Darum gehts
Diese Rechnung empörte sogar die anderen Zahnärzte. «Abrechnungen dieser Art schaden dem guten Ruf der Zahnärzteschaft», schrieb die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft (SSO). «Wir lehnen eine solche Abrechnungspraxis mit aller Deutlichkeit ab.»
3951.35 Franken berechnete ein Winterthurer Zahnarzt dem Rentner Pascal Schwarz für die Behandlung eines Zahns. Und damit fast einen Viertel mehr als erlaubt.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
Probieren Sie die Mobile-App aus!
Für die Wurzelbehandlung und die Vollkeramikkrone wäre gemäss Zahnarzttarif nur ein Honorar von Fr. 3181.10 erlaubt gewesen (hier finden Sie die Beobachter-Tipps zum Checken der Zahnarztrechnung).
770 Franken zu viel berechnet
Der Zahnarzt verlangte also satte 770.25 Franken zu viel. Das bestätigt die Zahnärzte-Gesellschaft, die für den Beobachter die Honorarrechnung überprüft hat. Weil Pascal Schwarz befürchtet, keinen neuen Zahnarzt mehr zu finden, wenn hier sein Name erscheint, hat der Beobachter diesen geändert.
Überhöhte Zahnarztrechnungen gibt es häufig, sagen zwei Tarifexperten, die für Versicherungen immer wieder solche Rechnungen kontrollieren. Sie schätzen, dass rund ein Drittel aller Rechnungen, die nach dem Zahnarzttarif gestellt werden, zu hoch ausfallen – und zwar oft um 50 oder 100 Franken. Hochgerechnet, dürfte demnach die Zahnärzteschaft ihren Patientinnen und Patienten jährlich rund 200 Millionen Franken zu viel verrechnen.
Ein kompliziertes Tarifsystem
Die Basis einer Zahnarztrechnung bildet der sogenannte Dentotar-Tarif. Die SSO-Zahnärzte verpflichten sich, gemäss diesem abzurechnen.
Doch das Tarifsystem ist so kompliziert, dass die Patientinnen und Patienten eine Falschabrechnung kaum erkennen. Obwohl jede Tarifziffer im Internet aufgeschaltet ist. Ein Zahnarzt kann rechtmässig viel verrechnen – oder unrechtmässig tricksen.
Ganze 14 Positionen zu hoch verrechnet
Im Fall von Rentner Pascal Schwarz war die Rechnung auf insgesamt 14 Positionen überhöht, wie eine Analyse der SSO-Tarifexperten ergab. Der Zahnarzt habe unter anderem die Rechnungsposition «Instruktion und Aufklärung des Patienten» unrechtmässig verrechnet, weil er dies bereits über die Position «Auskunft/Besprechung/Telefonat» abgerechnet habe, schreibt die SSO.
Für das Operationsmikroskop habe er eine zu hohe Taxpunktzahl genommen. Und bei der Wurzelbehandlung habe er in der gleichen Behandlungssitzung Tarifpositionen doppelt aufgeführt und somit fast 300 Franken zu viel verrechnet, schreibt die SSO.
Rentner Schwarz bemerkte das aber nicht. «Für uns Patienten ist es ja fast unmöglich, Falschabrechnungen zu erkennen», sagt er zum Beobachter. Er fand die Rechnung jedoch verdächtig. «Ich wurde misstrauisch, weil die Rechnung genau gleich hoch war wie der Kostenvoranschlag – obwohl ich extra auf Eingriffe verzichtet hatte, die im Kostenvoranschlag eingerechnet waren.»
Schwarz verzichtete etwa auf eine Aufbissschiene für die Nacht, die der Zahnarzt ihm für 349 Franken verkaufen wollte. Und auf eine Behandlung seiner alten Zahnkronen. «Ich wollte keine Zahnsanierung, sondern einen einzelnen schmerzenden Zahn flicken lassen.» Doch trotz dem Verzicht wurde die Behandlung nicht billiger. «Da war ich überzeugt, dass der Zahnarzt mich beschissen hatte», sagt Schwarz.
Zahnarzt liefert «nur schwammige Ausreden»
Schwarz hatte früher als Berufsbeistand gearbeitet und in diesem Job viele Arztrechnungen auf Unregelmässigkeiten überprüft. Als er seinen Zahnarzt zur Rede stellte, erhielt er «nur schwammige Ausreden». Und so gelangte er an die Schlichtungsstelle der SSO-Sektion seines Wohnkantons.
