Auf einen Blick
Mit dem Handy am Strand von Thailand ein Bier bezahlen, vom Liegestuhl aus schnell Geld auf die 3a-App einzahlen und nebenher dem Anlage-Robo sagen, wie er das Geld verwalten soll. Das Banking hat sich stark gewandelt – und oft hat das mit gut gemachten Handy-Apps zu tun. Nur nicht mit den grossen Banken.
Die Geschichte der letzten Jahre ist eine Geschichte der Finanzplatzaussenseiter. Sie haben neue Ideen in die Schweiz gebracht und etablierte Logiken hinterfragt. Prägend waren Neobanken wie Revolut oder Neon und Anlage-Apps wie Viac oder True Wealth. Gegründet ausserhalb der etablierten Institute von mutigen Optimisten, die überzeugt waren, es besser zu können.
Einer von ihnen ist Julius Kirscheneder. In einem charmefreien Gebäude am Zürcher Stadtrand erklärt er, wie es dazu kam, dass er vor sieben Jahren zusammen mit drei Kollegen das Fintech Neon gründete. Dies, nachdem die vier zuvor während mehrerer Jahre gemeinsam in der Beratung gearbeitet hatten und wussten, was bei den Banken gut läuft – und was weniger.
«Wir wollten ein Produkt bauen, das wir selbst als Kunden nutzen würden», sagt Kirscheneder. Bei vielem hinkten die Banken hinterher, auch ihren ausländischen Konkurrentinnen. Bis hin zur Tatsache, dass es 2018 noch niemand schaffte, eine Kontoeröffnung rein digital durchzuführen. «Das verstanden wir nicht», sagt Kirscheneder.
Sechs Jahre später hat Neon 225’000 Kundinnen und Kunden, steht an der Grenze zu den schwarzen Zahlen und gilt als Vorbild. Als die Credit Suisse 2020 ihr Digitalkonto CSX lancierte, spielte sie direkt auf Neon an. Dort nahm man das stolz zur Kenntnis.
Das Rad habe man nicht neu erfunden, sagt Kirscheneder und streitet gar nicht ab, dass man auch geschickt kopiert hat. Aber man wollte es besser machen und transparenter – auch bei den Gebühren. «Uns sagte man: Die Schweizerinnen und Schweizer sind nicht preissensibel, wenn es um Banken geht. Wir sagten: Doch, wenn man wirklich transparent ist, schon.»
Um Kosten geht es fast immer. Wer ein Bankkonto billiger anbieten will, muss die Finanzen im Griff haben. Und bereit sein, Margen zu opfern. Der Ansatz von Neon war schlank. Die Gründer kümmerten sich um Marke, Produkt und App. Das technische Bankgeschäft überliessen sie einem erfahrenen Unternehmen: der Hypothekarbank Lenzburg. Über sie erhielt Neon Zugang zum Finanzsystem. Das Ergebnis ist ein kostenloses Bankkonto mit Bezahlkarte, das alles mitbringt, was die meisten Schweizerinnen und Schweizer im Alltag brauchen.
True Wealth wurde (auch) gegründet, weil Digitec-Gründer Oliver Herren keine Bank fand
Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Felix Niederer, wenn auch in einem anderen Bereich: der Vermögensverwaltung. 2013 gestartet, gehört seine Firma True Wealth heute zu den ältesten der jungen Anbieter. Das Produkt: ein einfach verwaltetes digitales Anlagemandat, das mit Kosten von rund 0,4 Prozent deutlich unter dem liegt, was Banken selbst für eine simple Vermögensverwaltung verlangen. Beim Start ein revolutionärer Ansatz, von dem selbst Niederer sagt, er sei im Jahr 2014 wohl zu früh damit gewesen. Und der noch heute radikaler ist als das, was die meisten Banken ihrer Kundschaft anbieten, weil er sich auf das Wichtigste konzentriert und alles andere weglässt.
Als Partner holte Niederer Oliver Herren mit an Bord. Dieser war über den Teilverkauf des von ihm mitgegründeten Onlinehändlers Digitec an Geld gekommen und suchte nicht zuletzt selber nach einer Bank. Für jemanden wie Herren habe es damals keine passenden Angebote gegeben, sagt Niederer. «Es gab keine Bank, die eine digitale Lösung hatte, bei der man sich einloggen und alles nachvollziehen konnte.»
Und es gab kaum Industriepartner für einen voll digitalisierten Vermögensverwalter. «Damals existierte in der Schweiz nur gerade eine Bank, die uns die notwendigen Digitalschnittstellen zur Verfügung stellen konnte», erzählt Niederer. Und so übernahm die Saxo Bank diese Funktion.
Heute verwaltet True Wealth 1,7 Milliarden Franken
True Wealth war kein sofortiger Erfolg. «Relativ lange hatten wir zwar starke Wachstumsraten, waren aber im Vergleich zu den Banken immer noch sehr klein», erzählt Niederer. «Du startest mit null, dann hast du irgendwann mal 50 Millionen verwaltete Vermögen, dann 100 Millionen – aber mit 100 Millionen kannst du noch kein Team bezahlen.» Inzwischen liegen 1,7 Milliarden Franken in den Depots von True Wealth, seit einem Jahr auch dank des eigenen Säule-3a-Angebots.
True Wealth ist etabliert. Viele Banken haben den Ansatz kopiert, mit wenig Aufwand Geld delegiert anlegen zu lassen. Wenn auch meist noch immer zu deutlich höheren Kosten.
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Kopieren und kopiert werden – das ist ein Kernelement im Banking. Innovation lässt sich in dieser Branche nicht patentieren. Eine Kreditkarte einfach in der App sperren? Sah man zuerst bei Revolut, dann bei den Schweizer Neobanken. Heute können das die meisten Banken. Ein Konto digital eröffnen? War in der Schweiz zuerst bei Neon möglich und noch vor wenigen Jahren die Ausnahme. Heute können das selbst Vermögensverwaltungsbanken wie Vontobel.
