Deutlicher geht es kaum: Jetzt fordern 24 internationale Umwelt- und Logistik-Verbände in einem offenen Brief vom deutschen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (47) endlich Taten, um einen «Verkehrskollaps» wegen des «Rastatt-Desasters» zu verhindern. Hintergrund: Wegen einer Bau-Panne hat seit dreieinhalb Wochen kein einziger Zug die Strecke bei Rastatt (D), gut 20 Kilometer südlich von Karlsruhe, passiert.
Eines der Hauptopfer der Blockade: die Schweiz. Denn wenn die fein verzweigten inländischen Eisenbahnstrecken für Personen- und Güterverkehr die Arterien der Schweiz sind, ist die Rheintalbahn zwischen Basel und Karlsruhe (D) ihre Aorta. Wenn die verstopft, ist fertig lustig.
Hunderte Millionen Schaden
Schon vor anderthalb Wochen hatte Dobrindt darum dicke Post ins Ministerium bekommen. Absenderin: die Schweizer Bundespräsidentin und Verkehrsministerin Doris Leuthard (54). Mit undiplomatisch deutlichen Worten schrieb sie von «gravierenden Auswirkungen für den Güterverkehr und die Schweizer Wirtschaft», forderte «rasch genügend Umleitungsstrassen in ausreichender Qualität».
Leuthards Brief erreichte Dobrindt in einem Moment, als sich die Lage gerade zuspitzte. Unmittelbar nach dem Bau-Unfall waren viele Italiener noch in den Ferien, viele Industrien dort produzierten nicht auf Hochtouren. Seit letzter Woche aber sind die Ferien in Italien vorbei, die Unternehmen bestellen wieder Waren. Und verstopfen damit das Nadelöhr Rastatt.
Jetzt werden die Folgen sichtbar: Erst am 7. Oktober soll der Schaden behoben sein. Bis dann gehen die volkswirtschaftlichen Verluste in ganz Europa in die Milliarden, warnen Transportunternehmer. In der Schweiz ist die Rede von Hunderten Millionen. Genaue Zahlen gibt es keine.
«Firmen mussten Produktion einstellen»
200 Güterzüge ratterten vor dem 12. August jeden Tag über die Rheintal-Strecke. Ein Grossteil davon fährt durch die Schweiz nach Italien. Die Ausweich-Zugstrecken in Frankreich und via Stuttgart können nur 25 Prozent davon auffangen, also täglich rund 50 Züge. Die Ladung von 60 weiteren Zügen passiert Rastatt nun auf der Strasse und auf dem Rhein.
Unter dem Strich können damit 90 Zug-Ladungen Güter pro Tag nicht transportiert werden. Die Folgen: ein massiver Rückstau, der Transportfirmen trotz aller Improvisationskünste an ihre Grenzen bringt. Und Unternehmen, die ihre Ware nicht erhalten oder ausliefern können.
Jan Arnet (43) Geschäftsleitungsmitglied beim Logistik-Unternehmen Bertschi in Dürrenäsch AG, sagt: «Es ist in den letzten Wochen vorgekommen, dass Firmen in der Schweiz ihre Produktion kurzzeitig einstellen mussten, weil die Ware nicht angekommen ist.»
Notbrücke: Sinnvoll oder nicht?
Wer trägt die Schuld am Rastatt-Desaster?
Darüber werde man noch lange diskutieren, sagt Irmtraut Tonndorf, Sprecherin des Speditions-Riesen Hupac in Chiasso TI. «Wir können nicht verstehen, warum man nicht ein Gleis provisorisch wieder befahrbar gemacht hat. Doch das wäre teurer gekommen, als die Strecke bis im Oktober komplett zu sperren.»
Verantwortlich für diese Entscheidung ist die Bauherrin von Rastatt, die Deutsche Bahn.
Auch Arnet von Bertschi sagt, die Deutschen setzten die Prioritäten falsch: «Die Schweiz hat es schon mehrfach gezeigt: Es ist innert einiger Tage möglich, eine Notbrücke zu bauen, wo wenigstens ein Gleis befahren werden kann.»
Eine Sprecherin der Deutschen Bahn sagt dazu, eine Notbrücke zu installieren, hätte länger gedauert als die nun gewählte Lösung.
Immerhin: In dieser Krise gibt es auch Gewinner. Zum Beispiel die Schifffahrt. Mehrere Unternehmen in den Basler Rheinhäfen, die in den letzten Monaten mit Volumen-Rückgängen zu kämpfen hatten, verzeichnen in den letzten Tagen doppelt so viele Aufträge wie vor dem Bau-Unfall. Die Hoffnung der Branche: dass viele Firmen in Zukunft weniger auf die eine Karte Schienenverkehr setzen.
«Kontingentierung für deutsche LKW»
Bundesbern lässt sich damit nicht vertrösten und tobt. «Deutschland lässt die Schweiz in Verkehrsfragen im Stich», sagt der Ständerat und Vizepräsident der Verkehrskommission, Claude Janiak (68, SP/BL), zu BLICK. Sonst sei «Pünktlichkeit doch eine deutsche Tugend», stichelt der Basler. «Jetzt bricht Deutschland einen Staatsvertrag.» Was Janiak meint: Der grosse Kanton hat sich der Schweiz verpflichtet, einen reibungslosen Personen- und Güterverkehr zu garantieren.
Alexander Dobrindts deutsches Verkehrsministerium antwortete bis Dienstagabend auf keinen dieser Vorwürfe.
Aufgebracht ist auch Nationalrat und Lastwagenunternehmer Ulrich Giezendanner (63). «Ob der Verkehrs-Katastrophe lacht Deutschland uns auch noch aus», sagt der SVP-Mann. «Jetzt müssen wir den Deutschen drohen – beispielsweise mit einer Kontingentierung für deutsche Lastwagen, die durch unser Land fahren wollen.»
Auch bei der FDP ist man verärgert. «Die Schweiz muss klar dezidierter auftreten», fordert Nationalrat Thierry Burkart (42, AG). Edith Graf-Litscher (53, SP/TG), Vizepräsidentin der Verkehrskommission des Nationalrats, meint: «Deutschland verkennt den Ernst der Lage und schläft. Die Schweiz muss den Druck erhöhen.»