Konzentriert blickt der Lokführer der S11 Richtung Aarau aus dem Führerstand. Er drückt wortlos Knöpfe, bedient Regler, beschleunigt oder bremst. Während der Fahrt ist es ihm nicht erlaubt, mit anderen Personen zu sprechen. Links neben ihm, an der Armatur, hängt ein iPad. Auf dessen Bildschirm sind alle Informationen zur aktuellen Zugfahrt zu sehen. Im April kam eine zusätzliche dazu: Neu sieht er auch auf die Sekunde genau, wie pünktlich sein Zug unterwegs ist.
«Momentan sind wir eine Minute und 23 Sekunden zu spät», sagt Markus Kröpfli (63) zu Blick. Er steht zeitgleich in der 2. Klasse, wenige Meter hinter dem Führerstand. Kröpfli ist ebenfalls Lokführer. Weil er aber nicht fährt, darf er sprechen. Auch in seinen Händen liegt ein iPad. Darauf aktualisieren sich die Zahlen fortlaufend. Kurze Zeit später sind es bereits dreissig Sekunden mehr Rückstand.
Ausgeklügeltes System seit drei Jahren
Die Neuerung der SBB erweitert Massnahmen, die bereits seit drei Jahren im Einsatz sind: 2020 führten die SBB das System vPRO ein. Es erstellt für jede Zugfahrt rund zwei Stunden vor der Abfahrt ein angepasstes Fahrprofil. Ob Weichen, Baustellen oder Bahnhöfe: Für jeden Streckenabschnitt wird eine empfohlene Geschwindigkeit berechnet. So soll der Zug möglichst wenig bremsen oder beschleunigen. Dadurch kommen die Zugpassagiere zum einen effizienter, sprich pünktlicher, an ihren Zielbahnhof – zum andern spart es Energie.
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Denn weil das Zugnetz wächst, müssen die SBB sparsamer werden. Dank Massnahmen, wie etwa vPRO, sind sie auf gutem Weg: Der Energieverbrauch des Streckennetzes konnte in den letzten 13 Jahren um vier Prozent reduziert werden – obschon heute 15 Prozent mehr Züge verkehren.
Wo die Technik nicht mehr weiter weiss
«Vor 2020 hatten die Lokführer nur die maximale Streckengeschwindigkeit und die Reisezeit zur Verfügung», erklärt Roland Aeschbacher, Projektleiter Energieeffizienz. So musste sich jeder Lokführer selbst an die optimale Fahrweise herantasten. Für die Stabilität des Gesamtnetzes sei dies nicht gut gewesen. Deshalb übernimmt heute die Technik diese Aufgabe. «Für uns Lokführer ist das schon sehr praktisch», sagt Kröpfli.
Die neue Pünktlichkeitsanzeige soll den Lokführern nun zusätzlich ermöglichen, auf unerwartete Bedingungen zu reagieren. Dort, wo die Technik nicht mehr weiter weiss. Sorgt etwa Regen auf den Schienen für eine langsamere Beschleunigung, ist eine rasche Korrektur möglich. Zudem kann auf zu lange Passagierumstiege oder technische Störungen reagiert werden.
Die Deutschen sind neidisch
Unter den Journalistinnen und Journalisten, die am Donnerstagvormittag das neue SBB-Tool begutachten, ist auch eine aus Deutschland. Die Radiojournalistin des Südwestrundfunks wisse schon jetzt, wie neidisch die Zuhörerinnen und Zuhörer sein werden, wenn sie ihren Beitrag hören werden. «Weshalb ist euch die Pünktlichkeit so viel wichtiger, als der Deutschen Bahn?», fragt sie Kröpfli. Dieser lächelt verlegen.
Ein wenig später kommt der Zug in Aarau an. Vierzig Sekunden zu früh. «Das ist zwar gut für die Fahrgäste, aber nicht zwingend für uns», sagt ein SBB-Mitarbeiter. Denn für ein effizientes Streckennetz benötigt es exakte Reisezeiten.