Finanzdienstleister Plus500
Der fragwürdige Sponsor der Young Boys

Ein Kunde verzockt Millionen – und erhebt schwere Vorwürfe gegen den YB-Sponsor Plus500. In Australien droht dem Finanzdienstleister gar eine Sammelklage. Doch YB gibt sich unberührt.
Publiziert: 30.01.2025 um 17:45 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2025 um 17:59 Uhr
Zu unseriös: Wegen des Sponsors Plus500 durften die YB-Matches in der Champions League in Frankreich nicht übertragen werden.
Foto: Jean-Christophe Bott/Keystone

Auf einen Blick

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Lukas Lippert
Beobachter

Es ist mitten in der Nacht, 2.29 Uhr. Thorsten Meier schreibt an die Firma Plus500: «Bitte löschen Sie meinen Account – für immer.» Und drückt auf «Senden». Kurz zuvor war ihm bewusst geworden, was er angerichtet hat. «Als wäre ich aus einem bösen Traum erwacht.» Thorsten Meier, so nennen wir ihn hier, ist 56. Und ruiniert. Nicht nur seine Ersparnisse sind weg. Sondern auch Hunderttausende Franken von Freunden, Nachbarn und ehemaligen Geschäftspartnern. Dazu Kredite in Millionenhöhe, die er über seine Firmen aufgenommen hat.

«Ein Glücksfall», heisst es bei YB

Auch die Wohnung und den Job hat er verloren. Und als er kürzlich in einer Apotheke ein Medikament abholen wollte, wurde ihm sogar das zuerst verwehrt – wegen offener Prämienrechnungen. Dafür schämt er sich. Bis heute weiss kaum jemand aus seinem Umfeld davon.

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Bekannt ist die Firma Plus500 – in die das ganze Geld floss – in der Schweiz vor allem wegen ihres Sponsorings für den Fussballklub BSC Young Boys. Seit 2020 prangt das Logo des israelischen Finanzdienstleisters, der mit Tochterfirmen auf der ganzen Welt operiert, auf den Trikots des Schweizer Meisters. Es sei ein «Glücksfall», dass ein solch «renommierter Global Player» an seiner Seite stehe, schrieb der Klub nach der Vertragsverlängerung 2023.

Spielsucht ausgelöst

Dabei war das Geschäftsmodell von Plus500 damals bereits öffentlich in die Kritik geraten. Weil die französische Finanzmarktaufsicht es als zu unseriös beurteilte, durften die YB-Matches in der Champions League in Frankreich nicht übertragen werden. Jegliche Werbung für Plus500 war untersagt worden.

Meiers Kontoverlauf und Korrespondenz geben Aufschluss darüber, warum. Beides liegt dem Beobachter vor. Meiers Fall zeigt erstmals, dass nicht nur das Geschäftsmodell fragwürdig ist. Plus500 schreckt auch nicht davor zurück, sich unterschiedliche gesetzliche Regulierungen zunutze zu machen, von einer Spielsucht zu profitieren und eine Kündigung zu ignorieren – selbst wenn der Betroffene quasi um Schutz vor sich selber bittet. Bislang unbeachtet in der Schweiz: In Australien wird gegen den YB-Hauptsponsor inzwischen gar eine Sammelklage vorbereitet.

Meiers Fall beginnt sechs Monate vor der schriftlichen Kündigung. Als er im Fernsehen von Plus500 erfahren habe, sagt er. Er, der zwei Unternehmen in der Nordwestschweiz führte, hatte in Casinos viel Geld verloren und sich mehr als zehn Jahre zuvor bei sämtlichen Schweizer Geldspielanbietern sowie im benachbarten Ausland sperren lassen.

So hatte er es geschafft, mit dem Glücksspiel aufzuhören. Nun dachte er – wohl etwas naiv –, bei Plus500 könne er seriös Geld anlegen. Dass seine Spielsucht damit wieder «aktiviert» werden könnte, bedachte er zu jenem Zeitpunkt nicht.

Dabei ist das, was Plus500 anbietet – das sogenannte CFD-Trading –, hoch spekulativ. Man setzt auf Aktienschwankungen in Sekundenbruchteilen, auf die Differenz des Einstiegs- und des Ausstiegskurses. Der Einsatz wird dabei mit einem «Hebel» überproportional vergrössert, teilweise hundertfach multipliziert. Daher auch der Name: Plus500.

In kürzester Zeit lässt sich so viel Geld verdienen. Oder: sehr viel verlieren. Teilweise sogar noch mehr als alles. Denn: «Unter Umständen müssen die Anleger zusätzlich zum ursprünglich investierten Betrag Gelder einschiessen», warnte kürzlich die Schweizer Finanzmarktaufsicht. Zudem sei die Risikoaufklärung bei diesen «besonders schwer verständlichen und riskanten» Produkten «vielfach unzureichend».

Nach wenigen Tagen ruiniert

So auch bei Thorsten Meier. Während der Registrierung, beim Ausfüllen des gesetzlich vorgeschriebenen Fragebogens, gab er an, «Derivate oder Ähnliches» seien ihm «völlig unbekannt», er habe keine Erfahrung im Finanzwesen. Seine finanziellen Möglichkeiten: Ersparnisse von rund 160'000 Franken. Trotzdem wurde ihm nur wenige Minuten später das Konto eröffnet.

Bereits nach wenigen Tagen waren Meiers komplette Ersparnisse weg. Doch Plus500 schickte ihm pausenlos weitere Meldungen aufs Handy, er solle weitere Nachzahlungen machen. Belege, die eine zusätzliche Liquidität bestätigen würden, wurden nicht verlangt. Nicht damals und auch nicht im weiteren Verlauf dieser Geschichte.

