünf Waisenkinder hinterlassen, um die Perera sich kümmern müsse. Leider habe sie fast kein Geld, weil sie deswegen nicht so viel arbeiten könne. Ihr Bauch schmerze ausserdem sehr, erzählte sie, wahrscheinlich sei ein medizinischer Eingriff nicht zu vermeiden. Das koste ebenfalls Geld.

Zuerst waren es kleine Beträge

Es begann mit kleineren Beträgen, die Brand beim Einkaufen abhob und Perera mitgab. Für die Waisen. Für die Gesundheit. Brand gab Perera erst 2000, dann 5000 Franken pro Monat, jeweils gestückelt in kleinere Beträge, damit sie ihre Familie in Sri Lanka unterstützen konnte. Erst wechselte laut Brands Familie Bargeld die Hand. Ab Februar 2022 übergab Brand seiner Haushaltshilfe Perera seine Postkarte – mitsamt der PIN-Nummer.

Kontoauszüge, die dem Beobachter vorliegen, zeigen ab diesem Zeitpunkt Abbuchungen in Beautyshops und Coiffeursalons sowie Einkäufe in Modehäusern. Die meisten davon in Basel und Umgebung. «Das waren Transaktionen, die mein Vater nie gebilligt hätte», sagt seine Tochter, «er dachte, das Geld sei für den Unterhalt der Waisen bestimmt.»

Stattdessen wurde die Postkarte unter anderem auch für Reiseausgaben verwendet: Einmal wurden mehrere Hundert Franken an einem Bankomaten in Kanada abgehoben.

Das Instagram-Luxusleben

Nach mehr als drei Jahren hatte sich der Betrag – Direktauszahlungen und Transaktionen der Kreditkarte zusammengerechnet – laut den Berechnungen der Familie auf 360’000 Franken summiert. Bankdaten, die dem Beobachter vorliegen, stützen die Rechnung.

Während Ralf Brand offenbar davon ausging, bei seiner Haushälterin durch seine grosszügigen Spenden das persönliche Leid zu lindern, stellte sich die Realität ganz anders dar. Das legen Screenshots und Videoaufnahmen nahe, die Ralf Brands Enkelin gesichert hat.

Auf der Motorhaube eines Mercedes

Die Bilder stammen vom Instagram-Account von einem der Söhne Pereras und spiegeln ein Leben ohne materielle Not. Man sieht zum Beispiel, wie Perera, eingehüllt in ein festliches Gewand, auf der Motorhaube eines Mercedes-SUV durch eine Basler Quartierstrasse gleitet.

Auf anderen Bildern sind die Söhne Pereras zu sehen. Sie tragen Luxusuhren am Handgelenk oder fischen, wie eines der Fotos zeigt, 200-Franken-Scheine aus einer Badewanne. Auf einem anderen Foto liegt ein grosser Geldbetrag im Ausgabeschlitz eines Bankomats.

Ralf Brand, der sein Leben in Bescheidenheit verbrachte, der laut seinen Töchtern erst dann neue Kleider kaufte, wenn die alten so abgenutzt waren, dass es nicht anders ging – dieser Brand verlor am Ende seines Lebens viel Geld. Weil er jemandem vertraute, der dieses Vertrauen zum eigenen Vorteil missbraucht haben soll.

Denn Perera, das zeigt eine spätere Einvernahme durch die Polizei, hat keine verwaisten Nichten in Sri Lanka, um die sie sich kümmern muss. Sie hat laut eigenen Aussagen eine Blessur am Fuss, nicht aber am Bauch. Die Geschichten waren – so der Verdacht – Vorwände, um Brand um sein Geld zu erleichtern.

Vertrauen als Masche

Die mutmassliche Abzocke ist kein Einzelfall. Eine Studie von Pro Senectute zeigte 2024, dass es oft nicht unbekannte Fremde sind, die älteren Menschen das Geld aus der Tasche ziehen. Sondern dass «finanzielle Übergriffe im privaten Kontext» die mit Abstand grössten Löcher in die Kassen von älteren Betrugsopfern reissen. Das bedeutet: Die Täterinnen und Täter kommen häufig aus dem sozialen Umfeld: Familie, Freunde, Pflegepersonen.

«In diesen Fällen gibt es zwischen Opfer und Betrügern oft eine Vertrauensbasis», sagt Peter Burri von Pro Senectute. Man kennt sich gut, ist körperlich auf Hilfe angewiesen, ja davon abhängig – das macht es für Angehörige wie die Töchter von Ralf Brand so schwierig, überhaupt mitzubekommen, was eigentlich passiert.

