Zu Beginn der Corona-Pandemie fiel Pietro Vernazza (65) durch sein Polarisieren auf. «Mit Tests nach Infizierten zu suchen, bringt kaum Nutzen», sagte der Chefarzt der Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen, im April 2020. Wer Symptome einer Atemwegserkrankung habe, solle einfach zu Hause bleiben. «Er ist dann ohnehin infiziert, ob mit Corona oder mit der Grippe ist eigentlich egal.» Heute gehören Tests zu den 3-Gs des Bundes (Getestet, Geimpft, Genesen).
Am Anfang meistzitiert, ist es in den letzten Monaten ruhiger um den bekannten Infektiologen geworden. Er hielt sich mit seinen Meinungen zurück. Ob es daran liegt, dass er Ende Monat pensioniert wird? Kurz davor tritt er aber nochmals an die Öffentlichkeit, macht Hoffnung, dass wir die Corona-Pandemie bald im Griff haben.
Weniger schwere Komplikationen
«Die Corona-Impfung gehört zu den besten und effizientesten Impfungen. Auch die neusten Überwachungsdaten aus England zeigen, dass die Impfung sehr gut verträglich ist», sagt Vernazza im Interview mit der «Schweiz am Wochenende». Mit Blick auf die gesamte Population führe die Impfung zu einer Abnahme der schweren Verläufe. «Und das ist der Grund, weshalb die Impfungen zu unseren wirksamsten Massnahmen gehört. Ein Glück, dass wir sie haben.»
Die Frage sei, wie lange Corona uns noch plage und «wie lange wir uns noch als Gesellschaft mit der Krankheit plagen». Er befürchte dass es länger gehen könnte. Aber: «Ich rechne für den Winter bezüglich Covid nicht mit schwerwiegenden Problemen.» Der Grund: Wer geimpft ist oder die Krankheit durchgemacht hat, dürfte seltener mit schweren Komplikationen rechnen.
Corona wird nicht verschwinden
Vernazza stellt in der «Schweiz am Sonntag» aber auch klar: «Covid-19 wird nicht verschwinden!» Der häufig verwendete Begriff Herdenimmunität passe schlecht für das Coronavirus. «Das Virus kann sich erfolgreich verändern, sodass unsere Antikörper unwirksam werden.» Sorgen macht derzeit die rasche Verbreitung der Delta-Mutation des Coronavirus. Mit der Herdenimmunität bezeichne man einen Zustand, so Vernazza, bei dem es eigentlich keine Ausbrüche mehr geben könne.
So rechnet der Infektiologe auch in Zukunft immer wieder mit Impfdurchbrüchen. Wenn es trotzdem zu einer Infektion komme, habe der Körper aber durch die Impfung eine zelluläre Immunantwort parat – «die Infektion verlaufe dadurch milder».
Vernazza: «Es ist wirklich ein ‹lucky punch›, dass die Impfung gegen Corona derart schnell da war.»