Eine Person hat 20'000 Franken Schulden – kann monatlich aber nur 500 Franken abstottern. Eine andere Person ist seit kurzem in Rente und muss deshalb den Gürtel enger schnallen. Ein Paar kommt, um seine Dokumente und Zahlungsaufforderungen zu ordnen. Und ein Unternehmer muss den Covid-Kredit zurückbezahlen, kann sich das in der Selbstständigkeit aber nicht leisten. Sie alle haben die Moneythek – eine Beratungsstelle bei Geldfragen in Zürich – am selben Tag besucht.
Ganz unterschiedlich sind ihre Schicksale. Aber: «Der Wunsch nach Kontrolle und danach, einen Überblick über die eigene Geld-Situation zu haben, ist bei allen gleich», sagt Simone Reiser (36) von der Moneythek. Denn die gestiegenen Kosten für Miete, Strom, Krankenkasse und Lebensmittel machen immer mehr Menschen zu schaffen. Und bringen die Beratungsstellen zunehmend an den Anschlag.
Einschneidende Massnahmen nötig
Das berichten die Schweizer Budgetberatungen in einer Umfrage von Blick. «Die meisten unserer Beratungsstellen sind stark ausgelastet», bestätigt Philippe Frei (39), Geschäftsführer des Dachverbands Budgetberatung Schweiz (DBBCH) mit 30 aktiven Mitgliedern. Das sorgt für längere Wartezeiten. Auch die Website des Dachverbands wird öfters aufgerufen als üblich, zudem greifen immer mehr Hilfesuchende zum Telefon.
Seit Jahresbeginn zahlt man für die Krankenkassenprämien fast 9 Prozent mehr. Auch Strom kostet im Schnitt 32.14 Rappen mehr pro Kilowattstunde. Zudem zahlen die meisten wegen des gestiegenen Referenzzinssatzes mehr Miete. Die Löhne dagegen sind in vielen Branchen gleichgeblieben – real gar gesunken.
Frei spricht im Gespräch mit Blick die Hilflosigkeit der Ratsuchenden an. «Sie haben nichts an ihrem Leben verändert – und stehen trotzdem Ende Monat mit weniger Geld da.» Bei vielen gehe es nicht darum, ob man beim Handyabo noch etwas Geld sparen kann. Sondern um einschneidendere Massnahmen. Etwa, ob man sich ein Auto als Familie noch leisten kann.
Vor allem bei Personen, die vorher bereits ein knappes Budget hatten, wird es jetzt eng. Zum Teil ist die Sozialhilfe der einzige Ausweg. «Die Belastung unserer Klienten ist spürbar. Wir versuchen, ihnen eine gewisse Sicherheit zu geben», so Frei.
Direktabzüge würden helfen
Die steigende Belastung der Klienten bemerkt auch die Budget- und Schuldenberatung Aargau-Solothurn. «Viele Klientinnen und Klienten äussern, dass ‹alles teurer geworden ist› und dass sie mit dem bisherigen Einkommen heute nicht mehr zurechtkommen», heisst es auf Anfrage von Blick. Die Beratungsstelle hat dieses Jahr bereits über 60 Personen mehr geholfen als im gleichen Zeitraum im Vorjahr.
Damit sich das wieder ändere, brauche es höhere Löhne sowie mehr bezahlbare Wohnungen. «Direktabzüge der Krankenkasse und der Steuern vom Lohn wären ebenfalls eine Entlastung und würde einer Verschuldung entgegensteuern», so die Geschäftsleiterin.
Auch in der Frauenzentrale Luzern steigt die Zahl der Beratungen – und das seit Jahren. Letztes Jahr besuchten 100 Personen mehr die Budgetberatung als 2020. In einigen Fällen können Budgetberaterinnen lediglich dabei unterstützen, die richtigen Prioritäten zu setzen und einen Umgang mit der Situation zu finden. «Dann heisst es leben mit Schulden oder am Existenzminimum», so die Budgetberaterin Manuela Stirnimann (46). Pro Jahr leistet die Frauenzentrale zwischen 50'000 und 80'000 Franken Soforthilfe für Personen in Notsituationen – finanziert durch Stiftungen.
In Bern hat die Frauenzentrale ihre Kapazitäten wegen der steigenden Nachfrage bereits im November 2023 ausgebaut. «Viele wollen verhindern, dass sie in eine Schuldenspirale geraten», so die Geschäftsführerin. In Bern werden die Hilfesuchenden nach der Erstellung des Budgets auch bei der Umsetzung betreut. Dafür haben nicht alle Beratungsstellen Kapazität.
Beratung bald auch online
Weil die Budgetberatungen mit Einzelgesprächen kaum noch nachkommen, plant der DBBCH Onlinekurse. Als Erstes steht ein allgemeiner Budgetkurs auf dem Plan. Dort lernt man, wie man ein Budget erstellt und – noch wichtiger – wie man dieses einhält. Zudem gibt es auch Tipps und Tricks zum Sparen.
Die Teuerung liegt aktuell bei 1,4 Prozent – also innerhalb des Zieles der Schweizerischen Nationalbank. Das reiche jedoch nicht, sagt Frei: «Wir müssen wegkommen von diesen abstrakten Zahlen wie der Teuerung. Wir von der Budgetberatung sehen täglich, was für eine Belastung die gestiegenen Kosten für die einzelnen Personen sind.»