Nach Wende im Vincenz-Prozess
Wirtschaftskriminelle wandern seltener hinter Gitter als Kleinkriminelle

Wirtschaftskriminelle kommen oft mit vergleichsweise milden Strafen davon. Kleinkriminelle sehen sich viel eher mit harten Konsequenzen für kleinere Delikte konfrontiert. Diese Diskrepanz wirft Fragen auf.
Publiziert: 23.02.2024 um 10:25 Uhr
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Aktualisiert: 23.02.2024 um 15:46 Uhr
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Ungleichheit vor Gericht: Kleinkriminelle tragen oft harte Konsequenzen für kleinere Delikte. (Symbolbild)
Foto: Keystone

Klassen-Strafrecht vor Gericht? In der Schweiz wirft die unterschiedliche Behandlung von Wirtschaftskriminellen und Kleinkriminellen vor Gericht Fragen auf. Daten zeigten, dass man in der Schweiz für einen Diebstahl oder Raub deutlich schneller im Gefängnis lande als für Geldwäscherei, Korruption oder Betrug, schreiben die Tamedia-Zeitungen.

Ein Blick auf aktuelle Fälle verdeutlicht die Diskrepanz. Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (67) erhielt diese Woche die Aufhebung seines erstinstanzlichen Urteils. Dem verurteilten Betrüger Franz A. Zölch (75) gelingt es, seinen Haftantritt seit zwei Jahren immer wieder zu verzögern.

Milde Strafen für Wirtschaftsdelikte

Statistiken zeigten, dass Verurteilte wegen Betrugs oder Geldwäsche im Vergleich zu anderen Vermögensdelikten selten ins Gefängnis kommen, selbst bei Millionenbeträgen, schreiben die Tamedia-Zeitungen weiter. Beispiele wie der Seco-Korruptionsfall, der SBB-Betrugsfall und der Fall eines 60-Millionen-Geldwäschers illustrieren, dass Strafen vergleichsweise milde ausfallen können.

Hingegen würden jährlich über 4000 Menschen wegen vergleichsweise kleiner Delikte ins Gefängnis geschickt. Ersatzfreiheitsstrafen, vor allem seit der Strafrechtsrevision von 2007, spielten hier eine zentrale Rolle. Studien zeigten, dass viele Betroffene diese Strafen nicht bezahlen können, was zu einem Anstieg der Gefängniseintritte für Bagatelldelikte führt.

Verfahrensverzögerungen bei Wirtschaftsdelikten

Experten, darunter Strafrechtsprofessor Martin Killias (75), bezeichnen dies als «Klassen-Strafrecht», bei dem das Gefängnis hauptsächlich einer unteren Schicht vorbehalten bleibe. Wohlhabende Wirtschaftskriminelle kommen laut Strafrechtsprofessorin Monika Simmler (34) äusserst selten ins Gefängnis, insbesondere bei kurzen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren.

Die Möglichkeit, Verfahren zu verzögern, unterscheidet sich erheblich zwischen gut verteidigten Wirtschaftskriminellen und Asylbewerbern. So zeigten Studien gemäss den Tamedia-Zeitungen, dass bei Wirtschaftsdelikten die Entscheidung über beschlagnahmte Dokumente dreimal länger dauere als bei anderen Delikten. Dies unterstreiche die Herausforderungen und Ungleichheiten im schweizerischen Justizsystem. (oco)

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