Jede vierte Immobilie kaufen Gutbetuchte, die bereits ein Eigenheim haben
Haus-Hamsterer erhöhen Preisdruck

Die Wohneigentumsquote in der Schweiz sinkt. Der Traum vom Eigenheim bleibt für immer mehr Menschen ein Traum. Gleichzeitig gibt es laufend mehr Privatpersonen, die zwei oder mehr Objekte besitzen – als lukrative Geldanlage.
Publiziert: 02.01.2022 um 01:49 Uhr
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Aktualisiert: 02.01.2022 um 11:23 Uhr
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Seit Anfang 2018 bis Ende Oktober 2021 haben die Schweizer Banken rund 280'000 Hypothekarkredite an private Haushalte vergeben.
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Thomas Schlittler

Die Preise für Wohneigentum haben sich in der Schweiz in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt. Im Jahr 2000 kostete ein Einfamilienhaus mit 160 Quadratmeter Wohnfläche 700'000 Franken. Heute sind es laut dem Beratungsunternehmen Wüest Partner 1,37 Millionen Franken.

Thomas Jordan (58), Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), warnt bereits seit Jahren vor einer Blase auf dem Immobilienmarkt. Vor zwei Wochen stellte die SNB erneut fest, dass die Hypothekarkredite und Wohnliegenschaftspreise in den letzten Quartalen stark angestiegen seien und «die Verwundbarkeit des Marktes» weiter zugenommen habe.

Robuste Schweizer Wirtschaft

Doch allen Warnungen zum Trotz: Ein Ende der Preisrallye ist nicht absehbar.

Die Schweizer Wirtschaft hat sich in der Corona-Krise einmal mehr als sehr robust erwiesen. Viele Firmen suchen zusätzliche Arbeitskräfte, und deshalb ist die Zuwanderung trotz Pandemie nicht eingebrochen. Gleichzeitig sind weniger Menschen ausgewandert. Konsequenz: Die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt bleibt hoch.

Anlagen bringen kaum etwas

Nach wie vor aktuell ist auch der Anlagenotstand. Auf dem Konto bekommen Sparer keinen Rappen mehr für ihr Geld, oft müssen sie gar draufzahlen. Auch konservative Anlagen wie Obligationen werfen kaum etwas ab. Um mit ihrem Kapital doch noch eine anständige Rendite zu erzielen, stürzen sich die Anlegerinnen und Anleger deshalb auf Aktien – und Immobilien.

Vorreiter sind Banken, Versicherungen und Pensionskassen. Sie haben in den vergangenen Jahren unzählige Grundstücke in der ganzen Schweiz aufgekauft. Zehntausende Mietwohnungen und Geschäftsliegenschaften sind entstanden, von deren Vermietung sich die institutionellen Anleger langfristig gesicherte Renditen erhoffen.

Immer mehr Privatanleger

Was in der Öffentlichkeit weit weniger Beachtung findet: Auch immer mehr Privatpersonen werden zu professionellen Vermietern. Die Credit Suisse stellte vergangenes Jahr in einer Immobilienstudie fest: «Privatanleger folgen auf der Suche nach sicheren Geldanlagen dem Beispiel finanzkräftiger Investoren und kaufen Wohnungen, um diese zu vermieten.» Und da Mehrfamilienhäuser im heutigen Umfeld kaum noch erschwinglich seien, würden in der Regel Eigentumswohnungen und Einfamilienhäuser aufgekauft.

Wie verbreitet dieses Phänomen genau ist, war lange unbekannt. Es gab schlicht keine Zahlen dazu. Erst seit vier Jahren müssen die Banken erfassen, an wen sie ihre Hypothekarkredite vergeben – beziehungsweise was die Kreditnehmer mit den erworbenen Immobilien machen.

Grundstück für Anlagezwecke

Die entsprechenden Zahlen werden von der SNB publiziert und zeigen: Seit Anfang 2018 bis Ende Oktober 2021 haben die Schweizer Banken rund 280'000 Hypothekarkredite an private Haushalte vergeben. 212'000 davon wurden für selbst genutztes Wohneigentum verwendet. 68'000 Hypothekarkredite dienten dagegen dazu, um Wohnimmobilien zu kaufen, die dann weitervermietet werden.

Damit ging jeder vierte Hypothekarkredit an Leute, die mit grosser Wahrscheinlichkeit bereits ein Eigenheim besitzen und das zusätzliche Grundstück für Anlagezwecke verwenden. «Buy to let», heisst das im Fachjargon.

Preisdruck wird erhöht

Das ist legitim. Gegen Direktanlagen in Immobilien ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Das Problem ist nur: Die Haus-Hamsterer erhöhen den Preisdruck auf dem ohnehin schon überhitzten Schweizer Immobilienmarkt zusätzlich.

Junge Familien zum Beispiel, die sich ein Eigenheim wünschen, müssen sich im Bieterkampf mittlerweile nicht nur gegen andere junge Familien durchsetzen, sondern auch gegen Gutbetuchte, die bereits ein Eigenheim besitzen.

In einer Publikation des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO), die im Sommer veröffentlicht wurde, heisst es dazu: «Selbst nutzende Eigentümer stehen mit den Anlegern im Wettbewerb und benötigen immer mehr Eigenmittel, um den Tragbarkeitsanforderungen allenfalls noch gerecht zu werden.»

Immer mehr kinderlose Paare und Pensionäre

Der durchschnittliche Immobilienkäufer im Jahr 2020 sei deshalb deutlich älter und reicher als der Käufer 2012. Zudem verschiebe sich die Besitzerstruktur überproportional zu kinderlosen Paaren und Pensionären. Die ernüchternde Schlussfolgerung des Berichts: «Für kapitalschwache Familien ist der Einstieg unmöglich geworden.»

Das Bedenkliche daran: Diese Entwicklung vergrössert die Schere zwischen Arm und Reich. Zu diesem Schluss kommen nicht etwa marktkritische Stimmen aus dem linken Lager, sondern eine kürzlich publizierte Studie der Raiffeisen-Gruppe. «Während bestehende Immobilienbesitzer und wohlhabende Haushalte stark von den Entwicklungen am Immobilienmarkt profitieren, werden grosse Teile der Schweizer Gesellschaft heute von diesem Markt ausgeschlossen», verkündete die Nummer eins des Schweizer Hypothekarmarkts vor wenigen Wochen.

Politisch brisant

Jüngere und weniger wohlhabende Haushalte könnten somit nicht von den deutlich tieferen Wohnkosten und potenziellen Wertsteigerungen, welche der Eigenheimbesitz ermöglicht, profitieren. «Die herrschende Eigenheimmarktregulierung sorgt heute für einen verstärkten Vermögenstransfer von ungebildet zu gebildet, von jung zu alt, sowie von arm zu reich», folgert Martin Neff, Chefökonom von Raiffeisen Schweiz.

Dieses Fazit ist auch politisch brisant. Schliesslich verspricht Artikel 108 der Bundesverfassung: «Der Bund fördert den Wohnungsbau, den Erwerb von Wohnungs- und Hauseigentum, das dem Eigenbedarf Privater dient.»

Es ist zumindest fraglich, ob der Staat dieses Versprechen auch im Jahr 2022 noch zufriedenstellend einzulösen vermag.

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