Fragen und Antworten zur zweiten Säule
Müssen sich Unternehmen vor der BVG-Reform fürchten?

Die BVG-Reform soll die Finanzierung der zweiten Säule stärken und Menschen mit tiefen Löhnen besser absichern. Welche Auswirkungen hat das für Unternehmen? Ein Experte erklärt die wichtigsten Änderungen.
Publiziert: 04.09.2024 um 20:18 Uhr
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Aktualisiert: 04.09.2024 um 22:08 Uhr
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Am 22. September stimmt die Schweiz über die BVG-Reform ab.
Foto: keystone-sda.ch
Loris Gregorio

Am 22. September stimmen Schweizerinnen und Schweizer über die BVG-Reform ab. Mit dieser Reform wären Arbeitnehmende bereits mit einem Jahreseinkommen von 19’845 Franken in der zweiten Säule versichert. Bisher liegt diese Eintrittsschwelle bei 22’050 Franken.

Ändern würde sich auch die Höhe der monatlichen Beiträge für Arbeitnehmende jeden Alters. Neu geregelt würden zudem der Koordinationsabzug und der Mindestumwandlungssatz für das Obligatorium. Was das für Arbeitgebende bedeutet, erklärt Simon Tellenbach im Interview. Tellenbach ist Vorsorgespezialist und Geschäftsleiter Firmenkunden beim VZ Vermögenszentrum.

Müssen sich Unternehmen vor der BVG-Reform fürchten?
Simon Tellenbach: Nein, aus unserer Sicht müssen sie sich nicht fürchten. Für Arbeitgeber kann die BVG-Reform sehr unterschiedliche Konsequenzen haben. Wir empfehlen darum, sich bereits vor der Abstimmung ein erstes Bild zu machen. Das hilft, sich eine Meinung über die Initiative zu bilden.

Artikel von Gryps

Dieser Artikel wurde erstmals bei Gryps publiziert. Gryps ist ein Online-Portal für KMU mit Beschaffungswelt, Praxisratgeber und aktuellen Berichten.

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Was wäre für die Unternehmen besser, ein Ja oder ein Nein an der Urne?
Je nach Alter und Pensum der versicherten Mitarbeitenden kann die BVG-Reform höhere Kosten zur Folge haben. Teilzeitangestellte würden besser versichert und ab einem niedrigeren Lohn im System erfasst. Eine anspruchsvolle Herausforderung wäre sicher auch die Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden. Ich gehe davon aus, dass es bei einer Annahme bei den Versicherten viele Unsicherheiten geben wird. Die Arbeitgeber haben die gesetzliche Pflicht, das Personal über die Vorsorgeleistungen zu informieren.

Was wäre die wichtigste Änderung für Unternehmen, wenn das Volk die Initiative annimmt?
Das wären sicher die Reduktion der Eintrittsschwelle und die neuen Lohnabzüge. Diese haben Auswirkungen auf die Kosten. Nach der BVG-Reform gibt es andere Altersgutschriften. Das hat Auswirkungen auf die jährlichen Pensionskassenbeiträge, die der Arbeitgeber zahlt, aber auch auf die Lohnabzüge für die Mitarbeitenden. Das ist sicher einer der grössten Effekte, weil es die Unternehmen unmittelbar betrifft.

Welche finanziellen Auswirkungen hat die Reform für Arbeitgebende?
Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Einerseits ist zentral, wie der aktuelle Vorsorgeplan gestaltet ist und wie die Versichertenstruktur aussieht. Und andererseits ist entscheidend, inwiefern ein Arbeitgeber die Pensionskassenlösung anpasst, wenn die BVG-Reform umgesetzt wird. Man hat dann nämlich die Möglichkeit, die Beiträge auf dem heutigen Level beizubehalten, auch wenn die Reform beispielsweise tiefere Sparbeiträge für ältere Personen vorsieht.

Welche Auswirkungen hat das Alter der Belegschaft?
Beschäftigt man eher ältere Mitarbeitende, kann die BVG-Reform tiefere Kosten zur Folge haben. Bei eher jüngeren und bei Teilzeitmitarbeitenden müssen Unternehmen mit höheren Beiträgen rechnen. Dann kämen höhere Kosten auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu.

