Gift für die Weltwirtschaft
Mit Trump beginnt eine neue Zeitrechnung mit vielen Unbekannten

Seit den Washingtoner Chaos-Tagen ist die Welt eine andere. Die Kombination aus Zöllen und maximaler Unsicherheit ist Gift für die Weltwirtschaft. Das hat schwere für das globale Finanz- und Wirtschaftssystem und die Schweiz.
Publiziert: 19.04.2025 um 18:08 Uhr
US-Präsident Donald Trump (78) spricht im Weissen Haus vor der Presse.
Foto: keystone-sda.ch
Peter Rohner
Peter Rohner
Handelszeitung

Trumps Zollwahnsinn hat das Finanzsystem an den Rand des Abgrunds gebracht. Erst sein Einlenken unter dem Druck der Anleihenmärkte und einflussreicher Wirtschaftsführer hat die Kernschmelze verhindert. Bis im Juli haben die Handelspartner nun Zeit, um mit der US-Regierung einen besseren Deal zu finden. Doch auch ohne den Super-GAU ist die Welt eine andere seit dem sogenannten Liberation Day. Trotz vorläufigem Verzicht auf die länderspezifischen Zölle steigt die durchschnittliche effektive Zollbelastung für die USA auf den höchsten Stand seit 1903, wie das parteiunabhängige Forschungsinstitut Yale Budget Lab berechnet hat. Freihandel und internationale Arbeitsteilung sehen anders aus.

Noch gravierender ist, dass die USA in wenigen Wochen ihr Vertrauen verspielt haben. Der Dollar und US-Staatsanleihen sind für ausländische Anlegerinnen und Anleger keine sicheren Häfen mehr. Anders als bei früheren Börsenbeben ist ihr Kurs im Liberation-Day-Crash nicht gestiegen, sondern mitgefallen. Demolition Day wäre die passendere Bezeichnung für die denkwürdige Show im Rosengarten des Weissen Hauses gewesen.

War noch im März von einer schwächeren Konjunktur und einem steigenden US-Rezessionsrisiko die Rede, können wir jetzt schon fast froh sein, wenn der Schlamassel «nur» in einer Rezession mündet und nicht in «etwas Schlimmerem», wie es der Hedgefondsmilliardär Ray Dalio formuliert, der schon das Platzen der US-Immobilienblase 2007 vorausgesagt hatte.

Der Handelskrieg trifft die Schweiz hart

Auch für die Schweiz ist das Horrorszenario einer hohen US-Zollmauer noch nicht eingetroffen, aber aus dem Schneider sind wir deswegen noch lange nicht. Die länderspezifischen Zölle von über 30 Prozent sind nur ausgesetzt, nicht aufgehoben. Ob die Gegenargumente und Investitionsversprechen der Schweiz die amerikanischen Zollfanatiker milde stimmen, bleibt ungewiss. Derweil gilt ein genereller Importzoll von 10 Prozent, was bis vor kurzem noch ein Schock gewesen wäre.

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Als kleine, offene Volkswirtschaft ist die Schweiz darüber hinaus dem Handelskrieg zwischen den Grossen besonders stark ausgesetzt. Die USA schlagen auf chinesische Importe einen Zoll von bis zu 145 Prozent. China hat die Gegenzölle mittlerweile auf 125 Prozent gehoben.

Direkt tangiert uns dieses gegenseitige Hochschaukeln vorerst kaum, der Schaden entsteht indirekt und je länger der Konflikt dauert: etwa weil die globalen Lieferketten unterbrochen werden oder weil sich der Abschwung der Weltkonjunktur durch die Unsicherheiten rund um den Zollkonflikt und die damit verbundene Investitionszurückhaltung verstärkt.

Die Eskalation zwischen den USA und China sei daher ein vielfach höheres Risiko als der 10-Prozent-Zoll auf Schweizer Exporte, findet Hans Gersbach, Co-Direktor der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF). Die ursprünglich vorgesehenen US-Zölle in der Höhe von 31 Prozent auf Schweizer Warenimporte hätten gemäss dem Handelsmodell der KOF reale Einkommensverluste von 0,2 bis 0,6 Prozent zur Folge. Die KOF hat deswegen die im März publizierte BIP-Prognose für die Schweiz von 1,4 Prozent Wachstum für dieses Jahr bereits wieder infrage gestellt. Die UBS hat die Wachstumsprognose für 2025 wegen der Zölle von 1,5 auf 1 Prozent gesenkt.

Verunsicherte Unternehmen

Von einer Rezession ist hierzulande aber noch nicht die Rede. Selbst die Industrieunternehmen meldeten in den jüngsten Umfragen noch eine gewisse Belebung. Aber das dürfte sich bald ändern. Darauf deuten die vielen Anrufe beim Sorgentelefon des Industrieverbands Swissmem hin. So viel Erklärungsbedarf habe es zuletzt während Corona gegeben, heisst es. Auch das Hin und Her macht vielen Firmen zu schaffen, besonders den kleineren.

«Unsicherheit ist Gift für Investitionen, und unsere Maschinen sind ein klassisches Investitionsgut», sagt Guy Petignat, Inhaber und Geschäftsführer der Falu AG, die Maschinen zur Produktion von Wattestäbchen und -pads herstellt. «Die Zölle tun weh, nicht nur direkt im US-Geschäft, sondern auch indirekt», heisst es auch beim Präzisionswerkzeughersteller Urma. Das Unternehmen werde die zollbedingten Mehrkosten vorerst absorbieren, um nicht Kundschaft zu verlieren. Produktionskapazitäten vor Ort aufzubauen, sei aktuell aber keine Option, sagt Co-CEO Yannick Berner.

