Am Rennweg in Zürich hat alles begonnen. Blick trifft André Lüthi (61) zum Interview in der Altstadt, wo der Reisekonzern Globetrotter seine Wurzeln hat. Die Lust auf Fernreisen kehrt erst langsam wieder zurück, verschiedene Risiken bedrohen die fragile Erholung der Reisebüro-Branche. Auch als Chef ist Lüthi immer noch der leidenschaftliche Globetrotter, bereist regelmässig die Traumdestinationen seiner Kunden, macht sich selbst ein Bild über die Lage vor Ort.
Blick: Sie kommen gerade aus Nepal zurück. Herrscht dort nach Corona schon wieder Aufbruchstimmung?
André Lüthi: Noch nicht. In Nepal boomt nur gerade das Geschäft mit der Besteigung des Mount Everest, dort stauen sich die Bergsteiger schon fast wieder, weil alle auf den Gipfel wollen. Aber der Trekkingtourismus, der Kulturtourismus, das lag zwei Jahre am Boden, Hotels und Restaurants sind geschlossen. Viele werden nie mehr aufmachen!
Was heisst das für die Menschen?
Erfahrene Sherpas arbeiten wieder als Bauern. Es gibt keine staatlichen Hilfsgelder, keine Kurzarbeitsentschädigung. Sie müssen selber schauen, wie sie durchkommen. Die einzige Unterstützung ist die Familie. Dasselbe Bild bietet sich in Bolivien, Peru und vielen anderen Ländern. Ich habe mit vielen Hoteliers in Katmandu gesprochen, die haben keinen roten Rappen Unterstützung gesehen. In der Schweiz jammern wir schon auf sehr hohem Niveau, wissen gar nicht, wie gut wir es haben.
Auch die Schweizer Reisebranche?
Ja! Es ist schon verrückt: Es hat in der ganzen Branche wegen Corona zwar Filialschliessungen der grossen Ketten gegeben, aber nur etwa ein halbes Dutzend Konkurse – bei rund 1300 Betrieben insgesamt. Wir konnten nicht einfach die Büros schliessen, als das Geschäft eingebrochen ist. Alleine in der Globetrotter Group mussten wir in den letzten zwei Jahren über 90’000 Umbuchungen und Annullierungen abarbeiten. Doch dank der äusserst grosszügigen Härtefallhilfen vom Staat und der Unterstützung durch die Kantone haben ganz viele Reisebüros überlebt, die sonst sicher dem Untergang geweiht gewesen wären.
Der Chef der Globetrotter Group hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. André Lüthi ist ursprünglich gelernter Bäcker/Konditor. Doch nach der Lehre zog es den Berner in die Ferne. Danach schaffte er den Einstieg in die Reisebranche, stieg vom Sachbearbeiter zum Mitbesitzer und Präsidenten von Globetrotter auf, dem grössten unabhängigen Reiseanbieter in der Schweiz. Lüthi war über 45-mal im Himalaja, mit dem Kanu in Alaska und auf diversen Berggipfeln in Russland und Südamerika. Lüthi ist im Vorstand des Schweizerischen Reiseverbands und vertrat während Corona die Interessen der Branche gegenüber Bundesrat und Gesellschaft.
Der Chef der Globetrotter Group hat seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. André Lüthi ist ursprünglich gelernter Bäcker/Konditor. Doch nach der Lehre zog es den Berner in die Ferne. Danach schaffte er den Einstieg in die Reisebranche, stieg vom Sachbearbeiter zum Mitbesitzer und Präsidenten von Globetrotter auf, dem grössten unabhängigen Reiseanbieter in der Schweiz. Lüthi war über 45-mal im Himalaja, mit dem Kanu in Alaska und auf diversen Berggipfeln in Russland und Südamerika. Lüthi ist im Vorstand des Schweizerischen Reiseverbands und vertrat während Corona die Interessen der Branche gegenüber Bundesrat und Gesellschaft.
Der Staat als Retter in der Not?
Ja. Mich ärgern die ewigen Kritiker des Bundesrats enorm. Wir waren ja alle am Anfang überfordert, nicht nur der Bundesrat. Unterm Strich hat unsere Regierung im weltweiten Vergleich einen sehr guten Job gemacht. Es wäre wirklich an der Zeit, dass sich die Wirtschaft in Bundesbern für die enorm grosszügigen Corona-Hilfen auch mal bedankt.
In Zahlen – wie hart hat Corona die Reisebüros getroffen?
