Auf einen Blick
«Leider haben unerwartete Engpässe im medizinischen Fachpersonal unsere Erreichbarkeit beeinträchtigt.» So antwortete der Telemedizin-Anbieter Medi24 im November auf eine Anfrage des Beobachters.
Anlass waren die Erfahrungen eines Krankenkassenkunden, der sechseinhalb Stunden hatte warten müssen, bis er am Telefon eine medizinische Beratung erhalten hatte. Ähnliche Probleme machte Radio SRF kürzlich beim Medi24-Konkurrenten Medgate publik.
Seit Jahren ein Problem
«Unerwartete Engpässe? Dass ich nicht lache!», sagt eine Person, die die Arbeitsbedingungen bei Medi24 aus eigener Erfahrung kennt. Sie will anonym bleiben, wie auch drei andere ehemalige und aktuelle Mitarbeitende, mit denen der Beobachter sprechen konnte. Schon seit Jahren würden sogenannte Telemedicals fehlen, also medizinische Fachpersonen, die bei Medi24 Patientinnen und Patienten beraten: «Der Betrieb funktioniert nur auf Sparflamme», sagt eine Quelle.
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Tatsächlich laufen Medi24 die medizinischen Beraterinnen und Berater scharenweise davon. Im Verlauf des letzten Jahres hätten «unzählige» Telemedicals gekündigt, sagen mehrere Insider unabhängig voneinander. Die Folge seien nicht bloss lange Wartezeiten für Patientinnen und Patienten, sondern auch Frust und Burn-outs bei den verbleibenden Angestellten.
«Stress pur»
Das bestätigt auch ein Blick auf die Job-Bewertungsplattform Kununu: «3 Teamleitungen […], etliche Mitarbeiter (langjährige) künden unter anderem, weil das Klima von Druck geprägt ist. Die Absenzenrate ist immens hoch», schrieb dort eine ehemalige Angestellte im letzten August. Mit «Stress pur» kommentiert ein anderer ehemaliger Angestellter die Verhältnisse beim Telemedizin-Anbieter.
Für Stress sorgt nicht zuletzt ein Balken auf dem Bildschirm der Beraterinnen und Berater. Dieser ist zuerst grün, wechselt dann auf Orange und ist nach acht Minuten tiefrot. Damit signalisiert er, dass das Beratungsgespräch zu lange dauert. «Acht Minuten für Anamnese, Rückfragen und Beratung, das ist schlicht zu kurz», sagt eine Quelle.
Immerhin: Die intern von vielen «Stressbalken» genannte Anzeige verschwand noch während der Recherche des Beobachters von den Bildschirmen.
Wer den Rückruf verpasst, muss von vorne anfangen
Das Problem der langen Wartezeiten ist damit jedoch nicht gelöst. Weil die Telemedicals permanent überlastet seien, werde für viele Beratungsgespräche ein Rückruftermin vereinbart, schildern verschiedene ehemalige und aktuelle Mitarbeitende. Oftmals werde es jedoch Abend oder gar Nacht, bis jemand Zeit finde, Patienten zu kontaktieren.
Mittlerweile seien Rückrufe bis Mitternacht gestattet. Und Ratsuchende, die nicht beim ersten Anruf antworteten, müssten von vorne anfangen, müssten also erneut von sich aus einen Anruf tätigen und gerieten erneut in die Warteschlange.
Stellungnahme von PR-Firma aus Dublin
Im Auftrag von Medi24 nimmt eine PR-Firma aus Dublin Stellung zu den Vorwürfen. «Ein Patient erhält beim ersten Anrufen sofort medizinischen Rat», schreibt der PR-Berater – mit einem entscheidenden Nebensatz: «Wenn medizinisches Personal vorhanden ist.» Es würden jeweils zwei Versuche unternommen, die Patienten zu erreichen.
Eine Person, die sich mit den Verhältnissen bei Medi24 auskennt, widerspricht: Das sei bloss im «Normalmodus» der Fall. «Und in diesem arbeiten wir schon seit Monaten nicht mehr.» Üblich sei ein Anruf und eine SMS, wenn der Kunde nicht antworte.
Nachtdienste sind besonders prekär
Ein weiteres Problem seien die Nachtdienste, berichten Quellen übereinstimmend. Nachts bestehe die Belegschaft nur noch aus einem Callcenter-Angestellten, einem bis zwei Telemedicals und einer Ärztin – für Anfragen aus der ganzen Schweiz und auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Englisch.
Medi24 lässt dazu ausrichten, es stünden «jederzeit mehrsprachige medizinische Fachkräfte zur Verfügung». Auch dies deckt sich nicht mit den Schilderungen von Insidern. Sie berichten von einem Standardsatz, den man «runterleiern» müsse, falls von den Anwesenden niemand die Sprache des Anrufenden spricht: «Und dann hängt man auf.»
«Es gab Zeiten, in denen die Ressourcen nicht den hohen Standards entsprachen, die das Unternehmen sich selber setzt», schreibt dazu der PR-Profi aus Dublin: «Dies wird zurzeit angegangen.»