Neue Richter, mildere Strafen, Millionenzahlungen
Wie es im Fall Vincenz nach dem Paukenschlag weiter geht

Die lange Prozessdauer wird sich auf die Strafhöhe mildernd auswirken. Doch nach dem Strafprozess wartet auf Vincenz die Schadenersatzfrage.
Publiziert: 22.02.2024 um 13:09 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2024 um 17:33 Uhr
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Ex-Raiffeisen-Boss Pierin Vincenz vor der Urteilsverkündung im Jahr 2022.
Foto: keystone-sda.ch
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Holger Alich
Handelszeitung

Die jüngste Wende in der Affäre um Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz geht auf einen Anwalt zurück, der bisher nicht im Rampenlicht stand: Fatih Aslantas. Er ist der Rechtsvertreter des Ende 2023 verstorbenen Investnet-Gründers Peter Wüst, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, Vincenz mit einer Schattenbeteiligung an Investnet dazu gebracht zu haben, dass Raiffeisen die Beteiligungsgesellschaft teuer kaufte.

Jetzt vertritt Aslantas, der früher bei Julius Bär Rechtskonsulent war, Wüsts Erbin. Und es war der Anwalt mit Sitz im wenig mondänen Frauenfeld, der Staatsanwalt Marc Jean-Richard-dit-Bressel seine wohl bitterste Niederlage beibrachte. Denn Dienstag zerfetzte das Zürcher Obergericht Jean-Richard-dit-Bressels Anklage als zu «weitschweifig» und unpräzise. Genau das hatte Aslantas bereits vor zwei Jahren im Gerichtssaal kritisiert.

Klage war von externen Experten geprüft worden

«Das Obergericht hat von sich aus bei seinem Entscheid auf einige meiner Argumente aus meinem Plädoyer an der Hauptverhandlung am Bezirksgericht Zürich zurückgegriffen», sagt Aslantas. «Ich hatte keinen neuen Antrag gestellt», fügt er an. Noch am Dienstagabend kündigte die Staatsanwaltschaft an, diese Schmach nicht auf sich sitzen zu lassen und den Fall vor das Bundesgericht zu ziehen. Denn Jean-Richard-dit-Bressel hatte zuvor seine Anklage auch von externen Expertinnen und Experten prüfen lassen, um auf Nummer sicher zu gehen, wie die Staatsanwaltschaft bestätigt. Genutzt hat es nichts.

Artikel aus der «Handelszeitung»

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Doch Jubelgeheul ist weder von Aslantas noch von anderen Verteidigern zu hören. «Der Entscheid des Obergerichts ist für uns kein grosser Triumph», sagt der Anwalt. «Das Verfahren zieht sich nun womöglich weitere Jahre in die Länge, und die Vermögen bleiben gesperrt, falls es bei diesem Entscheid bleibt.»

Sollte das Bundesgericht den Entscheid des Obergerichts nicht umstossen, wird der Beschluss vom Dienstag einige Folgen für das weitere Verfahren haben. Angesichts der immer länger werdenden Verfahrensdauer dürften die Hauptbeschuldigten Pierin Vincenz und sein Geschäftspartner Beat Stocker auf eine mildere Strafe hoffen. «Das Beschleunigungsgebot sagt, dass die Angeklagten aufgrund von Verzögerungen mildere Strafen erwarten können», erklärt der Freiburger Strafrechtsprofessor Marcel Niggli im Gespräch.

Lässt die Anklage den Betrugsvorwurf fallen?

Zudem kann sich der Experte vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft nun ihre Strategie anpasst. Und den Vorwurf des Betrugs fallen lässt. Schon bei der Urteilsbegründung, die sich in weiten Teilen auf die nun zurückgewiesene Anklage stützte, hatte Niggli kritisiert, dass der Vorwurf des Betrugs nicht belegt sei. «Ein Betrug liegt nicht vor, nur weil jemand gelogen hat oder etwas verschwiegen wurde – im konkreten Fall von Vincenz die Beteiligungen», argumentiert Niggli.

Für eine Verurteilung wegen Betrugs müssen klare Bedingungen gegeben sein: Jemand täuscht einen anderen arglistig, aufgrund dieser Täuschung unterliegt das Opfer einem Irrtum, aufgrund dieses Irrtums kommt es zu einer Vermögensverschiebung, und diese wiederum führt beim Opfer zu einem Schaden.

