Vor dem Tag der Bauwirtschaft am Freitag im Tessin haben die Baumeister den Blick in die Zukunft gewagt und mit Schrecken festgestellt: In den kommenden Jahren werden immer mehr Bauarbeiter fehlen, bis ins Jahr 2040 wird jede sechste Stelle im Baugewerbe unbesetzt bleiben. Mit noch ungeahnten Folgen für Wirtschaft, Werkplatz und Gesellschaft. Blick wollte von Gian-Luca Lardi (53), Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverband wissen, was die Branche dagegen unternehmen will.
Blick: Herr Lardi, wer baut in Zukunft die Schweiz?
Gian-Luca Lardi: Das ist eine berechtigte Frage. Wenn wir jetzt nicht Gegensteuer geben, dann droht ein Engpass, der schmerzhaft werden könnte. Deshalb wollen wir den Fachkräftemangel auf dem Bau – der schlimmste nach den Pflegeberufen – jetzt angehen und die Gesellschaft dafür sensibilisieren, was es heisst, wenn die Baustellen verwaisen.
Nämlich?
Heute verbaut die Bauwirtschaft ein Auftragsvolumen von 23 Milliarden Franken pro Jahr. Fehlen die Fachkräfte, könnte das Volumen auf 21 Milliarden schrumpfen.
Das heisst konkret?
Wenn jemand zum Beispiel ein Eigenheim bauen möchte, findet der Bauherr keine Firma, die das Haus für ihn bauen könnte. Oder ein Immobilieninvestor, der Wohnungen bauen möchte, hat Mühe, ein Unternehmen zu finden, um das Projekt zu realisieren. Auch der Ausbau und die Erneuerung der Infrastruktur würde sich verzögern. Fehlen die Bauarbeiter, leidet die gesamte Gesellschaft und die Wirtschaft.
Und auch die Energieziele wären bedroht?
Ja, denn es fehlen auch die Fachkräfte, um die energetische Sanierung und Erneuerung des Gebäudeparks voranzutreiben, mit denen die angestrebten Energieziele wirklich erreicht werden können.
Bei welchen Funktionen ist der Mangel am akutesten?
Bei den Polieren und Bauführern. Gerade bei Kaderfunktionen auf dem Bau gibt es einen Flaschenhals. Wie auch in anderen Branchen gehen viele erfahrene Bauleute in den nächsten Jahren in Pension, es fehlt der Nachwuchs.
Gian-Luca Lardi (53) ist seit 2015 Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbands SBV. Nach seiner langjährigen Tätigkeit als CEO der CSC Bauunternehmung ist er heute unternehmerisch tätig als unabhängiger Verwaltungsrat sowie Unternehmensberater. Der Tessiner ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und Honorarkonsul von Polen.
Gian-Luca Lardi (53) ist seit 2015 Zentralpräsident des Schweizerischen Baumeisterverbands SBV. Nach seiner langjährigen Tätigkeit als CEO der CSC Bauunternehmung ist er heute unternehmerisch tätig als unabhängiger Verwaltungsrat sowie Unternehmensberater. Der Tessiner ist verheiratet, Vater von zwei Töchtern und Honorarkonsul von Polen.
Was lässt sich dagegen tun?
Wir müssen den Fokus der Jugend wieder verstärkt auf die Berufslehre richten. Denn der Weg über die Lehre ist sehr flexibel und bietet vielseitige Aufstiegschancen. Viele erfolgreiche Bauunternehmer haben als Stifte begonnen.
Wie steht es um Frauen auf dem Bau?
Es arbeiten durchaus einige Frauen auf dem Bau, aber der Frauenanteil dürfte ruhig höher sein. Dafür braucht es auch mehr Bemühungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Davon profitieren ja auch die Männer, die das auch auf dem Bau immer mehr einfordern. Zudem hat sich das Baugewerbe stark verändert. Technische Hilfsmittel wie Drohnen, Tablets und weitere digitale Arbeitsgeräte kommen auf dem Bau bald ebenso selbstverständlich zum Einsatz wie die Maurerkelle.
Braucht es mehr Zuwanderung?
Nicht unbedingt, wir möchten die Lücke schliessen, indem wir das inländische Potenzial noch besser nutzen. Erst wenn wir im Inland alle Möglichkeiten ausgeschöpft haben, stellt sich die Frage: Mehr Zuwanderung oder weniger bauen.
Leidet die Baubranche unter einem schlechten Image?
Unser Image bei Jugendlichen sowie deren Eltern, Verwandten, Lehrpersonen, Berufsberatern und Gleichaltrigen ist von entscheidender Bedeutung. Seit Jahren werden unsere grossen Anstrengungen für ein attraktives Image des Bauhauptgewerbes wiederholt durch populistische, gewerkschaftliche Negativkampagnen – insbesondere vor und während Lohn- und GAV-Verhandlungen – massiv torpediert.
Gibt es Forderungen an die Politik?
Nein, wir wollen aus eigener Kraft diese Herausforderung meistern. Das kann uns gelingen, indem wir die Produktivität weiter steigern, die Jugend für den Beruf begeistern und die Abwanderung aus der Branche stoppen können.