Auf einen Blick
«Zurzeit sind alle Mitarbeitenden besetzt. Wir bitten Sie um etwas Geduld», informiert die automatische Stimme am Telefon. Dann erklingt Musik – immer wieder.
Es ist Sonntagmorgen, Anfang Oktober. Tim Rutz wartet seit sechseinhalb Stunden in der telefonischen Warteschleife. Er hofft auf medizinischen Rat für seine 20-jährige Tochter, die unter starkem Juckreiz am ganzen Körper leidet. Vergeblich.
Erst kurz nach sieben Uhr in der Früh erhält Rutz, der eigentlich anders heisst, Hilfe von einer medizinischen Fachperson. Die Tortur seiner Tochter endet glimpflich.
Das Telmed-Modell ist weit verbreitet
Rund 1,25 Millionen Schweizerinnen und Schweizer sind laut einem Schweizer Versicherungsvergleichsportal in einem Telmed-Modell versichert. Sie sind verpflichtet, bei gesundheitlichen Problemen eine telefonische Beratungsstelle der Krankenkasse zu kontaktieren, bevor sie einen Arzt aufsuchen. Wer die Anrufpflicht missachtet, riskiert, dass die Krankenkasse die Behandlungskosten nicht übernimmt oder den Versicherten in das teurere Standardmodell zurückstuft – laut Konsumentenschutz bereits ab dem zweiten Verstoss.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Aber funktioniert das Modell, wenn Kundinnen und Kunden stundenlang auf eine Antwort warten müssen? Diese Frage stellen sich wohl viele, die aufgrund der steigenden Prämien einen Wechsel zu einem günstigeren Modell in Erwägung ziehen.
Den Telmed-Markt dominieren Medi24 und Medgate. Sie versprechen Rund-um-die-Uhr-Service für viele grosse Kassen. Medi24 kooperiert mit Helsana, CSS, Visana und KPT. Medgate arbeitet mit Sanitas, Sympany, Groupe Mutuel, ÖKK und Concordia zusammen.
Helsana-Kunde Rutz nutzt seit 15 Jahren Telmed von Medi24. Früher sei er zufrieden gewesen, heute erlebe er immer längere Wartezeiten, sagt er zum Beobachter.
Damit ist er nicht allein. Seit Monaten häufen sich Onlinebeschwerden über stundenlange Warteschleifen, besonders nachts. Das zeigen zahlreiche Einsternbewertungen auf Google.
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Helsana räumt ein, dass es bei Medi24 in den letzten Wochen zeitweise Probleme mit der Erreichbarkeit gab. Laut Nico Nabholz, Mediensprecher von Helsana, wurden diese durch «unvorhergesehene Engpässe im medizinischen Fachpersonal» verursacht. Man arbeite eng mit Medi24 zusammen und überprüfe deren Dienstleistungen regelmässig mit einem Monitoringsystem.
Medi24 selbst äussert sich ähnlich und spricht von unerwarteten Engpässen, die durch Monitoring behoben werden sollen. Der Fall von Tim Rutz spiegle nicht den Qualitätsstandard wider; rund 80 Prozent aller Anrufe würden binnen 20 Sekunden entgegengenommen. Wartezeiten könnten je nach Anrufvolumen variieren. Gerade nachts könne es länger dauern.
Für Rutz ist das unverständlich: «Ich kann mir kaum vorstellen, dass in der Nacht so viele Menschen anrufen.»
Kantone handhaben die Aufsicht unterschiedlich
Die Aufsicht der Telemedizin-Anbieter in der Schweiz liegt bei den Gesundheitsbehörden der Kantone, in denen die Anbieter als Firma beheimatet sind. Bei Medi24 ist das Bern, bei Medgate Basel-Landschaft.
Beim Kanton Bern heisst es, es gebe keine Vorgaben oder Kontrollen hinsichtlich der Erreichbarkeit oder der Wartezeiten für telemedizinische Dienste. Grundsätzlich brauche es keine Bewilligung für den Betrieb eines ambulanten Dienstes, ob klassisch oder telemedizinisch. Der Kanton beaufsichtige lediglich die einzelnen Ärzte und Ärztinnen, die eigenverantwortlich arbeiten und deshalb eine Berufsausübungsbewilligung benötigen. Beschwerden über Medi24 bezüglich Erreichbarkeit oder Qualität der Dienstleistungen habe es bisher keine gegeben.
Basel-Landschaft prüft hingegen die Betriebskonzepte und die versprochene Erreichbarkeit von Medgate. Kontrollen erfolgen insbesondere bei spezifischen Problemen; solche seien bisher jedoch nicht festgestellt worden. Der Kanton sieht vor allem die Krankenkassen in der Pflicht: Sie müssten für ausreichende Erreichbarkeit sorgen und bei Problemen intervenieren. Beschwerden bezüglich der Erreichbarkeit oder der Qualität der Dienstleistungen von Medgate seien bisher keine bekannt.
Im Notfall zum Notfall
Tim Rutz überlegt inzwischen, das Versicherungsmodell zu wechseln. Eine Entscheidung, die mit höheren Kosten verbunden wäre. Dabei schätzt er das Telmed-Konzept: «Es spart Kosten und Arztbesuche», sagt er. «Aber es muss zuverlässig sein – gerade in Notfällen.»
Helsana und Medi24 raten, bei dringenden medizinischen Problemen und Notfällen direkt die üblichen Notfallorganisationen anzurufen. Auch Basel-Landschaft verweist auf medizinische Notrufzentralen sowie Notfallpraxen – unabhängig von der Telemedizin.