Die ganze Branche hat 2020 einen Umsatzverlust von 79 Prozent eingefahren. Bei den Grossen, also bei Tui, Kuoni, Hotelplan, Globetrotter oder Knecht, waren das jeweils Millionenverluste. Auch die Kleinen hat es getroffen, alle haben rote Zahlen geschrieben. Im letzten Jahr lag der Umsatzverlust bei 72 Prozent, aber dann haben die Härtefallhilfen gegriffen. So haben sich die meisten über Wasser gehalten. Für dieses Jahr haben wir nochmals einen Verlust budgetiert, denn die Hilfen laufen nun aus. Die Reisebüro-Branche wird 2022 nochmals rote Zahlen schreiben.
Weshalb? Jetzt zieht es doch alle wieder in die Ferne.
Seit die Testpflicht schrittweise in vielen Ländern aufgehoben wurde, zieht die Nachfrage erfreulicherweise wieder an. Trotzdem werden wir in diesem Jahr vermutlich nur auf etwa 60 bis 70 Prozent des Umsatzes von 2019 kommen. Denn in einem der Kernmärkte – in Asien – ist noch viel Zurückhaltung zu spüren. Einige Länder haben noch diverse Corona-Regeln, die das Reisen erschweren, zum Beispiel eine Testpflicht.
Aber es gibt ja noch andere Märkte.
Ja. Neuseeland und Australien. Die haben aber gerade erst die Grenzen wieder geöffnet, das ist für uns für dieses Jahr schon zu spät. Schweizerinnen und Schweizer planen ihre Fernreise-Ferien im Schnitt neun Monate im Voraus. Das heisst, das Geschäft mit Ozeanien kommt erst im nächsten Jahr wieder richtig zurück. Dazu kommt der Krieg in der Ukraine, der einige Leute ganz allgemein vom Reisen abschreckt. Und das nicht nur nach Osteuropa.
Inwiefern?
Ein Ehepaar hat eben eine 40’000-Franken-Safari Ende Mai in Botswana abgesagt, weil die beiden Angst vor einem Weltkrieg haben, Angst davor, nicht mehr nach Hause zu kommen. Sicher ein Einzelfall – aber das ist trotzdem verrückt!
Hat sich das Reiseverhalten nach Corona verändert?
Viele Leute hatten Zeit, über das Leben nachzudenken. Corona hat sich auf das Konsum- und Reiseverhalten ausgewirkt. Viele leben – und reisen — heute gesünder, nachhaltiger und bewusster. Reisen wird vermehrt wieder als Horizonterweiterung oder Lebensschule angeschaut.
Wie gross ist die Verunsicherung wegen des Krieges?
Der Krieg hat ganz direkte Auswirkungen. Die Globetrotter Group gehört zu den grössten Anbietern von Reisen mit der Transsibirischen Eisenbahn. Für dieses Jahr planten rund 200 Kunden eine Reise mit der Transsib. Oder die Traumreise St. Petersburg–Moskau, alles annulliert. Und natürlich will auch niemand ins Baltikum reisen. Alle Russlandreise-Spezialisten leiden enorm, und auch nach Rumänien, Tschechien oder Bulgarien will im Moment niemand reisen.
Wieso buchen die Kunden keine anderen Reisen?
Viele sagen sich, wenn wir unsere Traumreise dieses Jahr nicht machen können, dann halt im nächsten Jahr.
Was passiert, wenn im Herbst die nächste Corona-Welle anrollt?
Sollte Corona wirklich in aller Härte zurückkommen, dann laufen wir in den Hammer! Viele Unternehmen sind wieder am Aufbauen, stellen Mitarbeitende ein. Die Härtefallhilfen fliessen nicht mehr. Doch wir müssen an das Positive glauben, ich bin zuversichtlich, dass wir Corona überstanden haben.
Die Corona-Kredite müssen ja auch noch zurückgezahlt werden.
Richtig, aber das ist kein grosses Problem. Viele Unternehmen haben diese Kredite zwar bezogen und als Sicherheit aufs Konto gelegt. Auch wir haben die Kredite nicht beansprucht, das heisst, wir können das Geld einfach wieder zurückzahlen. Zu wissen, dass es in der Krise noch etwas Geld auf dem Konto hat, das war Gold wert.
Die Leute haben während Corona Geld gespart …
… das spüren wir gut. Viele gönnen sich nun etwas. Vor Corona hatten wir viel mehr Preisdiskussionen. Jetzt akzeptieren die Kunden die Preise und schätzen den Service, die Dienstleistung und die Beratung des Reisebüros.
Nützen das die Reisebüros aus?
Nein! Jede Beratung hat ihren Wert und kostet ihr Geld, da spielt es keine Rolle, ob die Reise 1500 oder 5000 Franken kostet. Für den Kunden wird es teurer, weil die Leistungserbringer an den Preisen schrauben, weil auch für sie alles aufgrund der gestiegenen Preise von Rohstoffen, Lieferketten etc. teurer wird. Mietwagen, Hotels, das Fliegen – im Moment ist alles bis zu 20 Prozent teurer als noch vor Corona.