St. Galler Chef-Infektiologe Pietro Vernazza stellt sich gegen flächendeckende Corona-Tests
«Sie kosten viel und bringen wenig»

Wenn es darum geht, die Corona-Epidemie zu besiegen, werden oft flächendeckende Tests als Lösung genannt. Pietro Vernazza, Chefarzt Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen, hält davon wenig.
Publiziert: 13.04.2020 um 22:59 Uhr
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Aktualisiert: 14.04.2020 um 03:05 Uhr
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Chefarzt Pietro Vernazza vom Kantonsspital St. Gallen sagt: «Mit Tests nach Infizierten zu suchen, bringt kaum Nutzen.» Man müsse die Toten und Hospitalisierten zählen, um die Epidemie zu überwachen.
Foto: zvg
Fabian Vogt

Testen, Testen, Testen. So lässt sich die Corona-Strategie vieler Länder und Experten zusammenfassen. Wer viel testet, wie Südkorea, wird gelobt. Wer nachlässig ist, schief angeschaut. Der Gedanke dahinter: So viele Infizierte wie möglich finden, um ein umfassendes Bild der Epidemie zu erhalten. Daraus sollen sich dann Massnahmen für die Bekämpfung ableiten lassen. ETH-Epidemiologe Marcel Salathé etwa sagt zu BLICK: «Ohne breit angelegtes Testen fliegen wir blind. Jede Kontrollstrategie wird ein hochpräzises Bild der epidemiologischen Situation benötigen.»

Pietro Vernazza, Chefarzt Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene am Kantonsspital St. Gallen, hält wenig von dieser Strategie. «Mit Tests nach Infizierten zu suchen, bringt kaum Nutzen.» Wer Symptome einer Atemwegserkrankung habe, solle einfach zu Hause bleiben. «Er ist dann ohnehin infiziert, ob mit Corona oder mit der Grippe ist eigentlich egal.» Zudem finde man mit den Tests nur etwa die Hälfte der Corona-Infizierten, weil die andere Hälfte die Krankheit bereits weitergeben würde, bevor sie Symptome zeigen. Sein Fazit: «Die Abstriche sind zur Verhinderung der Krankheitsübertragung nicht tauglich.»

«Wenig Zusatznutzen verglichen mit einer Heimisolation»

Hinzu kommen weitere Ungenauigkeiten, etwa dass Personen gelegentlich auch eindeutig eine Lungenentzündung hätten, aber der Test negativ ausfalle. «Ich bin daher gegen einen teuren Test, wie Salathé und andere das vorschlagen. Ein solcher bringt verglichen mit einer Heimisolation von symptomatischen Personen wenig Zusatznutzen. Ein Test kostet rund 200 Schweizer Franken, wir haben dafür schon über 40 Millionen Franken ausgegeben.»

Einig geht Vernazza mit Salathé, dass die Epidemie überwacht werden muss. Der Ostschweizer bevorzugt dafür aber den vom BAG eingeschlagenen Weg: «Die Zahlen der Toten und Hospitalisierten sind aussagekräftiger als die geschätzte Zahl der Infizierten.» Diese würde nur aussagen, wie viel ein Land testet, nicht aber, wie gut es im Kampf gegen Corona unterwegs sei. Längerfristig am wichtigsten würde aber ohnehin die Anzahl der immunen Personen sein. Der dazu verwendete Antikörpertest koste auch nur einen Bruchteil des Virustests.

«Massnahmen lockern, auch wenn weiter Infektionen auftreten»

Auch wenn Vernazza beim Testverfahren auf das BAG hört, so zieht er aus den Ergebnissen nicht zwingend die gleichen Schlüsse. Seine Lösung für das Ende des Lockdowns klingt anders, als die vom Bundesamt für Gesundheit seit Wochen propagierten Durchhalteparolen. Vernazza: «Die Infektionen werden weiter zurückgehen. Aber Menschen werden noch länger am Coronavirus sterben. Dies kann man nicht verhindern, und das war auch nie der Sinn des Lockdowns, sondern man wollte Engpässe in den Spitälern vermeiden, damit kritische Patienten geheilt werden können.» Dies sei gelungen. Nun müsse man aber zulassen, dass die Massnahmen gelockert werden, auch wenn dadurch weiterhin Infektionen auftreten werden. Denn die andere Option ist für Vernazza schlimmer: «Ansonsten müssten wir bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffs den Lockdown beibehalten. Und das funktioniert weder wirtschaftlich noch gesellschaftlich.»

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