Zwei Jahre und drei Monate dauert der Ukraine-Krieg nun schon. Seine innenpolitischen Auswirkungen auf die Schweiz: Die Nation streitet wieder einmal über ihre Rolle in der Welt, über Sanktionen und über Neutralität. Kernfrage: Wie soll man sich gegenüber dem Aggressor Putin verhalten?
Wie Recherchen zeigen, werden derweil hinter den Kulissen Tatsachen geschaffen. Von der Öffentlichkeit unbemerkt, hat die Eidgenossenschaft soeben ein wichtiges Kapitel in den Wirtschaftsbeziehungen mit Russland beendet: Die Exportförderungsorganisation der Schweiz, Switzerland Global Enterprise (S-GE) genannt, schliesst ihren Standort in Moskau. Mitfinanziert vom Staat und im Auftrag von Bund und Kantonen, unterstützt die Agentur Schweizer Unternehmen im Ausland. Präsidiert wird die Organisation, einst besser bekannt unter dem Kürzel Osec, von alt CVP-Bundesrätin Ruth Metzler (59).
Einst ein Premium-Standort
Moskau galt als einer ihrer Premium-Standorte, unter der Obhut der Schweizer Botschaft wurde in Russlands Hauptstadt 2002 feierlich ein sogenannter Swiss Business Hub eröffnet. S-GE unterhält zusammen mit dem Seco und dem Aussendepartement weltweit rund 20 solcher Hubs – an Orten, wo man sich grosse Wachstumsmöglichkeiten erhofft. Das Netz reicht von São Paulo über Stuttgart (D), Dubai und Mumbai (Indien) bis Seoul.
Mit dem täglichen Völkerrechtsbruch durch die Russische Föderation jedoch nahm die Kritik an ihren Aktivitäten in Moskau zu. Die Vorstellung, dass die Schweiz wirtschaftliche Aktivitäten in Putins Reich fördert, stiess zunehmend auf Unverständnis. In den letzten Monaten stieg der öffentliche Druck. Nun hat die Organisation die Reissleine gezogen.
Auf Anfrage bestätigt eine Sprecherin Recherchen von Blick: «Der Verwaltungsrat von S-GE hat entschieden, dass der Swiss Business Hub Russland geschlossen werden soll.» Weiter wird betont, dass die Organisation seit Ausbruch des Krieges die russische Wirtschaft keineswegs unterstützt habe. «Seit Beginn der Militärinvasion im Februar 2022 hat S-GE sämtliche Standardexportförderaktivitäten für oder im Markt Russland gestoppt.» So bewerbe man etwa keine Geschäftsopportunitäten oder führt keine Messebeteiligungen durch. «Im Rahmen der Standortpromotion unterstützen wir entsprechend keine Anfragen und Ansiedlungsaktivitäten von oder für russische Firmen.»
Hilfe beim Einhalten der Sanktionen
Stattdessen hat sich die Business-Agentur nach eigenen Angaben in den letzten zwei Jahren in Russland zu einer Art Servicedienst für verbliebene Firmen entwickelt, die sich neu orientieren müssen: «Seit Beginn des Krieges unterstützt S-GE Schweizer Unternehmen darin, die gegen Russland getroffenen Sanktionen einzuhalten, oder darin, sich aufgrund des Kriegs ausserhalb von Russland neu auszurichten.»
Die Nachfrage von Unternehmen nach Unterstützung in diesem Bereich sei in den ersten Monaten nach Beginn des Krieges hoch gewesen «und ist danach stark eingebrochen». Dieser massive Rückgang der Nachfrage habe nun den Anlass gegeben, den Standort zu schliessen.
Die Exportförderer wollen ihre Kräfte statt in Russland künftig anderswo konzentrieren: «S-GE muss ihre Ressourcen in denjenigen Märkten einsetzen, wo die grösste Nachfrage besteht bzw. wo eine Präsenz vor Ort den grössten Mehrwert für die Schweizer Aussenwirtschaft bietet.» Die Zuteilung der Ressourcen an die jeweiligen Standorte werden «jährlich überprüft».
Schweiz ein «feindseliger Staat»
Mit diesem Schritt entfernt sich Bern ein weiteres Stück von der Russischen Föderation. Für die ohnehin belasteten bilateralen Beziehungen wird dies ein weiterer Dämpfer sein. Russlands Aussenminister Sergei Lawrow (74) bezeichnet die Schweiz als «feindseligen Staat», und angesichts der anstehenden Ukraine-Konferenz Mitte Juni auf dem Bürgenstock schimpft Putins Gefolgsmann Dmitri Medwedew (58) in den übelsten Worten über den Amerika-hörigen Westen und die «idiotische Friedenskonferenz».
Solche Äusserungen markieren einen dramatischen geopolitischen und weltwirtschaftlichen Wandel. Als der Swiss Business Hub 2002 in Moskau als erster Standort in Osteuropa unter Aussenminister Joseph Deiss (78) seine Tore öffnete, herrschte Aufbruchstimmung. Ökonomen schwärmten von den Bric-Staaten, den aufstrebenden Volkswirtschaften Brasilien, Russland, Indien und China. Westliche Politiker erkannten in den ehemaligen Blockfreien neue Verbündete. Heute gehört die Regierung im Kreml einem Bündnis von autokratisch regierten Nationen an, die sich einen Handelskrieg mit den USA und ihren Partnern liefern.