Im Gegenteil: Man forderte Meier gar mehrfach auf, falsche Angaben zu seiner finanziellen Situation zu machen: «Um Ihrer Kontotätigkeit gerecht zu werden, ändern Sie bitte Ihre Antwort auf die Frage ‹Ungefährer Betrag›, der pro Jahr für den Handel zur Verfügung steht.»

«Ich befand mich wie in einem Tunnel und blendete die Realität komplett aus», sagt der ehemalige Unternehmer. «Gefühlskalt, isoliert und voller Angst und Panik.» Erinnerungen an seine Zeit in Casinos seien wachgeworden. Doch dass Plus500 für sein «Spielerhirn» der Trigger schlechthin war, wurde ihm erst in der Klinik ein paar Monate später bewusst.

Viele betrachteten Finanzwetten noch immer nicht als Geldspiel mit Suchtpotenzial, sagt Renanto Poespodihardjo. Er ist leitender Psychologe an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, wo sich Meier nach dem ersten Totalverlust einweisen liess. Mehrere Monate war er dort in stationärer Behandlung.

Poespodihardjo hält die Angebote des YB-Hauptsponsors sogar für «noch gefährlicher» für die Entwicklung einer Spielsucht als die Angebote eines Casinos – weil eine «vermeintliche Geschicklichkeit» suggeriert werde. Die Anleger hätten die Illusion, sie könnten besser werden. Dabei seien die Kursentwicklungen kaum vorhersehbar und unterlägen grossen Schwankungen in Sekundenbruchteilen.

Kündigung ignoriert

Auf dringenden Rat in der Klinik wollte Meier sein Konto sperren lassen. «Would you please delete my account forever.» Doch Plus500 reagierte nicht auf seine Nachricht. Im Gegenteil. Meier wurde weiter mit Werbung bombardiert – obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits weit mehr verloren hatte, als er ursprünglich als Vermögen angegeben hatte.

Trotzdem schaffte es Meier danach, die Finger von Plus500 zu lassen. Zwei Jahre lang. Doch im November 2018 wurde er wieder schwach. Die Spielsucht war stärker als sein Verstand. Plus500 versprach ihm Bonuszahlungen und einen speziellen Status als «professioneller Trader» – ungeachtet der massiven Verluste und der schriftlichen Kündigung zuvor. 

Dazu schrieb man ihm, in Zypern, wo er sein Konto hatte, würden sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen gerade verschlechtern. Die Regulierungsbehörde der EU legte damals neue Obergrenzen für den besagten Hebeleffekt fest. Sein Konto könne aber nach Australien verlegt werden, wo weniger Restriktionen bestünden.

Von Zypern nach Australien und dann auf die Seychellen

Was folgte, war ein weiterer Totalverlust. Innert kürzester Zeit verlor er über eine Million Franken. Meier beschwerte sich über den «katastrophalen» Kundendienst, ausbleibende Bonuszahlungen und beschimpfte im Support-Chat die Mitarbeitenden. «Alles mögliche Anzeichen einer Geldspielsucht», sagt Psychologe Poespodihardjo. Doch Plus500 ignorierte auch das.

Im März 2021 wurden dann auch in Australien die erlaubten «Hebel» beim CFD-Trading reduziert. Man könne sein Konto aber auf die Seychellen übertragen, wo «Sie die höheren Hebel (bis zu 1:300) beibehalten können», schrieb eine Frau vom Plus500-Kundendienst. Meier willigte erneut ein. Er habe damals noch immer gedacht, nur so könne er sein Geld zurückholen, sagt er. Ein Trugschluss. Unter der neuen Gesetzgebung des Inselstaats verlor Meier noch einmal sämtliche seiner Einsätze.

3,2 Millionen Franken verloren

Am Ende waren es knapp 3,2 Millionen Franken. Das meiste davon geliehen oder auf Kredit. Es hätte aber genauso gut sein können, dass das Geld aus krummen Geschäften stammte und er es über den Finanzdienstleister waschen wollte. Plus500 überprüfte nie die Herkunft seiner Mittel.

Dennoch ist es rechtlich schwierig für Meier, gegen Plus500 vorzugehen. Mit den Kontotransfers wechselte jeweils auch die Gesetzgebung. Plus500 operiert dort offiziell mit Tochterfirmen. Anwälte für solche komplexen Verfahren kann sich Meier nicht leisten – und hofft auf Unterstützer.

YB und Plus500 schweigen zu den Vorwürfen

Meier sieht durchaus auch eigene Versäumnisse. Doch er möchte nicht, dass Plus500 schadlos aus der Affäre kommt und weitere Menschen ins Verderben führt. «Es war von Anfang an offensichtlich, dass ich keine Ahnung von Trading habe und sofort jegliche Kontrolle verlor», sagt Meier. Plus500 habe nicht nur nicht über die Risiken informiert, sondern auch seine Spielsucht «schamlos und wissentlich ausgenutzt». «Jedes Mal, wenn ich heute das Logo auf der Brust der YB-Spieler sehe, könnte ich heulen und schreien.»

Plus500 wollte sich trotz mehrfachem Nachhaken und ausführlichem Fragenkatalog nicht zum Fall äussern. Auch die Young Boys schreiben, man nehme zu «einzelnen Fällen» nicht Stellung. Allgemein hält der Fussballklub lediglich fest: «Uns sind vonseiten Aufsichtsbehörden keine Verfehlungen oder Verfahren bekannt.» Falls sich das ändern sollte, so die YB-Medienstelle weiter, «würden wir unsere Beziehung mit dem Hauptpartner überprüfen».


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