Dorthin können sich alle Patientinnen und Patienten wenden, die mit der Leistung eines SSO-Zahnarzts nicht zufrieden sind. Genau deshalb wird den Konsumentinnen und Konsumenten immer wieder geraten, zu einem Zahnarzt mit SSO-Mitgliedschaft zu gehen. So könne man sich besser wehren bei Streitigkeiten über die Qualität oder die Rechnungsstellung, wird argumentiert.
Schlichtungsstelle riet ihm, die Rechnung zu bezahlen
Doch im Fall von Schwarz erkannte die zuständige Zürcher SSO-Schlichtungsstelle lediglich eine Kostenüberschreitung von Fr. 84.75. Da der Zahnarzt jedoch eine «Gutschrift» von 150 Franken gewährt hatte, riet die Schlichtungsstelle, die Rechnung zu bezahlen. Schwarz zahlte und musste zusätzlich für das Schiedsverfahren eine Gebühr von 65 Franken an die SSO entrichten.
Die SSO-Schlichtungsstelle der Sektion Zürich selber hatte also nicht erkannt, dass die Rechnung in insgesamt 14 Punkten überhöht war, wie die zweiseitige Auflistung der SSO-Experten aus Bern zeigt, die dem Beobachter vorliegt. Zudem haben zwei weitere Zahnärzte unabhängig voneinander die Rechnung für den Beobachter ebenfalls begutachtet – und einen überhöhten Rechnungsbetrag von mindestens 600 Franken festgestellt.
«Das ist ein Skandal»
Rentner Schwarz bezeichnet das Schiedsverfahren deshalb als «Skandal». «Ich erwarte, dass das Folgen hat innerhalb der Organisation. Andere Betroffene dürfen nicht dasselbe erleben.» Die Schlichtungsstelle komme ihm vor wie eine mächtige Organisation, die ihre eigenen Mitglieder schütze. «Ich fühlte mich ohnmächtig und habe deshalb die volle Rechnung bezahlt.»
Für Laien sind Zahnarztrechnungen kaum zu entziffern. Wie du erkennst, ob dein Zahnarzt fair abrechnet, erfährst du hier.
Für Laien sind Zahnarztrechnungen kaum zu entziffern. Wie du erkennst, ob dein Zahnarzt fair abrechnet, erfährst du hier.
Schwarz fühlt sich in erster Linie von seinem Zahnarzt genervt. «Er hat mich abgezockt.» Doch auch die Standesorganisation SSO nervt ihn. «Der Zahnarzt wurde mir empfohlen. Ich habe extra vor dem Termin gecheckt, ob er Mitglied bei der SSO ist. Weil ich glaubte, dass das ein Gütesiegel ist, das mir im Konfliktfall hilft», sagt er zum Beobachter.
Aber das habe sich als Trugschluss erwiesen. «Ich habe kein Vertrauen mehr in die SSO. Wenn die Schlichtungsstelle die vielen Abrechnungsfehler nicht bemerkt, ist sie für uns Kunden nichts wert.»
SSO will Fall aufarbeiten und «Massnahmen ergreifen»
Die SSO Schweiz und die SSO Zürich schreiben, es sei bedauerlich, was geschehen sei. Man nehme den Fall sehr ernst. «Die SSO und die SSO Zürich werden den Fall aufarbeiten und nötige Massnahmen ergreifen.»
Konkrete Fragen des Beobachters beantwortet die Schweizerische Zahnärzte-Gesellschaft nicht. Sie betont jedoch, dass das System der kantonalen Begutachtungsstellen in der Regel gut funktioniere.
Aufgrund des Falls von Pascal Schwarz dürfe man nicht das ganze System in Frage stellen. Ohne die SSO-Begutachtungsstelle stünde den Patientinnen und Patienten im Streitfall nur noch der viel teurere Rechtsweg mit Anwälten offen.
Zahnarzt äussert sich nicht
Der Winterthurer Zahnarzt schreibt, die Zürcher Schlichtungsstelle werde den Fall noch einmal neu beurteilen. Deshalb könne er sich zu einem «laufenden Verfahren» nicht äussern.
Rentner Schwarz erwartet, dass der Zahnarzt ihm den Fehlbetrag zurückzahlt. Und dass die SSO ihm die Gebühren für das Schiedsverfahren zurückerstattet.