Sie ist die Dirigentin des Zuger Krypto-Valleys: Tracy Trachsler (29) trägt den Titel Managing Director bei Crypto Valley Labs (CV Labs), einem Coworking-Büro direkt neben dem Bahnhof Zug. Es ist das Herzstück des schwer fassbaren Krypto-Valleys. Ein Ökosystem bestehend aus fast 1200 Blockchain-Firmen, das sich seit seiner Entstehung 2015 über die Zentralschweizer Alpen bis nach Liechtenstein erstreckt.
«Wir sind der Knotenpunkt der Szene. Bei uns laufen die Fäden zusammen», sagt Trachsler. Seit zwei Jahren ist die schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin bei CV Labs. Seither hat sie überall ihre Finger im Spiel. Workshops organisieren, Leute connecten, die Coworking-Büros in Zug, Kapstadt (Südafrika), Berlin und Vaduz managen. Und nebenbei stellt sie auch noch Events auf die Beine – an internationalen Konferenzen wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos. «16- oder 18-Stunden-Tage kommen vor. Aber das macht mir nichts aus», sagt sie. «Ich mag das Start-up-Feeling.»
Das vibrierende Gefühl eines jungen Unternehmens, das viel wagt und Neues schafft, sucht man bei CV Labs in diesen Tagen jedoch vergebens. Keine Tischtennis- oder Billardtische. Stattdessen leere Gänge und viele verlassene Coworking-Büros. An der grossen Bar im obersten Stock ist das Bier nur Dekoration. Wo sind die 150 Unternehmen und ihre Mitarbeitenden, die hier eingemietet sein sollen? «Die Leute sind viel unterwegs», sagt Trachsler, als sie am verlassenen Büro von Cardano vorbeiläuft – einem der grössten Kryptoprojekte der Welt. «Das liegt an den dezentralen Strukturen unserer Branche, man kann von überall arbeiten.»
Erste Blockchain-Lehre der Schweiz
Robin Röösli (26) ist einer der wenigen, der da ist. Der Aargauer bietet mit seinem Unternehmen TIE International die erste Blockchain-Lehre der Schweiz an. «Die Firmen aus dem Krypto-Valley schicken jährlich rund 40 Lernende zu uns. Und wir bilden selber noch zehn Lernende aus», erzählt Röösli bei einer Tasse Kaffee. Die Teenager absolvieren bei ihm eine vierjährige Informatik- und Mediamatiklehre, erweitert um den Fokus auf die Blockchain-Technologie. Talente, die das Krypto-Valley dringend braucht.
Die Branche ist seit 2015 förmlich explodiert. Schweizweit gab es im vergangenen Jahr über 1100 Start-ups, die sich mit der Blockchain-Technologie befassen – mehr als die Hälfte davon in Zug. Der Sektor hat in der Schweiz bereits 6000 Arbeitsplätze geschaffen. Und die 50 grössten Kryptofirmen hierzulande werden laut dem aktuellen Crypto Valley Venture Capital (CV VC) Top 50 Report mit über 600 Milliarden Dollar bewertet – viermal mehr als im Vorjahr.
100'000 Franken für eine Fachkraft
Beeindruckende Zahlen, die Zug zum Krypto-Epizentrum der Welt machen. Damit das Krypto-Valley weiter wachsen kann, braucht es ausgebildetes Personal in der Schweiz. Das Problem: Die Talente sind rar – jene der ETH und anderen Top-Universitäten landen oft bei Google oder dem Facebook-Mutterkonzern Meta in Zürich. Die Blockchain-Unternehmen müssen auf Headhunter zurückgreifen. Das geht ins Geld. Um nur einen einzigen Job zu besetzen, braucht es laut Robin Röösli Investitionen von 50'000 bis 100'000 Franken. «Deshalb ist diese Lehrlingsausbildung so wichtig und eine riesige Chance», sagt er. «Wir schaffen Fachkräfte. Und wer bei uns eine Lehre absolviert, der hat sehr gute Karten auf dem Arbeitsmarkt.»
