Daniel Bühr (59) beschäftigt sich seit fast 20 Jahren mit Fragen guter Unternehmensführung und damit auch mit dem Kampf gegen die Korruption. Erst auf Unternehmensseite, seit 2011 als Anwalt und Partner der Kanzlei Lalive in Zürich. Bühr war bis vor kurzem Vorsitzender der Schweizer NGO «Ethics und Compliance Switzerland», einer industrieübergreifenden Institution, die sich für eine ethische und saubere Führung aller Organisationen einsetzt.
Blick: Eine Studie von Transparency International und der FH Graubünden zeigt, dass Korruption bei im Ausland tätigen Schweizer Firmen nach wie vor weit verbreitet ist. Hat sie das Ausmass überrascht?
Daniel Bühr: Nein, das Ergebnis überrascht mich nicht. Das haben ja auch schon frühere Studien gezeigt.
Wieso ändert sich nichts?
Es ist einiges in Bewegung. Die Bemühungen darum, ein Unternehmen gut und anständig zu führen, haben sich in den letzten 15 Jahren stark verbessert. Zudem muss man zwischen der Nachfrage- und Angebotsseite unterscheiden.
Das heisst?
In vielen Schwellen- und Entwicklungsländern ist Korruption das grösste Risiko für ein Unternehmen. Es gibt dort Entscheidungsträger in der Politik wie auch in der Privatwirtschaft, die nach wie vor erwarten, dass sie einen Anteil bekommen, wenn Aufträge vergeben werden. Die Nachfrage nach Bestechungszahlungen ist ungebrochen hoch. Eine Provision von einem bis drei Prozent ist in Ordnung, alles darüber birgt ein Risiko.
Darauf muss eine Firma ja nicht eingehen, das Angebot nicht annehmen.
Ein Unternehmen bezahlt nie freiwillig einen von ihm geforderten, nicht gebührenden Vorteil. Ein Unternehmen besticht in einer Situation, in der ihm gesagt wird, wenn du nicht diesen Vorteil gewährst, dann bekommst du den Auftrag nicht. Aber das ist eine Aussage, die man heute einfach nicht mehr akzeptieren darf. Auch die Sicht, das gehöre halt zur Kultur dieser Länder, gilt nicht mehr. Korruption ist für die Leute auf der Strasse überall ein Verbrechen. Korruption liegt schlicht nicht mehr drin.
Sagt wer?
Die EU zum Beispiel. Alle grösseren Firmen müssen im nächsten Jahr unter anderem darlegen, wie sie die Korruption bekämpfen. Wer da nicht berichtet oder in einen Korruptionsfall verwickelt ist, riskiert aus sämtlichen westlichen Lieferketten zu herausfliegen. Das gilt dann auch für Schweizer Firmen und Zulieferer. Die EU ist im Kampf gegen die Korruption bezüglich der künftigen Berichtspflichten wesentlich weiter als die Schweiz. Wenn es kein Angebot mehr gibt, also die Firmen nicht mehr bereit sind, zu zahlen, dann wird auch die Nachfrage nach Bestechungsgeldern sinken.
Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein.
Es ist eine Frage der richtigen Strategie. Es gab Firmen, die haben zum Beispiel am Zoll regelmässig Schmiergelder bezahlen müssen. Bis sie eines Tages mit T-Shirts erschienen sind, wo es darauf geheissen hat, unsere Firma bezahlt keine Bestechungsgelder. Die wurden beim Zoll nie mehr nach Schmiergeldern gefragt.
Die Compliance-Abteilungen werden immer grösser, die Regelwerke dicker. Reicht das?
Nein. Der Kampf gegen Korruption ist eine Frage der Unternehmenskultur. Die muss von oben herab sichtbar, glaubhaft und aktiv vorgelebt werden. Der Verwaltungsrat, die Geschäftsleitung müssen sich klar zu einer Nulltoleranz-Strategie bekennen, dann kommt das auch an der Basis an. Das ist entscheidend für eine nachhaltige Wirtschaft: Am Anfang vieler Umweltsünden, Menschenrechtsverletzungen oder Kinderarbeit steht Korruption. Die Korruption ist das Grundübel, das viele andere Übel nach sich zieht.
Ein Grundübel, das aber gerade in der Schweiz selten vor Gericht landet.
Das hat auch damit zu tun, dass in der Schweiz – im Gegensatz zum Kartellrecht – eine Art Ausstiegsklausel fehlt. Die rechtlichen Risiken sind nicht unerheblich für eine Firma, die aus der systemischen Korruption aussteigen will. In der Schweiz fehlt eine klare Wegleitung, wie ein Unternehmen aus dieser Situation aussteigen und reinen Tisch machen kann. Andere Länder kennen solche Regelungen.