Die USA stehen am Rande einer Rezession

Die Zollunsicherheit ist das eine, der drohende Nachfrageeinbruch im Ausland das andere: Wenn die USA wie befürchtet in eine Rezession geraten und damit auch die Euro-Zone in Schwierigkeiten bringen, bliebe die Schweiz nicht verschont. Seit den 1980er-Jahren führte jede US-Rezession früher oder später auch in der Schweiz zu einem BIP-Rückgang. Das ist die Schattenseite der Globalisierung. Und dass die US-Wirtschaft wegen der Zollkrise real schrumpfen könnte, ist keine abwegige These mehr. Die Konsumentenstimmung ist im Keller, der nach Trumps Wahlsieg grassierende Optimismus unter den KMU verflogen. Die US-Grossbank Goldman Sachs hat kurz nach den Zollankündigungen eine Rezessionswarnung herausgegeben, inzwischen sieht sie die Chancen bei etwa 50 zu 50 – und erwartet für dieses Jahr noch ein Miniwachstum von 0,5 Prozent. Letztes Jahr ist die US-Wirtschaft noch fast 3 Prozent real gewachsen.

Rezessionsängste sind auch der Hauptgrund für die Panik an der Börse, die phasenweise an den Corona-Schock oder die Finanzkrise 2008 erinnerte. Sie paaren sich mit Stagflationssorgen. In einer Stagflation stagniert die Wirtschaft, aber es steigen die Konsumentenpreise. Die US-Inflation dürfte wegen der Zölle laut Bankenprognosen über 3 Prozent steigen. Fragt man die Haushalte, wie es die Universität Michigan monatlich tut, resultiert eine Inflationserwartung von über 6 Prozent – ein Horrorszenario für die Zentralbank, die in so einem Umfeld unmöglich die Zinsen stark senken kann.

Neue sichere Häfen gesucht

Als wäre das nicht genug, steht nach dem Chaos, das Trump angerichtet hat, noch viel Grundsätzlicheres zur Debatte. Sind die USA noch ein verlässlicher Partner? Wozu ist eine Regierung, die die Welt anhand einer so dilettantischen Formel mit Zöllen bedroht, sonst noch fähig? Ist der grösste und liquideste Kapitalmarkt überhaupt noch sicher, wenn demokratische Institutionen ausgehöhlt werden und die Unabhängigkeit der Zentralbank infrage gestellt wird? Offensichtlich wird dieser Vertrauensbruch auf dem Devisenmarkt und bei den amerikanischen Staatsanleihen. Der Dollar ist in den letzten Wochen schwächer geworden – nicht stärker wie sonst bei Krisen üblich. Auch US-Staatsanleihen haben ihren speziellen Status verloren: Nach einem ersten, erwartbaren Rückgang sind die Renditen in die Höhe geschossen, weil mehr gekauft als verkauft wurde.

Solche Bewegungen sind nicht das Resultat einer Horde Kleinanleger, die sich in den sozialen Medien gegenseitig anstecken. Um einen Markt mit einem Volumen von fast 30 Billionen Dollar so zu bewegen, braucht es grössere Player: Vermögensverwalterinnen, Versicherungen, Pensionskassen, Hedgefonds und die Reservenmanager der Zentralbanken. Sie alle machen sich Gedanken, ob sie weiterhin so viele Dollar halten wollen. Doch die USA sind mit einem grossen Handels- und Leistungsbilanzdefizit auf ausländisches Kapital angewiesen. Auch ein Teil des Haushaltsdefizits von jährlich 2 Billionen Dollar wird von den ausländischen Gläubigern finanziert, weil sie den USA und dem Dollar vertrauen. Schwellenländer, man denke etwa an die Asienkrise 1997/98, sind wegen solcher Abhängigkeiten abgestürzt, als die Investoren den Stecker zogen. Nicht auszudenken, was geschähe, wenn die USA immer mehr wie ein Schwellenland behandelt würden.

Es sind solche Gedankenspiele, die den Goldkurs weiter in die Höhe treiben. Mehr als 3200 Dollar kostet die Feinunze. UBS und Goldman Sachs sehen den Preis künftig in der Nähe von 4000 Dollar.

Die alten Sorgen der SNB

Neben Gold spüren wegen der Dollar-Krise auch andere traditionelle sichere Häfen einen Nachfrageschub, allen voran der Schweizer Franken. Der Dollar-Franken-Kurs ist dieser Tage auf 81,5 Rappen gefallen, dem tiefsten Wert seit der Euro-Schuldenkrise 2011. Für die Schweizer Wirtschaft und die Nationalbank ist jedoch der Euro-Franken-Kurs wichtiger. Doch auch die Gemeinschaftswährung hat im Zuge der Turbulenzen gegenüber dem Franken eingebüsst, wenn auch deutlich weniger als der Dollar. Sie notiert jetzt wieder leicht unter den Tiefstständen vom Dezember zwischen 92 und 93 Rappen.

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Schon jetzt ist der Franken gemäss Kaufkraftparitätsmodellen eher teuer, ein weiteres Absinken des Euro bringt daher Neo-SNB-Chef Martin Schlegel ins Schwitzen. Er hat bereits zweimal die Leitzinsen um insgesamt 0,75 Prozentpunkte auf aktuell 0,25 Prozent gesenkt. Viel Munition bleibt nicht mehr. Und das zweite geldpolitische Instrument der Devisenmarktinterventionen ist angesichts der wiederkehrenden amerikanischen Manipulationsvorwürfe auch keine starke Option.

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