Wie fühlt es sich an, auf kleinstem Raum zu leben? Das wollten sie selbst erleben und starteten ihr eigenes Wohnexperiment: Amelie (34) und ihr Partner René Reist (35) lebten mit ihren beiden Kindern zwei Jahre lang in ihrem umgebauten Wohnwagen in Au bei Wädenswil ZH. Sie nannten ihn liebevoll Tilla – kurz für Tiny Villa.
Die Familie hat nicht nur ihre Wohnfläche heruntergeschraubt. Sie lebte auch energieautark. Soll heissen: Reists bezogen alles, was sie an Energie verbrauchten, aus eigenen Quellen. Tilla hatte Solarpanels auf dem Dach. Ergänzt durch einen Energie- und Wasserspeicher. Zudem reinigten sie ihr Abwasser mit einem Pflanzenklärsystem selber.
Weniger ist mehr
Das Experiment verlief erfolgreich. «Das Leben auf kleinem Raum unterscheidet sich meiner Erfahrung nach gar nicht so sehr von dem auf grosser Fläche», sagt Amelie Reist zu Blick. Und doch gebe es Unterschiede, die einen Einfluss auf den Alltag hätten.
Weniger Fläche sei beispielsweise leichter zu bewirtschaften. «Platt ausgedrückt: Wir müssen weniger putzen», so die Web-Entwicklerin und zweifache Mutter. Und: Weniger Fläche ist schneller zu finanzieren. Ein Einfamilienhaus mit 130 Quadratmetern hätte für die Familie bedeutet, für die nächsten 20 Jahre eine Hypothek abzuzahlen. Die 33 Quadratmeter grosse Tilla dagegen konnten sie für 150'000 Franken aus eigenen Mitteln finanzieren.
Ein Minidorf entsteht
Jetzt will die Familie das Experiment auf eine neue Ebene heben. «Die Tilla war immer nur unser erster Schritt», sagt Reist. «Nun wollen wir unsere grosse Vision von einem Leben im energieautarken Minidorf realisieren.» Sie planen, die neue Wohnform mit Gleichgesinnten zu teilen.
Ihr neues Vorhaben setzen sie zusammen mit einer befreundeten Familie um: Das Ehepaar Michela (34) und Andreas (34) Güttinger, ebenfalls Eltern von zwei Kindern, entwickelt die Tiny-House-Siedlung mit.
Ein grosses Stück Land
Ein Grundstück haben sie bereits gefunden. «Unser neuer Heimatort wird der Hasliberg», sagt Reist. Die Tiny-House-Siedlung, die dort entsteht, nennen sie Living Lab. Auf einem rund 4000 Quadratmeter grossen Grundstück soll ein Minidorf für rund zehn Erwachsene und ihre Kinder entstehen. «Die Gemeinde ist unseren Ideen gegenüber offen», bekräftigt die 34-Jährige. Die Baubewilligung will das Paar im Sommer einreichen.
Im Zentrum der Siedlung wird ein Gemeinschaftshaus stehen. Darin soll zusammen gekocht, gespielt, gestaltet und geforscht werden. Drum herum entstehen Containerbauten als Rückzugsort für die Bewohner.
Gemeinschaft steht im Zentrum
Beim neuen Wohnexperiment geht es ums Zusammenleben. «Gemeinsam mit den Bewohnern wollen wir eine nachhaltige Wohnform entwickeln», sagt Amelie Reist. Ganz konkret soll jedes Mitglied der Gemeinschaft pro Woche einen Tag in das Living Lab investieren. Dafür sucht das Paar nun Mitstreiterinnen und Mitstreiter.
Kleine Häuser, grosse Pläne
Doch ihre Pläne reichen noch weiter: Sie träumen davon, mit Living Lab ein neues Format auf die Beine stellen zu können. «Wir möchten nicht das einzige Community-Labor sein, sondern möglichst schweiz- oder weltweit Tiny Villages realisieren», sagt Reist.
Der Bau des Minidorfes soll Anfang 2022 beginnen. Zwischen zwei und drei Millionen Franken kostet das Projekt. Einen möglichst grossen Teil der Investitionen werden die aktuell vier Genossenschafter einschiessen.
Die neuen Bewohner sollen sich aber auch finanziell beteiligen.