Extremismus auf Plattform
Weltweit grösster Streaming-Anbieter Spotify hat ein Nazi-Problem

Auf der Musik-Streamingplattform tummeln sich rechtsexreme Bands. Bisher fast unbehelligt, schreibt der «Beobachter».
Publiziert: 04.03.2023 um 15:01 Uhr
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Spotify ist der weltweit grösste Streaminganbieter.
Foto: Getty Images
Noemi Hüsser («Beobachter»)

Für Spotify-Hörerinnen und -Hörer bestimmt oft der Wochentag, was für Musik man hört. Montags gehört der «Mix der Woche» wie der To-go-Kaffee zum Arbeitsweg. Und am Freitag zum Feierabend gibts den «Release Radar» zum Aperol Spritz. Unter der Woche bestimmen verschiedene «Daily Mixes» die Musik – je nach Stimmung, Genre und je nachdem, was Freunde und Freundinnen gerade hören.

Der weltweit grösste Streaminganbieter Spotify bietet algorithmisch kuratierte Playlists, abgestimmt auf den Geschmack der Hörerinnen und Hörer. Den einen schlägt der Algorithmus Flat White mit Hafermilch trinkende Indie-Pop-Bands vor, anderen empfiehlt er womöglich rechtsextremen Rap, der zu Gewalt aufruft.

Spotify hat ein Naziproblem. Wenn man auf der Streamingplattform «Hitler» sucht, finden sich unzählige Playlists, die Namen tragen wie «Hitlers Bunker Bangers», «i love Hitler» und «gas like hitler» und Bilder von Hitler oder auch nationalsozialistische Symbole auf dem Cover zeigen. Wenn man nach «Rechtsrock» sucht, liefert Spotify Playlists mit Liedern der als rechtsextrem eingestuften Bands FLAK, Moshpit und Übermensch. 2020 forderte der deutsche Verfassungsschutz die Löschung der Lieder der Band Übermensch – was bis heute nicht passiert ist. «Heil dir, meine geliebte Heimat, heil dir, mein geliebtes Land», singt die Band in einem Lied, das über eine Million Streams hat.

Aktionen gegen rechte Musik

Letzten Herbst hat deshalb der Verein «Laut gegen Nazis» den Meldebot H.A.N.S. entwickelt. Der Bot vereinfacht es Nutzenden, diskriminierende Inhalte zu melden; man schickt sie per Whatsapp an den Bot. Die Meldungen werden dann von «Laut gegen Nazis» geprüft und an Spotify weitergeleitet. Anfang Februar zog der Verein eine erste Bilanz: Nutzende meldeten über 5000 problematische Inhalte. Die Hälfte davon betrifft faschistische Inhalte.

Der prominenteste gemeldete Song ist frauenfeindlich und hat knapp 430 Millionen Streams, der prominenteste gemeldete Künstler hat knapp 50 Millionen monatliche Hörerinnen und Hörer und ist antisemitisch. Es ist nicht das erste Mal, dass «Laut gegen Nazis» gegen rechtsextreme Musik vorgeht. Im Januar 2022 hat der Verein eine «trojanische Band» entwickelt. Sie veröffentlichte eine Hörprobe für eine Debütsingle der vermeintlich rechten Band Hetzjaeger.

Die Hörprobe wurde tausendfach abgespielt und in rechtsextremen Kanälen oft geteilt. Nach der Veröffentlichung des ganzen Lieds wurde aber klar: Die Band ist nicht rechts, ab der zweiten Strophe ist der Song klar antifaschistisch. Statt wie angeteasert nächtliche Fackelzüge im Wald sieht man junge Menschen im Stroboskoplicht tanzen.

Andra Kleiber / Pixabay, Freepik
Artikel aus dem «Beobachter»

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch.

Andra Kleiber / Pixabay, Freepik

Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch.

Die Streamingdienste tragen Verantwortung

«Musik emotionalisiert und berührt noch mal stärker als eine rein politische Aussage», sagt Jörn Menge von «Laut gegen Nazis». Menschen seien einerseits persönlicher von diskriminierenden Inhalten angegriffen, anderseits gelange die Musik durch eine eingängige Melodie schneller ins Bewusstsein. Das Gefährlichste an den Inhalten sei die einfache Verfügbarkeit. «Spotify bietet Hass, Hetze, Diskriminierung und Co. eine Bühne mit 500 Millionen Menschen. Selbst wenn ich solche Inhalte nicht hören will, verbreiten die Algorithmen sie völlig ungehemmt und automatisiert», so Menge.

«Musik ist eine Einstiegsdroge für den Extremismus», sagt der Extremismusexperte Dirk Baier. Man dürfe nicht unterschätzen, wie Musik eine Gruppe für junge Menschen interessant machen könne. Durch Streamingdienste sei es für Rechtsextreme einfacher geworden, die Musik für ein breiteres Publikum sichtbar zu machen. Zudem wisse man: Was auf Plattformen passiert, bleibt nicht auf den Plattformen. Untersuchungen zu Twitter zeigen: Hass und Hetze springen in die Realität über.

Für Baier ist klar: «Jede Plattform, die ein grosses Publikum erreicht, muss sich darüber Gedanken machen, welche Effekte sie im realen Leben auslösen kann.» Spotify trage Verantwortung. Inhalte müssten besser geprüft werden, und es müsse die Möglichkeit bestehen, Inhalte zu melden. Und die soll aktiv promotet werden. «Es muss einfach sein, Inhalte zu melden. So einfach, wie einen Musiktitel zu suchen und zu streamen.»

Spotify bietet im Moment nur im Browser die Möglichkeit, Inhalte zu melden. In der App fehlt sie. Warum Spotify keine Meldefunktion in der App einführt, beantwortet das Unternehmen auf Anfrage nicht. «Spotify geht aktuell so verantwortungslos mit dem Content um, dass die Plattform zum Werkzeug für politische Radikalisierung, Diskriminierung und psychische Gewalt wird», sagt Menge von «Laut gegen Nazis».

Diskriminierende Inhalte

Was darf man noch sagen? Und was nicht? Inhalte seien auch auf anderen Streamingplattformen zu finden und teilweise nur schwer meldbar. Mit seiner Aktion wolle der Verein «Laut gegen Nazis» generell auf das Problem aufmerksam machen.

Und was macht Spotify?

Die Plattform reagierte bisher kaum auf gemeldete Inhalte. Nur 4,5 Prozent der gemeldeten Inhalte wurden nach Angaben von «Laut gegen Nazis» gelöscht. Damit konfrontiert, blieb Spotify erst mal still und meldete sich später mit einem Statement, auf das das Unternehmen auch gegenüber dem «Beobachter» verweist: «Spotify nimmt inhaltliche Bedenken sehr ernst. Wir setzen eine Reihe von algorithmischen und menschlichen Massnahmen zur Erkennung ein, um sicherzustellen, dass alle Inhalte mit den Regeln unserer Plattform übereinstimmen. Unser internes Expertenteam überprüft regelmässig verletzende Inhalte auf unserer Plattform und geht dagegen vor. Wir sind uns darüber im Klaren, dass es trotz unserer kontinuierlichen Innovationen und Investitionen in die Moderation immer noch mehr zu tun gibt.»


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