Manuel Boeck

Anleger und Anlegerinnen sehen sich einer Vielzahl von Kryptowährungen gegenüber. Es gibt etwa 10'000 verschiedene Währungen, und es ist nahezu unmöglich, den Überblick zu behalten. 2013 gab es nur eine Handvoll Vertreter in der damals noch jungen Kryptowelt. Nach dem Krypto-Winter im Jahr 2022 sind digitale Assets wieder auf dem Vormarsch. Der Bitcoin ist dieses Jahr um 58 Prozent auf gut 66'000 Dollar gestiegen und hatte Mitte März sein derzeitiges Allzeithoch von fast 74'000 Dollar erreicht. Die Mehrheit der Marktbeobachter schaut äusserst optimistisch in die Zukunft.

«Die Akzeptanzkurve von Kryptowährungen spiegelt die des Internets selbst wider, mit einem exponentiellen Wachstum der Zahl der Wallets und Nutzer. Diese Wachstumskurve, gekoppelt mit wiederkehrenden Ereignissen wie der Halbierung des Bitcoin, unterstreicht die Reife und Widerstandsfähigkeit von Kryptowährungen als Anlageklasse», sagt Menno Martens, Krypto-Spezialist und Produktmanager bei Vaneck gegenüber cash.ch. 

Diese neue Anlageklasse bietet beträchtliche Wachstumschancen, da viele ihrer Komponenten in direktem Wettbewerb mit älteren Technologien und der traditionellen Finanzindustrie stehen. Die grösste Chance besteht daher darin, dass Kryptowährungen die alte Technologie oder Dienstleistung, die sie ersetzen sollen, wirklich ersetzen oder einen bedeutenden Marktanteil davon übernehmen. 

Es ist gar nicht notwendig, über alle Kryptowährungen ein Wissen zu akkumulieren. Die meisten sind unbedeutend und haben keine grossen Überlebenschancen. Dazu gehören vermutlich auch Wrapped Dogecoin, Baby Cat oder BlastAI. Der Markt trennt selbst die Spreu vom Weizen. Die fünf führenden Kryptowährungen zu kennen, reicht zu Beginn des Wissensaufbaus aus. Deren Marktkapitalisierung beläuft sich auf circa 1,82 Billionen Dollar und macht gut 82 Prozent des gesamten Kryptomarkts von 2,21 Billionen Dollar aus. 

Dies sind die derzeit fünf grössten Kryptowährungen nach Marktkapitalisierung:

An erster Stelle der grössten Kryptowährungen steht unangefochten Bitcoin mit einer Marktkapitalisierung von 1,18 Billionen US-Dollar. Seit Beginn des Jahres hat Bitcoin stark zugelegt, nachdem die Genehmigung und Einführung von US-amerikanischen Bitcoin-ETFs erfolgt war. Die weltweit älteste Kryptowährung ist vereinfacht gesagt ein Zahlungssystem. Neue Coins entstehen durch das sogenannte Mining, auch Proof-of-Work genannt. Dabei stellen Miner ihre Rechenleistung dem Netzwerk zur Verfügung und werden dafür mit Bitcoins belohnt.

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Das Schürfen der Coins sowie jede einzelne Transaktion sind mit einem hohen Energieaufwand verbunden. Neben der geringen Transaktionsgeschwindigkeit ist dies einer der Hauptkritikpunkte an Bitcoin. Hier bietet das Lightning Network eine Lösung. Es handelt sich um eine Second-Layer-Lösung für Bitcoin und ermöglicht schnelle und kostengünstige Transaktionen durch die Erstellung von Zahlungskanälen zwischen Nutzern. Ein grosser Vorteil von Bitcoin ist sein Schutz vor Inflation. Aufgrund der Programmierung gibt es eine Maximalgrenze von 21 Millionen Bitcoins. Derzeit sind 19,7 Millionen Coins im Umlauf. Bitcoin profitiert auch davon, dass es die erste Kryptowährung auf dem Markt war.

Ether weist eine Marktkapitalisierung von mehr als 394 Milliarden Dollar auf und ist seit Jahresbeginn um 50 Prozent gestiegen. Bitcoin und Ether zusammen machen über 70 Prozent der Marktkapitalisierung aller Kryptowährungen aus. Ether ist die Kryptowährung der Ethereum-Blockchain. Neben intelligenten Verträgen kann dieses Netzwerk als dezentrales Finanzökosystem dank ihres Kompatibilitätsstandards auch andere Kryptowährungen, sogenannte «Token», aufnehmen.

Neben seiner Eigenschaft als eigenes Finanzökosystem bietet das Netzwerk weitere Vorteile: Die Blockchain langfristig deflationär gestaltet - bei jeder Transaktion werden Ether vernichtet. Um den hohen Transaktionsgebühren aufgrund von Skalierungsproblemen und starker Netzwerkauslastung entgegenzuwirken, wurde im September 2022 ein hochkomplexes Protokollupgrade (The Merge) von «Proof of Work» zu «Proof of Stake» erfolgreich durchgeführt. Dieses Upgrade gilt als wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu mehr Effizienz und Skalierbarkeit im Ethereum-Ökosystem. Das energie- und zeitaufwändige Mining entfällt dann gänzlich.

