Geht es der Wirtschaft schlecht, konsumieren die Menschen weniger. Es herrscht Inflation. In der Schweiz liegt die Jahresteuerung bei 2,8 Prozent, im Euroraum gar bei 9,2 Prozent. Wenn alles teurer wird, können sich die Konsumentinnen und Konsumenten weniger leisten – und die Firmen verdienen weniger Geld.
Beim Lippenstift geht die Rechnung aber nicht auf. Der sogenannte «Lippenstift-Effekt» ist ein in der Wirtschaftswissenschaft anerkanntes Phänomen. Immer wenn es der Wirtschaft schlecht geht, erleben kleine Luxusgüter wie der Lippenstift einen regelrechten Boom.
Kosmetik als Belohnung in der Krise
Das zeigen die Zahlen des französischen Kosmetikriesen L'Oréal, der Nummer 1 im Kosmetikgeschäft: Der Umsatz kletterte letztes Jahr um 18 Prozent auf über 38 Milliarden Euro, wie L'Oréal am Donnerstagabend mitteilte. Zum Unternehmen zählen bekannte Marken wie Maybelline New York, Garnier und Lancôme.
«Die Menschen können sich weniger leisten. Als Kompensation gönnen sie sich dann eher kleine Dinge, wie eben Lippenstift oder auch Nagellack», erklärt Caroline Hilb (45), Anlagechefin bei der St. Galler Kantonalbank (SGKB). «Ein Lippenstift hat zudem einen Soforteffekt.» Lippenstift schnell auftragen und beim Blick in den Spiegel springt auch schon das Belohnungszentrum an.
Nachholeffekt auf Lippenstift
Am «Lippenstift-Effekt» sei auf jeden Fall was dran. «Man merkt es ja auch am eigenen Konsumverhalten», sagt Hilb, «der Ansatz lässt sich aber nicht 1:1 auf die Wirklichkeit übertragen.»
Hilb glaubt, dass es aktuell für Lippenstift einen Nachholeffekt gibt. Während Corona wurde wegen der Masken viel weniger Lippenstift getragen. Stattdessen stieg der Absatz von Mascara, Augen-Make-up lag im Fokus.
«Momentan ist der ‹Lippenstift-Effekt› überzeichnet», so das Fazit der Ökonomin. Allerdings liegt der Umsatz von L'Oréal auch im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau deutlich höher – um fast ein Viertel. Das beweist: Zumindest ein Teil des Lippenstift-Booms ist tatsächlich auf den wirtschaftlichen «Lippenstift-Effekt» zurückzuführen.