Das Verschweigen der Beteiligungen reiche für eine Betrugsverurteilung nicht aus. «Das ist wie bei einer Steuererklärung», so Niggli. «Wenn Sie dort etwas nicht angeben, liegt noch kein Betrug vor. Wenn Sie aber auf Nachfrage des Steuerkommissars die Unwahrheit sagen, kann das Betrug sein.» Sprich, die Verwaltungsräte von Raiffeisen und Aduno hätten nachfragen müssen, ob bei den geplanten Zukäufen Interessenkonflikte vorliegen könnten.

Anwalt Aslantas ist in diesem Punkt skeptischer: «Ich erwarte nicht, dass die Staatsanwaltschaft den Betrugsvorwurf gegen die Hauptbeschuldigten in der neuen Anklageschrift wird fallen lassen», sagt er, «Sie hatte damit ja vor der ersten Instanz teilweise Erfolg.»

Neue Richter für den nächsten Prozess

Allerdings werden andere Richter über eine allfällige neue Anklage urteilen. Denn der Vorsitzende Richter des ersten Strafprozesses vor dem Bezirksgericht Zürich, Sebastian Aeppli, ist pensioniert. Der zweite Richter, Rok Bezgovsek, arbeitet mittlerweile als Strafrichter in der zweiten Kammer des Obergerichts. Bleibt vom ersten Richtergremium, das vor zwei Jahren das Urteil sprach, noch Peter Rietmann.

Da das Bezirksgericht vor zwei Jahren ziemlich genau der Anklage folgte, werden die Anwälte der Beschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit darauf drängen, dass kein Richter aus dem ersten Prozess den Fall erneut beurteilt, um jeden Anschein von Befangenheit zu vermeiden.

Trotz der Pleite vor dem Obergericht erwartet aber kein Prozessbeteiligter, dass Staatsanwalt Jean-Richard-dit-Bressel den Fall abgeben muss. Er kennt den komplexen Fall bis in die letzte Verästelung. Sollte ein neuer Staatsanwalt die geforderte neue Anklage formulieren müssen, müsste dieser sich erst einmal in den Dokumentenwust der Beweisführung einarbeiten, der ausgedruckt um die 30’000 Bundesordner umfasst.

Das würde den Prozess noch länger verzögern. Und daran haben auch die Beschuldigten kein Interesse. Allein aus finanziellen Gründen. Denn hinter dem Strafprozess lauert die Frage des Schadenersatzes. Und da geht es um zweistellige Millionenbeträge. Die mit satten 5 Prozent pro Jahr weiter ansteigen.

Der Schadenersatz wird mit jedem Jahr teurer

Das Bezirksgericht hatte bei den Firmentransaktionen Commtrain, Investnet und GCL grundsätzlich den Anspruch auf Schadenersatz bejaht. Im Fall von Commtrain legte ihn das Gericht sogar explizit fest: Demnach müssen Vincenz und Stocker der Aduno 2,66 Millionen Franken an Schadenersatz zahlen – plus Zinsen seit 2008. Macht allein für diesen Fall über 6 Millionen Franken.

Bei den Beteiligungsgeschäften an den Firmen Investnet und GCL hatte das Bezirksgericht zur Klärung der Schadenersatzansprüche auf den Zivilweg verwiesen. Die Anklage taxierte die Höhe des Schadens mit dem Gewinn aus den Beteiligungsgeschäften. So gerechnet ist der grösste Brocken der Investnet-Deal aus dem Jahr 2011. Daraus standen Stocker rund 33 Millionen Franken zu – was aus Sicht der Anklage dem Schaden entspricht. Verzinst mit 5 Prozent droht hier rein rechnerisch eine Schadenersatzsumme von über 60 Millionen Franken, sollte ein Zivilgericht der Sichtweise der Anklage folgen. Die gesperrten Vermögenswerte dürften nicht ausreichen, um diese Ansprüche zu befriedigen. Zudem haften alle Beschuldigten solidarisch.

Schon jetzt hat Pierin Vincenz offenbar Geldprobleme. So hatte er sich unter anderem bei Stadler-Rail-Grossaktionär Peter Spuhler Geld geliehen, laut der «Sonntagszeitung» zahlt Vincenz aber seit geraumer Zeit keine Zinsen mehr. Um seine Schulden zu zahlen, will Vincenz daher seine Villa in Morcote verkaufen. Damit es hier zu einem transparenten Verkaufsprozess kommt, ordnete das Obergericht dem Bericht zufolge eine Zwangsvollstreckung an.

Nun soll Vincenz eine Prozessentschädigung von 34’698 Franken bekommen. Das wird seine Finanzprobleme kaum lindern. Und ob Vincenz noch zu Lebzeiten ein rechtskräftiges Urteil bekommt, steht mittlerweile in den Sternen.

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