Was bedeutet die Reform für ältere Personen?
Heute gibt es vier verschiedene Altersgutschriften (Beiträge): 7, 10, 15 und 18 Prozent, je nach Alter (siehe Tabelle). Die Reform würde dies auf zwei Stufen glätten, 9 und 14 Prozent. Heisst, die ganz jungen Mitarbeitenden würden etwas teurer, während die älteren günstiger würden. Man will damit die Arbeitnehmenden ab 55 attraktiver machen für den Arbeitsmarkt, indem man ihre Lohnnebenkosten reduziert.

Auf den ersten Blick sieht es aus, als gäbe es insgesamt weniger Altersgutschriften. Wie wären die Kassen nach der Reform gefüllt?
Ziel ist es, über die Versichertenzeit, also von 25 bis 65, ein ähnlich hohes Altersguthaben anzusparen wie bisher. Die Altersgutschriften, das haben Sie richtig analysiert, nähmen eher ab. Dafür nähme aber der versicherte Lohn zu. Heute gilt in der zweiten Säule der sogenannte Koordinationsabzug, ein Betrag, der vom AHV-Lohn abgezogen wird, um den versicherten Lohn zu berechnen. Dieser würde mit der Reform neu geregelt. Die geplanten Änderungen führen insgesamt dazu, dass mit der BVG-Reform sogar etwas mehr angespart wird als heute.

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Was ändert sich beim Koordinationsabzug?
Der Koordinationsabzug liegt heute fix bei 25'725 Franken – und zwar unabhängig davon, wie viel man verdient und in welchem Teilzeitpensum man arbeitet. Neu würde Folgendes gelten: Der versicherte Lohn beträgt 80 Prozent des AHV-Lohns, der Koordinationsabzug wird auf 20 Prozent reduziert. Angestellte im tieferen Lohnsegment haben so einen höheren versicherten Lohn.

Gibt es dazu ein Zahlenbeispiel?
Bei einem Jahreslohn von 88’000 Franken würde der versicherte Lohn 70’400 Franken betragen statt wie bisher nur 62’275 Franken (siehe Tabelle). Oder in extremes Beispiel: Wer 30 000 Franken verdient, hat heute einen versicherten Lohn von etwas mehr als 4000 Franken. Mit der BVG-Reform wären es 24’000 Franken. Das heisst, die Leute hätten eine bessere Vorsorge, müssten aber auch mehr Beiträge einzahlen.

Was ändert sich mit der Senkung des Mindestumwandlungssatzes?
Für Arbeitgebende ändert sich direkt nichts, für die versicherten Personen aber schon. Man muss sagen, dass wir hier vom gesetzlichen Umwandlungssatz sprechen. Viele Pensionskassen sehen schon heute höhere Leistungen vor. Man geht davon aus, dass 10 bis 15 Prozent der Versicherten in der Schweiz direkt von der Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes betroffen wären. Hier müssen sich Arbeitgebende auf Rückfragen ihrer Mitarbeitenden vorbereiten. Viele Versicherte werden mit der Reform einen neuen Vorsorgeausweis bekommen, auf dem eine andere Altersrente ausgewiesen ist.

Welche Unterschiede gibt es je nach Rechtsform?
Bei Kapitalgesellschaften wie AGs oder GmbHs, bei denen auch Inhaber als Arbeitnehmer gelten, für die sind die Auswirkungen dieselben wie für das Personal. Für Selbstständigerwerbende kann die BVG-Reform Auswirkungen haben, muss aber nicht, weil sie der zweiten Säule nicht obligatorisch unterstellt sind. Bereits heute sind bei Weitem nicht alle Selbstständigen in der zweiten Säule versichert. Das wird auch mit der BVG-Reform nicht der Fall sein.

Was empfehlen Sie Unternehmen, falls die BVG-Reform angenommen wird?
Das ist ein guter Zeitpunkt, um die Pensionskassenleistungen zu überprüfen. Gesetzlich wäre es zum Beispiel möglich, die Sparbeiträge für die älteren Mitarbeitenden zu reduzieren. Aber möchte man das wirklich? Gleichzeitig gibt es aber einen Fachkräftemangel und für gewisse Arbeitnehmer ist die Pensionskasse doch auch eine wichtige Lohnnebenleistung.

Das sind die Eckwerte der Pensionskassen-Reform

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.

Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.

Es war ein hochfliegendes Reformprojekt des damaligen SP-Sozialministers Alain Berset (52): die Altersvorsorge 2020, mit der er AHV und Berufliche Vorsorge (BVG) gleichzeitig reformieren wollte. Doch in der Abstimmung 2017 folgte der Absturz. Mit 52,7 Prozent Nein schickte das Stimmvolk die Rentenreform bachab.

Daraufhin packten Bundesrat und Parlament die beiden Säulen getrennt an. Einen knappen Abstimmungserfolg verbuchte Berset zusammen mit der bürgerlichen Parlamentsmehrheit letztens bei der AHV-Reform, mit der eine Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 erfolgte.

Nun ist die Pensionskassen-Reform an der Reihe, die eine bürgerliche Mehrheit im Parlament gegen den Widerstand der Linken durchgebracht hat. Linke und Gewerkschaften haben erfolgreich das Referendum ergriffen, sodass das Stimmvolk nun am 22. September 2024 über die Reform entscheiden wird.

Das sind die wichtigsten Eckwerte:

Tieferer Umwandlungssatz

Der Mindestumwandlungssatz im BVG-Obligatorium soll von heute 6,8 Prozent auf 6,0 Prozent sinken. Das bedeutet: Auf 100'000 Franken angespartes Alterskapital gibt es nur noch 6000 statt 6800 Franken Rente pro Jahr. Das führt zu einer Rentenlücke von rund 12 Prozent.

Rentenzuschlag für Übergangsgeneration

Es ist das eigentliche Herzstück der Vorlage. Die drohende Rentenlücke soll über einen Rentenzuschlag ausgeglichen werden. Allerdings nur für eine Übergangsgeneration von 15 Jahrgängen. Zudem wird er nach Alter und Einkommen abgestuft. Für die ersten fünf Jahrgänge gibt es maximal 200 Franken monatlich, dann sinkt er ab. Wer weniger als 220'500 Franken in der Pensionskasse hat – etwa ein Viertel der Versicherten – bekommt den vollen Zuschlag. Ein weiteres Viertel mit bis 441'000 Franken Altersguthaben erhält einen Teilzuschlag. Wer mehr Geld im Rentenkässeli hat, geht leer aus. Gut die Hälfte der Versicherten bekommt also nichts. Finanziert wird der Rentenzuschlag über Lohnabzüge – allerdings begrenzt bis 176'400 Franken.

Flexibler Koordinationsabzug

Vom sogenannten Koordinationsabzug hängt ab, wie hoch der versicherte Lohn ausfällt. Einkommen minus Koordinationsabzug ergibt die versicherte Lohnsumme. Galt bisher ein fixer Abzug von 25'725 Franken, soll dieser neu 20 Prozent des Einkommens betragen. Das BVG-Obligatorium gilt bis 88'200 Franken Einkommen. Der Abzug würde in diesem Fall also 17'640 Franken ausmachen. Unter dem Strich bleibt somit ein versicherter Lohn von 70'560 Franken. Auf Letzterem müssten also die Lohnbeiträge bezahlt werden.

Angepasste Altersgutschriften

Die Lohnbeiträge in die Pensionskasse – die sogenannten Altersgutschriften – werden mit der Reform geglättet: Bis im Alter von 44 Jahren beträgt die Altersgutschrift künftig 9 Prozent (bisher 7 beziehungsweise 10 Prozent) auf dem BVG-pflichtigen Lohn. Ab 45 Jahren sind es 14 Prozent (bisher 15 beziehungsweise 18 Prozent). Damit werden die Altersgutschriften gerade bei den älteren Arbeitskräften gesenkt. Das soll ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern. Die Beiträge sollen wie heute ab 25 Jahren gezahlt werden.

Tiefere Eintrittsschwelle

Um in einer Pensionskasse versichert zu sein, muss man heute bei einem Arbeitgeber mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen. Nach einem langen Hin und Her hat sich das Parlament darauf geeinigt, dass die Eintrittsschwelle auf 19'845 Franken sinken soll. Damit würden 70'000 Personen neu in einer Pensionskasse versichert, 30'000 Personen stärker als bisher. Insgesamt betrifft die Senkung 100'000 Arbeitnehmende.

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