Zu viele Halbtax und GA?
«Viele Seilbahnen fühlen sich von Alliance Swisspass nicht abgeholt»

Martin Ebneter, Chef der Luftseilbahn Hoher Kasten, äussert sich ausführlich zu den Gründen des Austritts aus der Alliance Swisspass. Das beliebte Rabattsystem dürfte nicht nur bei seiner Seilbahn auf dem Prüfstand sein.
Publiziert: 25.06.2023 um 17:16 Uhr
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Aktualisiert: 25.06.2023 um 18:20 Uhr
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Die Luftseilbahn Hoher Kasten geht eigene Wege.
Foto: zvg
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Jean-Claude RaemyRedaktor Wirtschaft

Die Schweiz ist ein einzigartiges «ÖV-Land». Der vernetzte Taktfahrplan schafft eine durchgehende Transportkette über alle Verkehrsmittel – Bahn, Tram, Bus, Schiff, Seilbahn. Mitsamt vorteilhaften Billett-Angeboten.

Laut dem Verband öffentlicher Verkehr (VÖV) besitzen in der Schweiz rund 2,8 Millionen Personen ein Halbtax-Abo, dazu weitere 400'000 ein Generalabo (GA). Das ist etwa die Hälfte der «mobilen» Bevölkerung. Diese gibt dafür pro Jahr rund 400 Millionen Franken aus.

Dieses Geld wird anteilsmässig auf alle beteiligten Transportunternehmern verteilt. Es ersetzt aber in der Regel die durch den Rabatt gewährten Umsatzeinnahmen nicht 1:1 – weshalb Transportunternehmen den Ticket-Basispreis hoch ansetzen müssen.

«Nicht mehr zeitgemäss»

Vergangene Woche machte die Luftseilbahn Hoher Kasten im Appenzellerland Schlagzeilen, als sie aus dem ÖV-Verbund Alliance Swisspass austrat. Geschäftsführer Martin Ebneter (46) rechnete deswegen mit einem allfälligen Verlust von rund 15 Prozent der Kundschaft. Um dies abzufedern, passte die Bahn den Basispreis an. Dieser liegt nun tiefer als zuvor – aber für alle Gäste mit Rabatt-Abos deutlich höher.

Nun doppelt Ebneter nach. Ihm zufolge ist der ÖV mit Zug, Tram, Bus und Postauto selbstredend enorm wichtig – allerdings als Verkehrsmittel von A nach B. «Die aktuellen Tarifvorschriften sind aus unserer Sicht für den Freizeitverkehr wie bei einer Seilbahn jedoch nicht mehr zeitgemäss», so Ebneter.

Die Mitgliedschaft bei Alliance SwissPass hat nämlich zur Folge, dass Tarife und Vorschriften bei allen Transportunternehmen einheitlich angewendet werden müssen. «Mit diesen Vorgaben schauen bei uns bei einer Anhebung des Fahrpreises um einen Franken unter dem Strich nur noch ungefähr 47 Rappen pro Gast heraus», rechnet Ebneter vor. Mit solchen Vorgaben sei auch keine Dynamisierung von Fahrpreisen wie bei Wintersportgebieten, Hotels oder Flügen möglich. Das sei unbefriedigend, «auch wenn bei uns aktuell keine Dynamisierung angedacht ist», so Ebneter.

Nicht nur das: Das Halbtax wurde mit Senioren-, Jugendlichen- oder Treuerabatten massiv gepusht. «Das gibt pro Kunde weniger Geld in den Halbtax-Topf und somit weniger Entschädigung bei wachsender Anzahl Halbtax-Kunden», hält Ebneter fest.

Hohe Kosten, wenig Unterstützung

Mit einer Seilbahnfahrt bezahle der Gast nicht nur den Transport, sondern beteilige sich auch an Infrastrukturkosten. Diese muss ein Seilbahnbetrieb, anders als Transportbetriebe im Tal oder in der Stadt, selbst tragen. Dazu zählen etwa die Erschliessung des Bergs mit Wasser- und Stromanschlüssen, öffentliche WCs oder vom Bund vorgeschriebene barrierefreie Einrichtungen auf dem Gipfel.

Ein grosser Teil der Infrastrukturkosten bei Zug, Tram, Bus oder Postauto wird durch Bund, Kantone und Gemeinden getragen. Nicht so bei den Seilbahnen: Diese tragen die Kosten zu 100 Prozent oft selbst. «Bei uns im Appenzellerland erhält keine Seilbahn Unterstützungsgelder von Kantonen oder Gemeinden», sagt Ebneter. Gleichzeitig habe die Alliance Swisspass in den vergangenen Jahren bei den Vorschriften immer wieder Vergünstigungen für Kundengruppen eingeführt, die wenig bis gar nicht entschädigt werden.

Es gebe Seilbahnunternehmungen, die die Infrastrukturkosten wie bei Schienenunternehmen dem Bund anhängen möchten. «Das ist für uns keine Option, da wir komplett unabhängig bleiben möchten», so Ebneter. Der Hohe Kasten wolle «keine komplexen Systeme mit Quersubventionierungen oder Rabatten weiterführen und bewirtschaften». Mit dem zukünftigen Einheitspreis von 40 Franken geht er davon aus, dass die Bahn alle Kosten aus eigener Hand tragen kann.

Folgen andere dem Beispiel?

Jeweils bis Ende Juni können Mitglieder der Alliance Swisspass mitteilen, dass sie per Ende Jahr austreten. In diesem Jahr tritt einzig die Seilbahn Hoher Kasten aus, wie Alliance Swisspass auf Anfrage von Blick bestätigt. Gleichzeitig traten mehrere Unternehmen neu dem Halbtax-Bereich bei, beispielsweise die Télé Villars-Gryon-Diablerets SA.

Doch Ebneter weiss: «Das Thema brennt den gut 100 Seilbahnen bei Alliance Swisspass schon mehrere Jahre unter den Nägeln, und viele fühlen sich von Alliance Swisspass nicht abgeholt.» Da die Seilbahnen sehr unterschiedlich sind und nur einen sehr kleinen Teil von Alliance Swisspass ausmachen, könnten die Seilbahn-Anliegen nicht komplett eingebracht werden – «oder sind von nur geringer Bedeutung bei grossen Playern wie den SBB», so Ebneter.

Bislang hat sich noch keine andere Seilbahn zu einem derart radikalen Schritt entschlossen. Doch es wird genau beobachtet, was beim Hohen Kasten nun passiert. Christian Laesser (59), Professor und Leiter der Forschungsstelle Tourismus an der Universität St. Gallen, kann den Entscheid des Hohen Kasten nachvollziehen: «Der Austritt ist wohl immer wieder auch bei anderen Bergbahnen ein Thema.» Einen generellen Austritt der Bergbahnen erwartet er aber nicht: «Bei vielen Seilbahnen sind die Voraussetzungen ganz anders als beim Hohen Kasten.» So seien etwa Bahnen mit sehr hohen Preisen und einem hohen Anteil an ausländischen Besuchern ohne GA und Halbtax deutlich im Vorteil. Das Jungfraujoch etwa, oder Zermatt.

Letztlich müssten die Bahnen die Vorteile und Zwänge einer Mitgliedschaft in der Alliance Swisspass genau analysieren und entscheiden, wie sie Preisoptimierungen am besten umsetzen können. «Viele Schweizer Tourismusunternehmen merken, dass bei der Preissetzung noch Luft nach oben ist», sagt Laesser. Deshalb seien Pricing und damit Rabattsysteme nun auf dem Prüfstand.

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