In der Migros-Zentrale knallts, in den Regionen wird gefeiert. Während bei der neuen Supermarkt AG die ersten 150 von bis zu 1500 Kündigungen gruppenweit ausgesprochen werden und es nächste Woche in der M-Industrie zu einem grösseren Jobabbau kommen soll, rührt die Migros Ostschweiz mit der grossen Party-Kelle an.
Das Mega-Mitarbeiterfest steigt an diesem Samstag, den 15. Juni, auf dem Olma-Gelände und in den Messehallen in St. Gallen. Geladen sind gut 9000 Angestellte des Wirtschaftsgebiets der Genossenschaft, das vom Bündnerland bis Schaffhausen reicht. Die Mitarbeitenden an der Verkaufsfront dürfen am Samstag um 17 Uhr einen «vorgezogenen Betriebsschluss» machen. Mittels Aushängen in Filialen bittet die Regionalgenossenschaft um Verständnis bei ihrer Kundschaft.
«Zäme erfolgrich, zäme fiirä». Unter diesem Motto macht die Migros im eigenen Intranet ihre Mitarbeitenden auf den Grossanlass aufmerksam. In einem Video-Beitrag auf dem internen Netz, den Blick ansehen konnte, flachsen zwei Supermarkt-Angestellte über kulturelle Unterschiede, Lieblings-Fussballklubs und eben die bevorstehende Party auf dem Olma-Gelände.
Genau vor einem Jahr fiel der Entscheid
Ursprünglich war die Durchführung des Anlasses bereits für das Jahr 2020 geplant. Die Pandemie machte den Verantwortlichen einen Strich durch die Rechnung. Der angelaufene Grossumbau und Abbau Tausender Stellen – die Verkäufe von Tochterfirmen wie SportX oder Melectronics stehen noch aus – tat der Planung offenbar keinen Abbruch. «Vor einem Jahr haben wir uns für das erwähnte Datum entschieden», sagt Andreas Bühler, Sprecher der Migros Ostschweiz, auf Nachfrage von Blick. Interessant: Ende Juni 2023 machte die Regional-Genossenschaft publik, dass ihr Chef Peter Diethelm (59) CEO der neuen Migros Supermarkt AG in Zürich wird – und damit massgeblich in den Konzernumbau involviert ist.
Dass sich damit einschneidende Veränderungen im Konzern anbahnen, dürfte allen Beteiligten zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sein. Das Mitarbeiter-Fest in Eigenregie der Migros Ostschweiz zeigt aber auch, wie selbstbestimmt die regionalen Genossenschaften im hoch komplizierten Migros-Universum immer noch agieren. Jüngstes Beispiel: Die Migros Aare hat bereits Schliessungen von Melectronics-Filialen bekannt gegeben, noch vor einer Kommunikation der Migros-Zentrale in Zürich.
Linda Fäh, Shakra und «kulinarische Angebote»
Das Programm für die 9000 Angestellten kann sich sehen lassen. Schlagersängerin Linda Fäh (36) wird auftreten. Wem es nicht nach schunkeln steht, der findet etwa am gebuchten Rock-Act Shakra gefallen. Sänger Remo Forrer (22) gehört ebenfalls zu den auftretenden, mehrheitlich regional verankerten Künstlerinnen und Künstler, wie der Sprecher ausführt.
Neben weiteren Unterhaltungspunkten werden die Migros-Angestellten der Regionalgenossenschaft mit «kulinarischem Angebot» verwöhnt. Alles sei als Dank für ihren Einsatz zu verstehen, so der Sprecher.
«Krass, wir weinen und die feiern?!»
Ein Grossanlass wie dieser wird natürlich von langer Hand geplant. Dass er aber nicht auf das kommende, 100. Jubiläumsjahr der Migros verschoben wurde, erstaunt dann doch. Denjenigen Angestellten, die ihre Kündigung erhalten haben, kommt der Party-Anlass schief rein. «Krass, wir weinen und die feiern?!», kommentiert eine betroffene Person aus der Migros-Zentrale beim Betrachten des Videos «Zäme erfolgrich, zäme fiirä» im Intranet.
Die Migros Ostschweiz lässt offen, ob es eine kommunikative Abstimmung und Planung ihrer Mega-Feier am 15. Juni mit der Migros Zentrale gegeben hat. Bühler von der Migros Ostschweiz: «Es ist uns bewusst, dass der Anlass jetzt in eine Zeit des Umbruchs fällt. Umso mehr sind wir überzeugt, dass er dazu beiträgt, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identifikation der Mitarbeitenden mit der Migros Ostschweiz zu stärken.» Eine Absage hätte man für falsch gehalten.
«Tatsächlich fällt das Fest in eine schwierige Zeit der Migros», sagt der Sprecher der Migros-Zentrale, Marcel Schlatter. Man könne den Entscheid der Migros Ostschweiz aber gut nachvollziehen. «Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Migros Ostschweiz – von der Kassiererin bis zum Lastwagenchauffeur – freuen sich seit langem auf das Zusammenkommen mit ihren Kolleginnen und Kollegen.» Eine erneute Verschiebung erachte man auch in der Zentrale als unverhältnismässig.