«Ich kümmere mich ja um ihn»

Manchmal deuten die Betrüger ihre Taten sogar selbst um und sehen sich moralisch befugt, regelmässig Geldbeträge von älteren Menschen abzuzweigen, sagt Burri. «Sie sagen sich, der arme Mann hat ja sonst niemanden ausser mich, ich kümmere mich ja um ihn. Oder: Was soll er oder sie denn sonst mit dem Geld machen?»

Die Geschichte Pereras beginnt schliesslich zu bröckeln. Erst war es Brand selbst, der bei der Spitex anrief, um die Pflegeinstitution über eine monatliche Zahlung an seine Haushälterin zu informieren. Eine persönliche Spende, die ihm am Herzen liege, teilte Brand der Spitex mit.

Und entlarvte damit ein Tabu. Denn laut Oliver Schwarz, dem Geschäftsleiter der zuständigen Spitex-Abteilung Allschwil Binningen Schönenbuch, ist das Annehmen von Geschenken, die einen bescheidenen symbolischen Wert überschreiten, für Spitex-Mitarbeitende strikt untersagt. «Jede Mitarbeiterin unterzeichnet eine entsprechende Vorschrift im Personalreglement mit dem Arbeitsvertrag, so auch Perera», sagt Schwarz.

Ein Bankangestellter schöpft Verdacht

Am Morgen nach Brands Anruf im Herbst 2023 lädt die Spitex-Geschäftsleitung Karuna Perera laut Geschäftsführer Schwarz zu einem klärenden Gespräch vor – und entlässt sie fristlos.

Doch Perera bleibt offenbar auch danach mit Brand in Kontakt. Im Frühling 2024 wird ein Bankmitarbeiter misstrauisch, als Brand anruft, weil er die Bezugslimite seiner Bankkarte erhöhen will. Neben Brand ist eine Frau am Telefon, die der Bankmitarbeiter nicht kennt. Es ist Perera.

Ein Testament wird annulliert

Verdächtig, denkt der Bankmitarbeiter und informiert die Töchter. Diese gehen der Sache nach – und so fliegt alles auf: die Bankkarte, die Überweisungen. Auch ein Testament kommt zum Vorschein, auf dem der gutgläubige Brand seine Lebensversicherung auf den Namen Pereras überschrieben hatte.

Dieses Testament wird annulliert. Die Töchter erwirken beim Zivilkreisgericht Baselland ein Kontaktverbot – und erstatten Anzeige wegen Betrugs gegen Perera.

Hausdurchsuchung bei der Pflegerin

Der Beobachter hat Karuna Perera mit den Vorwürfen konfrontiert. Eine Antwort blieb aus. Aus Einvernahmeprotokollen der Polizei Baselland lässt sich ihr Standpunkt aber teilweise nachvollziehen. So sagte sie gegenüber der Behörde, sie habe nichts Unrechtes getan. Sie habe Geld von Brand erhalten für die Unterstützung ihrer Familie, das schon. Im Gegenzug habe sie für ihn Medikamente und andere Dinge gekauft und bei ihm geputzt.

Es seien niemals 360’000 Franken gewesen. Höchstens ein paar Tausend. Sie sagt, Brand habe ihr das Geld freiwillig gegeben. Dass sie vorgetäuscht habe, für Waisenkinder im Ausland zu sorgen, streitet sie ab.

Warten auf den Prozess

Im Oktober 2024 kommt es bei Perera zu einer Hausdurchsuchung. Die Familie Brand wartet seither auf die Eröffnung des Gerichtsverfahrens. Die Familie will das Geld zurück. Und sie will andere Menschen vor ähnlichen Erfahrungen bewahren.

Hätte die Geschichte früher auffallen müssen? Mona Brand sagt, die Beziehung zu ihrem Vater sei stets von Respekt geprägt gewesen. «Ich wollte seine finanzielle Autonomie nicht in Frage stellen.»

Das Sechs-Augen-Prinzip

Pro Senectute empfiehlt, in finanzielle Angelegenheiten vulnerabler Angehöriger immer mehrere Personen einzubinden: das Sechs-Augen-Prinzip. «Man kann etwa bei der Bank veranlassen, dass die Bankauszüge des Kontos einer älteren Verwandten stets an mehrere Angehörige geschickt werden», sagt Burri.

Finanzdelikte im sozialen Nahfeld sind generell schwer zu beweisen. Ob es sich um freiwillige Schenkungen handelt oder um Betrug, lässt sich im Nachhinein häufig nicht trennscharf unterscheiden.

Ralf Brand wird den Prozess gegen Perera, sollte es dazu kommen, nicht mehr erleben und nicht gegen sie aussagen können. Er ist im Dezember 2024 im Altersheim verstorben.

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