Hunderttausende Schweizerinnen und Schweizer bekommen ein bisschen Freiheit zurück. Ein Stück Normalität. 45 Tage war das Land im Lockdown. Stillstand. Jetzt zieht wieder Leben in die Coiffeursalons, Kosmetik- und Blumenläden ein. Physiotherapie-Praxen behandeln wieder Patienten, Zahn- und Tierärzte ebenso.
In allen Kantonen laufen die Autowaschstationen wieder auf vollen Touren. Bei den Auto-Drive-ins der Fast-Food-Kette McDonald's, zum Beispiel im Letzipark Zürich, stauen sich zur Mittagszeit Fahrzeuge bis auf die Strasse. Besonders Baumärkte und Gartencenter blühen wieder auf – die Kundschaft dankt mit einem riesigen Ansturm.
Buchhandlungen, Modeläden und Velofachmärkte sowie Warenhäuser bleiben dicht. Der Bundesrat plant die Öffnung aller Geschäfte erst in zwei Wochen.
«Das tut richtig gut»
«Die Schweiz macht wieder auf. Das tut richtig gut. Die Leute freuen sich, sich wieder ein Stück Normalität in das Zuhause zu bringen», sagt Dagmar Jenni (52), Direktorin der Swiss Retail Federation. Zum grössten Verband der Detailhändler gehören die Baumärkte Hornbach, Jumbo und Landi sowie die Manor-Warenhäuser.
Jennis Bilanz zum Tag eins der Lockerung: «Trotz Ansturm und Warteschlangen ist in den Läden alles gesittet und geordnet abgelaufen. Es war ein guter Tag.» Die Detailhändler, aber auch die Mitarbeitenden freuten sich, wieder arbeiten zu können, so Jenni. Und wichtig: «Die Schutzkonzepte haben extrem gut gegriffen.» Nur wenige Kunden griffen zur Schutzmaske.
Die Migros-Fachmärkte Do it + Garden und OBI mussten zeitweise den Einlass drosseln. «Nur so konnten wir grössere Schlangen an der Kasse vermeiden», sagt Sprecher Marcel Schlatter. Bei den Bau+Hobby-Märkten von Coop gingen vor allem Tomatensetzlinge, Erden und Dünger über die Ladentheke.
Bei Jumbo in Schaffhausen war der Parkplatz eine halbe Stunde vor Türöffnung um 9 Uhr rappelvoll. Wenig später war kein einziger Einkaufswagen mehr frei. «So etwas habe ich noch nie erlebt», sagt Jumbo-Filialleiterin Bettina Huber und lacht.
Mehr zur Öffnung
In Schlieren im Kanton Zürich vor dem Bauhaus: Warteschlangen teils über 100 Meter. Der Baumarkt lenkt mit Holzpalettengattern und Wartelinien die Kundenströme. Durch Lautsprecher tönt: «Bitte halten Sie zwei Meter Abstand.»
Im Kanton Aargau gingen die ersten Türen schon vor den offiziellen Öffnungszeiten auf. BLICK trifft auf Hobbypflanzer Samuel Wernli vor einer Gärtnerei in Schinznach AG. Sein Wagen ist bis oben voll: «Wir haben einen Garten, wir wollen jetzt vorwärtsmachen.»
Coiffeure vertrösten Kunden
Vorwärtsmachen heisst es auch bei den Coiffeuren. In Chur gingen die Salons kurz nach 8 Uhr auf. Kunden buchten die Termine weit im Voraus. Wer auf gut Glück vorbeischaute, zottelte mit langen Haaren wieder ab. Kurzentschlossene brauchen jetzt Geduld, sagt Damien Ojetti (55), Zentralpräsident von Coiffure Suisse. Er stand am Montag via Chat, Handy und E-Mail mit vielen Salons schweizweit in Kontakt. Ojetti: «Es herrscht Freude über die Wiedereröffnung bei Kunden und Coiffeuren.»
Wie geht es nun weiter? «Ich rechne damit, dass der Ansturm in den nächsten Tagen wieder abflacht», sagt Detailhandelsexpertin Jenni. «Die Lust wäre da, die Unsicherheiten sind aber grösser.» Viele Menschen sind in Kurzarbeit, viele hätten Angst um ihren Job. Grössere Anschaffungen werden aufgeschoben. Der gesamte Detailhandel muss mit einem Umsatzloch von 20 Prozent in diesem Jahr rechnen.
Direktorin Jenni fordert darum, die übrigen Läden bereits vor dem 11. Mai zu öffnen. «Je schneller, desto besser ist es für alle.»