Die meisten Firmenkonkurse sind auf Fehlentscheide und ganz selten auch auf Pech zurückzuführen. Doch in einigen Fällen ist der Konkurs sogar gewollt und gehört quasi zum Geschäftsmodell. Diese Konkursreiter reiten auf der aktuellen Pleitewelle mit, die durch die Schweizer Firmenlandschaft donnert.
«Die Verdachtsfälle steigen und wir stellen ganz klar eine Zunahme der missbräuchlichen Konkurse fest», sagt Raoul Egeli (54), Präsident des Gläubigerverbandes Creditreform. Die Zahl der Verdachtsfälle liegt inzwischen deutlich über dem Vor-Pandemie-Niveau. Allein im März waren es über 70 – Experten gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus.
Bei Konkursreitern – oft auch Firmenbestatter genannt – sind das Gastgewerbe und die Baubranche besonders beliebt. Im Gastgewerbe haben die Pleiten in den ersten drei Monaten des Jahres um 46 Prozent, auf dem Bau gar um 76 Prozent zugenommen, wie eine Studie des Wirtschaftsinformationsdienstes Dun & Bradstreet zeigt.
Covid-Kredite dürften Konkursreiterei beflügeln
Wie so eine Konkursreiterei genau funktioniert? Ein Unternehmer steckt in finanziellen Schwierigkeiten, bleibt aber dank Dumpingpreisen im Markt. Er unterlässt die Zahlung von Sozialabgaben, verkauft einen Teil des Inventars, vergrössert den Schuldenberg und springt ab, sobald die Lage zu brenzlig wird. Ab hier übernimmt der Firmenbestatter, der so lange wie möglich auf Firmenkosten Einkäufe tätigt und den letzten Firmenbesitz verhökert, bevor alles zusammenkracht.
Die Covid-Kredite könnten die Missbrauchsfälle nun noch weiter nach oben treiben, wie Egeli erwartet: 137'000 Unternehmen in der Schweiz haben vom Bund Covid-Kredite im Umfang von 16,9 Milliarden Franken erhalten. Aktuell stehen bei 92'000 Firmen nach wie vor Kredite von über 9,3 Milliarden Franken offen. «Ich gehe davon aus, dass die meisten Firmen nicht in der Lage sind, diese Kredite zurückzuzahlen», sagt Egeli.
Allein im Kanton Zürich sollen Konkursreiter gemäss der Kantonspolizei jährlich einen volkswirtschaftlichen Schaden im hohen dreistelligen Millionenbereich verursachen. Doch viele Verdachtsfälle werden gar nicht erst verfolgt, da für die Gläubiger nichts zu holen ist. «Da nur Schulden da sind, stellen die Behörden das Konkursverfahren schliesslich mangels Aktiven ein. Geschädigte müssten dann 4000 Franken vorschiessen, damit das Verfahren wieder aufgenommen wird», sagt Roland Berli (63).
«Neues Gesetz wird ein wenig zum zahnlosen Tiger»
Berli arbeitete 18 Jahre lang bei der Kantonspolizei als Ermittler und führt seit mehr als zwei Jahrzehnten ein Treuhandbüro in Hinwil ZH. Weil seine Kunden auch schon Opfer von Konkursreitern geworden sind, schreibt er derzeit eine Dissertation zum Thema.
Der Bund will die Konkursreiterei mit einem Massnahmenpaket im nächsten Jahr erschweren. Berli hat das Paket in einer Expertenbefragung unter die Lupe genommen. «Das neue Gesetz wurde in der Vernehmlassung für eine zielgerichtete Strafverfolgung zu stark zurückgestutzt. So wird es ein wenig zum zahnlosen Tiger», fasst er das Ergebnis zusammen.
Kleine Verbesserungen seien aber trotzdem zu erwarten: So sollen Netzwerke mit Strohleuten und Drahtziehern künftig einfacher erkennbar sein, indem die Datenbank für Rechtseinheiten mit der Personendatenbank verknüpft wird. Neu gilt für Konkursbeamte im Verdachtsfall zudem eine Anzeigepflicht. Doch die Überprüfungen sind auch eine Frage der Ressourcen. Und Konkursreiter vernichten oft die gesamten Buchführungsunterlagen, was die Strafverfolgung stark erschwert.
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