Die Geburtenrate in der Schweiz ist auf 1,39 Kinder pro Frau gesunken. Teure Kitas helfen da wenig. Stattdessen müssen wir beim Siedlungsbau umdenken, die Strukturen am Immobilienmarkt verändern, schauen, dass sich vermehrt moderne Dorfgemeinschaften um die Jüngsten – aber auch die Ältesten – kümmern.
«Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.» Der Pädagoge Remo Largo hat diese afrikanische Weisheit gerne zitiert. Mit Dorf meinte er lebendige, buntgemischte Nachbarschaften. Eine solche konnte man jüngst im Tages-Anzeiger bewundern: Ein Gruppenbild mit je etwa 20 Erwachsenen und Kindern und viel Grün.
Die meisten der 39 Mieter wohnen schon lange hier, man kennt sich, hilft sich gegenseitig. Wenn ein paar der Werktätigen nur Teilzeit arbeiten, wenn auch noch ein Rentner mithilft, wenn es sogar noch einen Gemeinschaftsraum gibt, dann braucht es keine Kita, dann kann das Dorf die Kinder erziehen.
Hohe Bodenrendite lockt
Doch diese Nachbarschaft in Zürich Wollishofen ist ein Auslaufmodell. Die Vermieter – ein Brüderpaar aus der steuergünstigen Zentralschweiz – haben ihre Mieter informiert, dass sie die sechs Häuser an bester Lage an den Meistbietenden verkaufen wollen. Experten schätzen, dass 60 bis 80 Millionen Franken geboten werden. Dieser Preis basiert auf der Annahme, dass auf dem Grundstück neu etwa doppelt so viele Wohnungen gebaut werden.
Pro Wohnung wären das dann rund 900'000 Franken Grundstückkosten – eine inzwischen normale Grössenordnung. Verzinst zu 3 Prozent kostet das pro Mieter oder Käufer monatlich über 2000 Franken reine Bodenrente. Damit kassieren die zwei Landbesitzer mehr, als ihre Mieter an Gemeinde-, Kantons- und Bundessteuer bezahlen.
Teure Mieten, teure Kinder
Wollishofen ist kein Einzelfall. Auf derselben Seite berichtet der TA über zwei weitere «Auslaufmodelle» in der Stadt Zürich – Abriss oder teure Sanierung stehen an. Die weniger Betuchten müssen ausziehen, besser Situierte ziehen ein. Ob die Neuen je wieder zu einer Nachbarschaft zusammenwachsen, ist schon deshalb höchst fraglich, weil nur wenige unter ihnen nebst der hohen Miete die finanziellen Mittel haben, um sich auch noch die Kinder zu leisten, die eine Siedlung erst zum Dorf machen.
Gemäss einer Studie der UBS kostet ein Kind die Eltern über die Jahre rund eine halbe Million. Kein Wunder leben in den Haushalten der ärmeren zwei Fünftel rund dreimal weniger Kinder als bei den reicheren Schichten. In Schnitt sind es noch 1,39 Kinder pro Frau. Wenn es so weitergeht, gibt es in der Schweiz bald mehr Rentner als Arbeitskräfte.
Was tun wir, um uns aus dieser demografischen Falle zu befreien? Die naheliegende Lösung wäre es, die Bodenrenten steuerlich massiv abzuschöpfen. Schliesslich wurde die «gute Lage», auf denen die hohen Preise beruhen, weitestgehend vom Staat geschaffen – Strassen, Schulen, Verkehrsverbindung, tiefe Steuersätze usw. Doch diese Diskussion wird bestenfalls ansatzweise geführt. Die Grundbesitzer pochen auf ihre Eigentumsrechte.
Kitas als Dorfersatz
Stattdessen setzen wir auf stark subventionierte Kitas. Auf diese Weise können die Eltern länger einer bezahlen Arbeit nachgehen, die hohe Miete zahlen und sich vielleicht noch ein Kind oder zwei leisten. Zudem könne so auch noch der Fachkräftemangel gelindert werden. Linke Kita-Freude, so etwa die SP-Nationalrätin Min Li Marti (49), führen auch gerne das Kindswohl ins Feld. «Es geht auch darum, dass es für die Kinder auch eine Bereicherung ist, andere Bezugspersonen kennenzulernen und Zeit mit anderen Kindern zu verbringen.» Stimmt. Der Tod der Nachbarschaften hat zur Folge, dass die Krippe für immer mehr (Einzel-)Kinder die einzige Chance ist, Zeit mit anderen Kindern und zu verbringen. Die Kitas als Dorfersatz.
Doch das ist eine aufwändige Lösung: Gemäss einem Positionspapier der Kibesuisse braucht es pro Kind 37 Stellenprozente bzw. 156 Franken pro Tag und Kind allein für das Betreuungspersonal. Dazu kommen noch Miete, Mobiliar, Reinigung etc. Die Kinder müssen gebracht und abgeholt werden. Doch mit jeder Kita sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass aus einer anonymen Siedlung ein Dorf wird.
Weg mit der Anonymität
Das ist nicht nur für die Kinder schlecht, sondern auch für Rentner und Alleinstehende. Auch sie brauchen Kontakt mit Kindern und anderen Bezugspersonen. Einsamkeit ist noch vor Alkohol und Tabak das grösste Gesundheits- und Demenzrisiko. Je weniger Nachbarschaft, desto mehr Geld müssen wir für Pflege ausgeben. Kitas für Senioren sind erst recht teuer.
Mit dem Ausbau der Kitas, der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte und mit der Idee, die AHV-Rente an Kinderzahl zu koppeln, betreiben wir teure Symptombekämpfung. Stattdessen sollten wir die Ursachen angehen. Konkret: Wir müssen den Wohnungsmarkt aus dem Würgegriff der Profitmaximierer befreien und anonymen Wohnsiedlungen wieder zu Dörfern machen.