Doch kaum einer wurde so radikal kopiert wie Daniel Peter, der mit seiner Viac das Modell für die moderne 3a-Anlage geliefert hat. Viac gibt es seit 2017. Zwei Dinge wollte der Baselbieter ändern: Wie Niederer störte sich Peter daran, dass das Alterssparen damals noch mit viel Papier und persönlichem Kontakt verbunden war. Dass die Gebühren hoch waren. Vor allem aber: dass die Gelder sehr defensiv angelegt wurden. Auf Bankkonten oder in teuren Fonds mit tiefem Aktienanteil.
In der Branche galt die Annahme, dass im 3a-Bereich keine 100-prozentigen Aktiendepots erlaubt seien. Eine Fehlannahme, wie sich zeigen sollte. «Die Konkurrenz hat sich nicht die Mühe gemacht, die regulatorischen Rahmenbedingungen zu verstehen – das war unser Vorteil», sagt Peter. Er studierte die Regeln genauer als die anderen. Und so war Viac nicht nur die erste digitale 3a-App, sondern auch der erste Anbieter, der in der Altersvorsorge das volle Risiko möglich machte. Und damit auch höhere Renditen.
Die ZKB nahm Viac als Blaupause für Frankly
Kopiert wurde Viac von einer, die Peter eigentlich als Partnerin mit ins Boot holen wollte: der Zürcher Kantonalbank. 2020 lancierte diese mit einer breit angelegten Werbekampagne ihren Viac-Klon Frankly. Mit dem in der Branche kolportierten Werbeetat hätte man ein ganzes Fintech gründen können.
Indirekt habe man aber davon profitiert, dass die Staatsbank mit so viel Aufwand die digitale 3a-Anlage bewarb, sagt Peter. «Am Ende zeigt es nur, dass wir etwas richtig gemacht haben, wenn wir kopiert werden.»
Auch Peter konnte das Banking nicht alleine disrumpieren. Zwar ist seine Viac ein eigenständiges Unternehmen, mit der Bank WIR hatte sie jedoch von Anfang an eine etablierte Partnerin. Die Bank habe das Potenzial von Viac schnell erkannt, sagt Peter. «Aber es half natürlich auch, dass sie kein eigenes Wertschriftengeschäft hatte und sich von uns somit nicht angegriffen fühlen musste.»
«Die grossen Innovationen laufen ausserhalb der grossen Banken ab», konstatiert auch Bankenprofessor Andreas Dietrich von der Hochschule Luzern. Er sieht mehrere Gründe dafür: Alte Systeme und Strukturen bremsten viele Banken, Start-ups könnten frei davon agieren. Auch gebe es oft kulturelle Gründe, warum Bestehendes nicht hinterfragt werde. Vor allem aber sei da immer die Angst vor der Kannibalisierung. «Banken haben bestehende Einkommensströme und zögern, neue Dinge einzuführen, die diese gefährden», so Dietrich. «Start-ups haben da nichts zu verlieren.»
«Die etablierten Banken waren oft zufrieden – diese Zufriedenheit hat uns den Raum gegeben», sagt auch Neon-Gründer Kirscheneder. Und Niederer von True Wealth, der einst als Portfoliomanager bei der Privatbank LGT gearbeitet hat, hält fest: «Die etablierten Banken verdienen so viel Geld, dass sie sich gar nicht vorstellen können, auf diese Margen zu verzichten. Es ist rational, aber nicht innovativ.»
Für die Gründer scheint die Rechnung aufgegangen zu sein. True Wealth sei heute rentabel, sagt Niederer. Auch bei Neon sind die schwarzen Zahlen in Sicht. «Wir hatten dieses Jahr schon mehrere schwarze Monate», so Kirscheneder. «Es war nie eine Frage, ob man damit Geld verdienen kann – sondern nur, wann.» Und Viac hat sich mit mittlerweile mehr als 4 Milliarden Franken Kundenvermögen definitiv etabliert und arbeitet jetzt daran, das Angebot auszuweiten.
Revolut hat viele schockiert: Bald eine Million Kunden und Kundinnen in der Schweiz
Den Augenöffner lieferte jedoch eine andere: Revolut, die Firma aus Grossbritannien, die in Europa den Markt für günstige Bankdienstleistungen geprägt hat wie kaum eine. In der Schweiz wurde sie von vielen lange weggelächelt. Gratiskonto, günstige Wechselkurse, kaum Gebühren – das könne nicht aufgehen, so die Meinung rund um den Zürcher Paradeplatz. Erstmals als Konkurrentin wahrgenommen wurde Revolut, als die Schweizer Banken meinten, die Bezahl-Apps von Google und Apple boykottieren zu können. Als die Briten dann aber am laufenden Band Konten für Schweizerinnen und Schweizer eröffneten, gaben die hiesigen Banken ihren Widerstand auf.
Mit 50 Millionen Kunden und Kundinnen weltweit ist Revolut heute ein Riese, aber auch in der Schweiz hat das Unternehmen Spuren hinterlassen. Nicht nur kommt heute kaum noch ein Konto mit Features aus, die einst von den Briten eingeführt wurden; Revolut ist auch ganz direkt im Swiss Banking angekommen: Vor kurzem schockierte das erst 2015 gegründete Fintech den hiesigen Bankenplatz mit einer Zahl: Bereits mehr als 900’000 Schweizerinnen und Schweizer haben ein Konto bei Revolut. So schnell wird der unbequeme Konkurrent nicht mehr verschwinden. Gemessen an den Gebühren haben die klassischen Banken noch einiges aufzuarbeiten.