Michel Studer (16) aus Zürich ist im zweiten Lehrjahr. «Ich wusste zuerst gar nicht, was Blockchain ist. Aber Bitcoin hat mich interessiert – also habe ich mich beworben», sagt er. Nach nur einem Jahr versteht er die Blockchain bereits besser als 99 Prozent der Schweizer Bevölkerung. «Diese Lehre ist eine riesige Chance, die mir viele Türen öffnen wird», ist er überzeugt. Das hat er auch seinen Eltern so erklärt. «Sie verstehen zwar nicht, was ich tagtäglich mache», sagt Studer und lacht. «Aber sie unterstützen mich.»
Das grösste NFT-Spiel der Welt ist in Zug
Tracy Trachsler hat derweil auf ihr Mittagessen verzichtet. Anstelle der Pause nahm sie an einem Workshop teil. Die rund 40 Teilnehmenden sind am frühen Nachmittag bereits wieder verschwunden. Zurück bleibt im obersten Stock – direkt neben der verlassenen Bar – nur ein grosses, weisses Einhorn. «Unsere Inspirationsquelle», sagt Trachsler leicht verlegen, während sie das Einhorn auf Bitten des Fotografen streichelt. Sie macht klar: «Ich setze mich garantiert nicht darauf, sonst fällt das noch zusammen.»
Das Einhorn ist in der Start-up-Szene das Sinnbild für Unternehmen mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde Dollar. Davon gibts in Zug mittlerweile 14, im Vorjahr waren es noch acht. «Wir sind noch kein Einhorn, aber die tägliche Erinnerung im vierten Stock bringt uns hoffentlich dahin», sagt Sarojini McKenna (40). Sie ist Mitgründerin von «Alien Worlds», dem grössten NFT-Spiel (Non-Fungible Token) der Welt. Ein Onlinespiel im Metaverse, bei dem man auf verschiedene Planeten reist, gegen Gegenspieler kämpft und virtuelle Gegenstände erspielen kann.
«NFT-Spiele bieten den Spielern – nebst dem Vergnügen – auch die Möglichkeit, frei über ihre In-Game-Güter zu verfügen und gegebenenfalls sogar Geld damit zu verdienen», sagt McKenna. Die Spieler können ihre virtuellen Besitztümer mit Kryptowährungen handeln – und sich anschliessend auszahlen lassen. Sechs Millionen Menschen haben «Alien Worlds» laut McKenna schon gespielt. 200'000 User seien täglich dabei. «Das ist kein Hype, sondern ein Trend», meint die Kanadierin. Sie ist überzeugt: «Wir werden weiter wachsen.»
«Die Blockchain wird unsere Leben verändern»
In Zug streben die Firmen nach dem Einhorn – und kreieren dabei manchmal auch Luftschlösser. Das streitet im Krypto-Valley niemand ab. Auch nicht Tracy Trachsler: «Wir investieren nur in Blockchain-Firmen, die einen wirklichen Anwendungsfall haben.» Sie meint damit den Blockchain-Inkubator, mit dem ihre Firma in junge Start-ups investiert. Das zweite Standbein von CV Labs neben den Coworking-Büros.
Trotz der guten Laune, die im Krypto-Valley gern verbreitet wird: Die Blockchain-Technologie ist noch nicht im Alltag angekommen. Bislang wird sie – abgesehen von Kryptowährungen und NFT-Spielen – erst für die Organisation von Lieferketten verwendet. Trachsler bleibt überzeugt: «Die Blockchain wird unsere Leben verändern.»
Als sie vor vier Jahren in die Kryptoszene kam, sei das eine geschlossene Gesellschaft gewesen, erinnert sie sich. «Das hat sich verbessert, aber wir müssen alle abholen.» Jeder solle verstehen, wie man beispielsweise ein digitales Portemonnaie verwalten könne. «Das ist vielleicht unsere grösste und wichtigste Aufgabe hier in Zug.»