Kritik von Schulpräsident des St. Galler Elite-Internats – Bildungsexperte reagiert
«Wir haben in der Volksschule ganz andere Probleme»

Mehr Praxisnähe und individuelle Stundenpläne: Der Ansatz der «besten Schule der Welt», die auf dem St. Galler Rosenberg zuhause ist, gibt zu reden. Ist das innovative Modell wirklich anwendbar für die öffentlichen Schulen? Blick hat bei einem Experten nachgefragt.
Publiziert: 02.12.2024 um 13:28 Uhr
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Aktualisiert: 03.12.2024 um 14:22 Uhr
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Die Realität in der öffentlichen Volksschule ist eine andere als im geschlossenen Elite-Internat, sagt Andrea Lanfranchi (66), emeritierter Professor der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik.

Auf einen Blick

  • Präsident von Elite-Schule äussert Kritik am öffentlichen Schulwesen
  • Experte schätzt die innovativen Methoden der Elite-Schule ein
  • Die Volksschulen leben in einer anderen Realität als die Privatschulen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Nicola ImfeldTeamlead Wirtschaft-Desk

Das Institut auf dem Rosenberg ist im November als die beste Privatschule der Welt ausgezeichnet worden. Blick erhielt einen exklusiven Einblick hinter die Mauern des Elite-Internats in St. Gallen. Hier studieren 230 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 19 Jahren aus über 50 verschiedenen Nationen. Ein Schuljahr kostet 176’000 Dollar – so viel wie nirgendwo sonst auf der Welt.

Schulpräsident Bernhard Gademann (45) stellte im Blick den Rosenberg-Ansatz vor: Schulklassen werden nach Fähigkeiten und nicht nach Alter unterteilt, Schüler haben die Freiheit, ihre Fächer nach eigenen Interessen und Zielen zu wählen; Stundenpläne dienen dabei lediglich als Orientierungsrahmen. Und die Praxis steht oft im Vordergrund – namhafte Firmen helfen bei Schulprojekten mit.

Gleichzeitig äusserte Gademann Kritik am öffentlichen Schulwesen. Die Schweiz habe sich zu lange «auf den Lorbeeren» ausgeruht. Es fehle der «gesellschaftliche Mut, Veränderungen zu wagen» und die Ansprüche seien «nicht genügend» hoch. «Die jetzige Generation hinterfragt berechtigterweise die Legitimität des Schulunterrichts», so Gademann.

Volksschule lebt in einer anderen Realität

Blick hat den Rosenberg-Ansatz und die Kritik am öffentlichen Schulwesen mit Andrea Lanfranchi (66), emeritierter Professor der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik, gespiegelt. «Natürlich ist es wichtig, dass Lehrpersonen hohe Leistungen von den Kindern und Teenagern erwarten, und dass sie die Unterrichtszeit für Lernen und Üben optimal nutzen.»

Allerdings sei die Realität in der öffentlichen Volksschule eine andere als im geschlossenen Elite-Internat: «Lehrpersonen müssen gleichzeitig leistungsschwache Kinder möglichst optimal fördern, ohne die Leistungsstarken zu vernachlässigen», sagt Lanfranchi. «Das ist alles andere als einfach, und mit einer Reihe von Herausforderungen verbunden, die eine Privatschule wie das Institut Rosenberg nicht hat.»

Lanfranchi, der bei der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) Mitglied der Kommission für Bildungsgerechtigkeit ist, macht einen Vergleich: «Ansonsten ist es wie bei einer Krankenkasse, die ausschliesslich junge und gesunde Erwachsene versichert, Millionen-Beträge anhäuft und den anderen Kassen Ratschläge erteilt, wie sie effizienter werden könnten.»

«Unkonventionelle Wege gehen»

Die enge Verbindung von Theorie und Praxis an der Elite-Schule kommt beim Experten gut an. «Das ist ein ausgezeichneter Ansatz und auch ein gutes Beispiel dafür, wie vielversprechende Innovationen aus einem privaten Institut die Volksschule inspirieren können.»

Lanfranchi ortet vor allem bei älteren Schülern Potenzial, die aufgrund des geringen Schulerfolgs die Motivation verloren haben. «Hier könnten wir unkonventionelle Wege gehen. Etwa dadurch, dass sie einen Tag pro Woche bei einem Bauer mithelfen und dadurch neue Erfahrungen machen, die sie im Leben nutzen können – statt gelangweilt auf der Schulbank zu sitzen.»

Fokus auf sozial schwache Familien

Sein Fazit: «Es ist sicher so, dass die Volksschule von solchen Elite-Schulen profitieren kann, wenn diese ihre Innovationen und vielleicht auch einen Teil ihrer Ressourcen wie Infrastrukturen und Know-how in die Volksschule überführen.» Den Rosenberg-Ansatz für das öffentliche Bildungssystem zu übernehmen, sei allerdings nicht realisierbar. «Weil die Volksschule eben eine Schule für alle ist.»

Man habe in der Volksschule ganz andere Herausforderungen, der Fokus muss laut Lanfranchi deshalb ein anderer sein: «Wir haben ein Problem der Bildungsbenachteiligung bei Kindern aus sozial schwachen Familien, darunter viele Migranten.» Die Chancen dieser Kinder will er mit langfristig wirksamen Interventionen wie mit der Frühförderung oder Unterstützungsprogrammen verbessern. «Das ist ein Kontrastprogramm zur Realität der Elite-Schulen für Kinder aus reichen Familien. Unsere Gesellschaft braucht beides.»

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