SBB-Chef Vincent Ducrot (60) schwebt privat auf Wolke 7. Der Freiburger ist frisch verheiratet, wie er im Talk «Hier fragt der Chef» mit Christian Dorer (47), Chefredaktor der Blick-Gruppe, verrät.
Im März 2017 musste Ducrot einen brutalen Schicksalsschlag hinnehmen: Seine Frau starb im Alter von nur 50 Jahren nach langer, schwerer Krankheit. Seither war er alleinerziehender Vater von sechs Kindern. «Es klafft eine grosse Lücke», sagte er im Jahr nach dem Verlust. Die Familie habe aber ihren Rhythmus aufrechterhalten wollen. «Das Leben geht weiter. Wir schauen alle gemeinsam nach vorne. Das gibt uns Kraft.»
«Jetzt sind es sieben Kinder»
Nun hat er erneut geheiratet. «Meine Frau hat auch eine Tochter. Jetzt sind es sieben Kinder», freut er sich.
Für den SBB-Chef ist trotz forderndem Job klar: «Die Familie hat Vorrang.» Ruhige Stunden verbringt er gerne mit seiner Modelleisenbahn, Spur H0. «Das lenkt mich ab», sagt der oberste Bähnler der Schweiz. «Oder ich bewege mich mit den Kindern an der frischen Luft.»
Trockenheit als Problem für Stromproduktion
Beruflich hat Ducrot allerdings einige Sorgen. Etwa wegen einer möglichen Strommangellage. Die SBB sind der grösste Stromverbraucher des Landes. In den vergangenen Monaten haben sie die Weichen gestellt, dass ihre Kunden auch bei einer Stromknappheit im Winter weiterhin freie Fahrt haben. Zu normalen Zeiten können die SBB 90 Prozent ihres Strombedarfs mit eigenen Wasserkraftwerken decken.
Derzeit ist die Produktion wegen des trockenen Sommers gedrosselt, beträgt noch 80 Prozent. Der Rest muss über Zukäufe gedeckt werden. Auch weil die Bahn ihre Stauseen als Winterreserve möglichst gefüllt halten will. Deshalb kaufen die SBB weiteren Strom dazu – zu den derzeit rekordhohen Preisen.
«Wegen der Trockenheit vor allem im Tessin und im Kanton Uri haben wir weniger produziert als normal», sagt er. «Nun kaufen wir mehr ein für den Winter.» Wegen der derzeit horrenden Preise rechnet er mit massiven Mehrausgaben. Es ist von einem tiefen dreistelligen Millionenbetrag die Rede.
«Das Ganze kann schiefgehen»
Ob der Strom denn auch wirklich geliefert wird, wissen die SBB allerdings nicht. «Das Ganze kann ziemlich schiefgehen», gesteht Ducrot. Noch hofft der SBB-Chef, dass die Mangellage nicht dramatisch wird. Und dass die Bahn mit Atomstrom aus Frankreich über die Runden kommt. Zudem hofft er auf schlechtes Wetter. «Es ist entscheidend, dass es nun regnet. Unsere neun Stauseen brauchen dringend Wasser.»
Sonst müssen die SBB im Winter ihr Angebot reduzieren. Entsprechende Gespräche laufen derzeit. «Entscheiden wird der Bundesrat», so Ducrot. Die Bahn würde vor allem in den Stosszeiten ihren Betrieb runterfahren. «Wie in Zeiten von Corona. Wir haben die nötige Erfahrung.» Konkret: Die SBB würden ihr Angebot um 20 Prozent reduzieren und so 15 Prozent Strom sparen.
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Viel grösser jedoch ist eine andere Gefahr: Dass es im normalen Stromnetz Lücken gibt, dass also der Bund gemäss Notfallplan stundenweise, regionale Netzabschaltungen anordnet. Dann würde es richtig dramatisch. Denn die Infrastrukturanlagen der SBB – Signale, Weichen, Bahnhöfe – beziehen den Strom vom Haushaltsnetz. Und würden nicht mehr funktionieren. Ducrot über dieses schlimmste Szenario: «Wir würden stillstehen, wenn der Strom stundenweise abgeschaltet wird.»
Kunde soll nichts vom Sparen merken
Der Strom ist nicht Ducrots einzige Sorge. 11 Milliarden Franken Schulden haben sich vor allem wegen Corona angehäuft. Deshalb wollen die SBB bis 2030 6 Milliarden Franken sparen. «Der Kunde wird nichts davon merken», verspricht Ducrot.
Derzeit würden noch einige Schalter geschlossen. «Dann machen wir eine Pause», sagt er. «Wenn ein Mitarbeiter aber nur noch vier Kunden pro Tag hat, macht ein Schalter einfach keinen Sinn.» Erst recht, wenn man bedenke, dass derzeit 92 Prozent der Tickets digital verkauft würden.
1,1 Millionen Menschen transportieren die SBB pro Tag. Immer noch 15 Prozent weniger als vor der Corona-Krise. Für Ducrot ist klar, dass dies auch eine Folge des Homeoffice ist, das sich durchgesetzt hat. «Dafür haben wir mehr Freizeitverkehr, auch international.» Entsprechend werde das Angebot angepasst. Etwa mit zusätzlichen Direktverbindungen ins Berner Oberland oder nach Graubünden.
Nachtzüge ab 2024?
Nachtzüge nach Spanien und Italien stellt Ducrot für 2024 oder 2025 in Aussicht. Die Pünktlichkeit der internationalen Züge soll sich schon vorher verbessern. Und das internationale Ticketing einfacher werden. «Das haben wir etwas verpennt», gesteht der SBB-Chef offen.