Dank ihr wird das Leid der Verkäuferinnen in der Schweiz sichtbar: Die freischaffende Historikerin und Publizistin Elisabeth Joris (74) hat zusammen mit der Juristin Rita Schmid das Buch «Damit der Laden läuft» herausgegeben.
Das Thema Frauenarbeit liegt Joris am Herzen: Sie hat bereits zahlreiche wissenschaftliche Beiträge und mehrere Bücher dazu veröffentlicht – und engagiert sich als Vizepräsidentin der Stiftung für Erforschung der Frauenarbeit. Mit SonntagsBlick hat Joris über Frauenfeindlichkeit in der Wirtschaft, Mindestlöhne und die Verantwortung der Kunden gegenüber den Verkäuferinnen gesprochen.
SonntagsBlick: Elisabeth Joris, ist die Detailhandelsbranche frauenfeindlich?
Elisabeth Joris: Die Branche ist insofern frauenfeindlich, als dass sie die Tätigkeiten, die mit Frauen assoziiert sind, wenig honoriert und in dem Sinn den Frauen wenig Respekt entgegenbringt.
Wer ist für die Missstände im Detailhandel verantwortlich?
Einerseits ist es ein Problem, dass sich die Verkäuferinnen nicht untereinander organisieren. Aber auch die Kunden haben eine Verantwortung. Sie müssten zeigen, dass sie froh sind um die Verkäuferinnen, und fragen, warum die Arbeit so schlecht bezahlt wird. Und dann natürlich die Arbeitgeber. Sie sind sich sehr wohl bewusst, dass sie am Hebel sitzen. Aber die Rendite ist oft wichtiger als die Arbeitsbedingungen.
Was ist mit der Politik?
Die müsste Mindestlöhne ansetzen. Sie reagiert aber erst, wenn die Gesellschaft Druck ausübt. Leider gibt es in der Gesellschaft keine Solidarität für das Verkaufspersonal. Im Gegenteil, die Arbeit von Detailhandelsangestellten wird kaum wertgeschätzt.
Warum?
Oft nehmen wir das Verkaufspersonal gar nicht richtig wahr. Daraus resultiert Gedanken- und Respektlosigkeit. Ein Problem ist auch unsere Sicht auf die Produkte. Wenn ich Wegwerfartikel habe, die ich im Laden einfach hinschmeissen kann, färbt der respektlose Umgang damit ab – und wird auf die Verkäuferinnen übertragen.
Was muss sich ändern?
Die Geschäfte müssen signalisieren, dass der Kunde eben nicht König ist. Die oberste Regel eines Filialleiters muss sein, dass dem Personal Respekt entgegengebracht wird. Hält sich ein Kunde nicht daran, müsste es Konsequenzen haben – zum Beispiel, dass er nicht mehr in dieser Filiale einkaufen gehen darf. Gerade die Grossverteiler hätten die Möglichkeit, das durchzusetzen.
Die Bedingungen könnten auch mithilfe von Gewerkschaften verbessert werden. Nur zehn Prozent der Verkäuferinnen sind aber einer angeschlossen. Warum?
Nicht wenige aus Angst. Aber auch weil Verkäuferinnen häufig kein Selbstverständnis von sich als Verkäuferinnen haben und denken, ihr Beruf sei schlecht. Diese Einschätzung färbt ab und so glauben viele, sie seien wirklich nur wenig wert.
Wie könnte man das ändern?
Es müsste wohl bereits in der Ausbildung vermittelt werden, dass man sich in der heutigen Arbeitswelt einer Gewerkschaft anschliessen sollte.