Auf einen Blick
Der erste Job ist eine grosse Sache, ich konnte es nach der KV-Lehre kaum erwarten. Aber sagen wirs mal so: Es lief nicht besonders gut. In neun Monaten schrieb ich über 100 Bewerbungen.
Die Absagen kamen schnell, einmal schon nach zehn Minuten. Da war ich mir sicher: künstliche Intelligenz. Ich bin ein positiver Mensch, aber so etwas frustriert mich. Es soll sich wenigstens ein Mensch die Mühe machen, mich auszusortieren. Ein anderes Mal durfte ich Probe arbeiten. Danach hiess es, ich sei zu unerfahren und jung. Mein Alter stand aber im Lebenslauf.
Die Eigenwerbung half leider nicht
Wenn keine Rückmeldung kam, habe ich die Arbeitgeber jeweils angerufen. So konnte ich zeigen, dass ich freundlich und kommunikativ bin – etwas Eigenwerbung kann nicht schaden. Geholfen hat es leider auch nicht. Bei so vielen Absagen fragt man sich irgendwann schon, woran es liegt.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Theoretisch müsste ich meinen Rollstuhl bei der Bewerbung nicht erwähnen. Er hat keinen Einfluss auf meine Arbeit, ich kann ja problemlos telefonieren oder beraten. Aber welchen Sinn hat es, wenn ich beim Vorstellungsgespräch nicht einmal ins Gebäude komme?
Aus Kolumbien in die Schweiz adoptiert
Bei der Geburt bekam ich zu wenig Sauerstoff und hatte eine Hirnblutung. Aus diesem Grund habe ich heute eine Cerebralparese. Meine leiblichen Eltern haben mich als Kleinkind zur Adoption freigegeben, so bin ich aus Kolumbien in die Schweiz gekommen.
Meine rechte Körperhälfte kann ich gut bewegen, die linke nur stark eingeschränkt. Aber wieso sollte ich mich über Dinge ärgern, die ich nicht ändern kann? Lieber konzentriere ich mich auf all das, was möglich ist.
Seit über zehn Jahren spiele ich Powerchair Hockey im Elektro-Rollstuhl, seit zwei Jahren als Captain unseres Teams. Daneben lerne ich mit einer Sprachapp Spanisch. Es ist schon fast peinlich, als José aus Südamerika die Sprache nicht zu sprechen! Eine Reise nach Kolumbien steht auf meiner Bucketlist. Irgendwann, wenn ich es mir leisten kann.
Ein Fund im Internet
Über meine Finanzen musste ich mir während der Stellensuche zum Glück keine Sorgen machen. Ich wohne noch bei den Eltern, die sind geduldig und verständnisvoll. Eine Weile konnte ich sogar zurück zum alten Lehrbetrieb, so bin ich nicht aus dem Arbeitsrhythmus gefallen.
Anfang Jahr bin ich dann über LinkedIn auf mitschaffe.ch gestossen – ein Personalverleih für Menschen mit Beeinträchtigung. Eine Stelle als Kundenberater bei Sunrise hat mich besonders interessiert, also traf ich den Mitschaffe-Gründer zum Gespräch. Das lief super, endlich! Auch Sunrise fand mich anscheinend sympathisch.
Schwarzer Humor ist wichtig
Seit April bin ich nun Kundenberater im Shoppi Tivoli in Spreitenbach AG. Ich arbeite 60 Prozent auf vier Tage verteilt und pendle 40 Minuten. Das ist voll okay, schliesslich kann ich zu Stosszeiten sitzen. Haha, den bringe ich oft. Die meisten Leute brauchen ein paar Sekunden und überlegen, ob sie lachen dürfen.
Ich liebe schwarzen Humor! Achtung: Treffen sich zwei Rollstuhlfahrer. Der eine fragt: «Was läuft?» Der andere sagt: «Du nicht.» Scherze sind Türöffner. Wenn ich die Initiative ergreife, ergeben sich oft schöne Gespräche.
Auch negative Erfahrungen
Es gibt auch negative Begegnungen. Ein Mann im Zug hat sich mal beschwert, weil ich seinem Velo den Platz genommen habe. Ich fragte ihn, ob er mit mir tauschen will. Eine andere Person hat mich dermassen angestarrt, dass ich ihr angeboten habe, ein Foto von mir zu machen. Meine Eltern haben mir Selbstvertrauen mit auf den Weg gegeben. Klar, auch ich bin schon in Fettnäpfchen gefahren.
Im Job habe ich noch keine schlechten Erfahrungen gemacht. Mein Team ist toll, ich habe genug Platz zum Wenden und einen tieferen Tisch. Wenn ein Kunde ein Modem zurückbringt, weise ich darauf hin, dass es bei mir etwas länger dauern könnte. Bei Stress rufe ich lieber eine Kollegin, damit ich niemanden aufhalte. Die Handyhüllen an der Wand nehmen sich die Kundinnen gleich selbst.
Einige fragen inzwischen nach mir, das freut mich riesig. Für Gespräche setzen sie sich hin, damit wir auf Augenhöhe sind. Und zur Verabschiedung kann ich mir den Spruch nicht verkneifen: «Ich bin jetzt so frech und bleibe sitzen.»