«Ich suche auch ausserhalb der Gastronomie»
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Arbeitslos wegen Corona:«Ich suche auch ausserhalb der Gastronomie»

Massive Einkommensverluste wegen Corona
«Je ärmer, desto schlimmer»

Die Pandemie verschärft die Ungleichheit. Am härtesten trifft es die Ärmsten. Drei Betroffene erzählen, wie sie sich in der Krise über Wasser halten.
Publiziert: 28.02.2021 um 10:54 Uhr
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Aktualisiert: 13.03.2021 um 12:28 Uhr
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Corona verschärft die Ungleichheit.
Foto: Siggi Bucher
Dana Liechti und Danny Schlumpf

In der ersten Welle wurde Mario Schena (46) auf Kurzarbeit ­gesetzt, in der zweiten wurde er entlassen. 30 Jahre hatte er in der Gastronomie gearbeitet, die letzten vier im Service einer Pizzeria. Dann kam die Pandemie.

Seit Dezember erhält Schena Arbeitslosengeld. 3000 Franken im Monat.«Das reicht nicht zum Leben», sagt der Vater des zehnjährigen Anthony. Muss die Familie jetzt auf ihr Erspartes zurück­greifen? «Das ist schon längst aufgebraucht.»

13'000 offene Stellen weniger

Mario Schena verschickt täglich Bewerbungen. Er ist nicht wäh­lerisch, bewirbt sich in der Gastronomie und in der Logistik. Auch als Chauffeur könnte der Mann mit ­C1-Ausweis arbeiten. Doch bis jetzt hagelte es Absagen. Kein Wunder, denn es gibt in der Schweiz rund 13'000 offene Stellen weniger als vor ­einem Jahr.

Corona verschärft die Ungleichheit. Das zeigt die neuste Studie der ETH-Konjunkturforschungsstelle (KOF). Haushalte mit einem Einkommen unter 4000 Franken müssen mit 20 Prozent weniger Lohn auskommen als vor einem Jahr. Ein Drittel der Angestellten im Tieflohnsektor wurde in der Pandemie in Kurzarbeit oder in die Arbeitslosigkeit geschickt.
Jeder zweite Geringverdiener musste das Ersparte plündern, jeder neunte hat sich verschuldet. «Das ist besonders erschreckend», sagt KOF-Ökonomin Isabel Martínez (35). «Denn diese Menschen verdienen auch nach der Pandemie nicht plötzlich 6000 Franken. Wie sollen sie ihre Schulden begleichen?» Zwar hätten alle Einkommensklassen Verluste einstecken müssen. «Aber die Pandemie trifft nicht alle gleich», sagt Martínez. «Je ärmer, desto schlimmer.»

Bis zu 50 Stunden pro Woche schuften

Mariana S. (42) hat ihren Job noch. Doch die Reinigungskraft lebt mit der ständigen Angst vor der Entlassung: «Es hängt alles von den Putzaufträgen ab. Die Situation ist extrem angespannt.» Vor drei Jahren kam die Brasilianerin aus Ita­lien in die Schweiz – mit einigen Tausend Franken Schulden im ­Gepäck. «Die italienischen Behörden behaupten, ich hätte mich nicht korrekt abgemeldet. Jetzt betreiben sie mich.» Mariana schuftet bis zu 50 Stunden in der Woche – für 3200 Franken. Warum fordert sie nicht mehr Lohn? «Dann werde ich sofort vor die Tür gestellt.»

Um einen besseren Job zu finden, müsste sie ihr Deutsch verbessern. Das Problem ist nur: Kostenlose Sprachkurse finden während der Wochentage statt – dann, wenn Mariana arbeitet. «Und die Kurse, die etwas kosten, kann ich mir mit meinem tiefen Lohn unmöglich leisten.»

Zwei Drittel der Tieflohnbezüger sind weiblich

Es sind gleich zwei Faktoren, die Marianas Situation verschärfen. «Migrantinnen und Migranten sind besonders stark von der Krise betroffen, da sie häufig unter sehr prekären Bedingungen arbeiten», sagt Unia-Gewerkschafterin Isabelle Lüthi (31). «Und Frauen leiden mehr unter der Pandemie als Männer. Denn zwei Drittel der Tieflohnbezüger sind weiblich.»

Frauen verdienen weniger als Männer – und dieser Unterschied wird nicht kleiner: Zwischen 2014 und 2018 ist der Lohnunterschied um 1 Prozent auf 19 Prozent ge­stiegen, wie neue Zahlen des Bundesamts für Statistik belegen. In fast der Hälfte aller Fälle ist Diskriminierung am Werk: Dann verdienen Frauen allein deshalb weniger, weil sie Frauen sind.

«Deshalb braucht es einen Anschub von aussen», sagt Lucia Lanfranconi (38), Dozentin für Soziale Arbeit an der Hochschule Luzern. «Die Unternehmen müssen kontrolliert werden.» Denn für die Angestellten sei es sehr schwierig, sich zu wehren: «Mitarbeitende ­stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu den Vorgesetzten und ­zudem herrscht in der Schweiz die Kultur vor, dass man nicht über den Lohn spricht. Daher wäre Lohntransparenz wichtig.»

«Unser Erspartes ist aufgebraucht»

Claudia R. (22) aus Zürich jedenfalls würde es nicht wagen, ihren Vorgesetzten auf den Lohn anzu­sprechen. «Ich wäre keinen Tag länger angestellt», sagt die Mode-Ver­käuferin. Die Mutter zweier Kinder ist seit Januar in Kurzarbeit. In Zahlen heisst das: 2000 Franken pro Monat. Zusammen mit dem Lohn ­ihres Mannes, der als Hauswart arbeitet, kann sich die Familie über Wasser halten. «Aber unser Erspartes ist aufgebraucht.» Was Claudia besonders nachdenklich macht: «Mein Mann und ich haben es gut zusammen. Das ändert aber nichts daran, dass ich von ihm abhängig bin. Mit meinem Lohn könnte ich die Kinder niemals alleine ernähren.» Isabelle Lüthi von der Unia fordert deshalb: «Unabhängig von der Krise darf es keine Tieflöhne mehr geben. Löhne sollen zum Leben reichen, nicht nur zum Überleben.»

Gottgegeben ist diese Ungleichheit nicht – es kann etwas dagegen getan werden. Als kurzfristige Massnahme nennt Ökonomin Martínez die Aufstockung der Kurz­arbeit von 80 auf 100 Prozent Lohn bei tiefen Einkommen, wie sie seit Dezember gilt. Beim Arbeitslosengeld könnte man gleich vorgehen, so Martínez.

«Das wären Stützungsmassnahmen in der Krise, die in erster Linie den untersten Einkommen helfen würden», sagt Isabel Martínez. Ebenso wichtig sei es aber, die Kinder und Jugendlichen aus bildungsfernen Familien und solchen mit ­Migrationshintergrund nicht zu ­vergessen: «Das Homeschooling ­benachteiligt sie, für sie ist die Pandemie eine grosse Gefahr.»

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