Das Thema Ethereum-ETFs ist immer wieder in den Schlagzeilen. Der Handelsstart wurde mehrfach angekündigt und dann doch wieder verschoben. Doch in den nächsten Tagen soll es endlich so weit sein: Die ersten Ethereum-ETFs könnten noch vor August starten. Dieser Schritt wird voraussichtlich institutionelles Kapital in Milliardenhöhe nach Ethereum lenken.

Unter den Top fünf befindet sich auch ein sogenannter Stablecoin namens Tether. Dieser ist an den Wert des US-Dollars gekoppelt und daher im Vergleich zu «normalen» Kryptowährungen weniger volatil. Tether steht seit seiner Einführung in der Kritik: Der Coin wird von Tether Limited herausgegeben, einem Unternehmen, das von den Besitzern der Kryptobörse Bitfinex kontrolliert wird. 

Obwohl Tether aufgrund des festen Wertes nicht als besonders attraktive Anlage wie Bitcoin oder Ether gilt, ist der Token ein beliebtes Instrument für den Zugang zum Kryptomarkt – und manchmal ein guter Indikator für bevorstehende Marktbewegungen. Auch bei Tether kam es verschiedentlich zu Kontroversen, wobei insbesondere das «systemische Risiko» für den Kryptomarkt Sorge bereitet. Langfristig gesehen haben nur 14 Prozent von 334 Währungsbindungen seit dem Jahr 1800 in der Fiat-Welt bestanden, wie Analysen der Deutschen Bank zeigen. Diese Erkenntnis gelte auch für Stablecoins.

Auf dem vierten Platz liegt der Binance Coin mit einer Marktkapitalisierung von 84 Milliarden Dollar. Dieser Coin ist die Kryptowährung der Kryptobörse Binance. In diesem Jahr konnte der Token um 84 Prozent zulegen. Der Token wurde ursprünglich auf der Ethereum-Blockchain gestartet, ist jedoch mittlerweile auf die eigene Binance Smart Chain migriert worden. Der Coin dient hauptsächlich als Zahlungsmittel für die Nutzung der verschiedenen Dienstleistungen auf der Binance-Plattform. Ursprünglich gab es 200 Millionen Tokens. Um den Kurs des Binance Coins zu stabilisieren, werden vierteljährliche Token «Verbrennungen» durchgeführt. Die Kryptobörse investiert 20 Prozent ihrer Gewinne in dieses Vorhaben, bis 100 Millionen Tokens vernichtet sind.

Mit einer Marktkapitalisierung von 75 Milliarden Dollar befindet sich die Kryptowährung Solana auf dem fünften Platz. Seit ihrer Gründung im Jahr 2017 hat Solana einen beeindruckenden Kursanstieg von 533 Prozent erlebt. Das Netzwerk arbeitet nach dem Proof-of-Stake-Prinzip, was Staking ermöglicht. Ein weiterer Vorteil ist der Timestamp-Algorithmus, auch bekannt als Proof-of-History. Dieser ermöglicht die schnelle Abfolge automatisierter Transaktionen in Sekundenbruchteilen. Solana ist eine Blockchain, die Appentwicklern die Möglichkeit bietet, Krypto-Apps bereitzustellen und schnell zu wachsen, ohne Engpässe und Skalierbarkeitsprobleme, wie sie andere Netzwerke erfahren, zu erleben.

Nutzen, Tokenomics, Team und Gemeinschaft

Wer auf eher neue Projekte setzen will, geht meist mehr Risiko ein, kann aber bei Erfolg mit höherer Rendite rechnen: Die genaue wirtschaftliche Chance hängt stark von der sogenannten Tokenomik eines Projekts ab und davon, wie viel Prozent der Netzwerkeinnahmen in die Wertsteigerung des Tokens fliessen. Das grösste Risiko ist der Totalverlust des Wertes oder der Totalverlust der digitalen Vermögenswerte selbst und das Risiko einer extremen Volatilität. 

Im Allgemeinen basiert laut Martens eine gute Kryptowährung auf vier Säulen: Nutzen, Tokenomics, Team und Gemeinschaft.

• Nützlichkeit: Hat die Münze oder das Token einen echten Wert oder praktischen Nutzen?
• Tokenomics: Verfügt die Münze oder der Token über eine faire Anfangsverteilung, einen angemessenen Inflationsplan (falls vorhanden) und wirksame Belohnungsmechanismen? Ist er auf lange Sicht nachhaltig?
• Team: Besteht das Projektteam aus erfahrenen, hochqualifizierten und erfolgreichen Personen?
• Gemeinschaft: Verfügt das Projekt über eine starke und engagierte Gemeinschaft?

Selbst wenn das Projekt einige oder alle diese Kriterien erfüllt, besteht eine gute Chance, dass es sich um eine Niete handelt. Mit den jüngsten Fortschritten in der künstlichen Intelligenz ist es für ein Projekt viel einfacher geworden, legitim zu erscheinen. Eine gründliche Analyse ist daher unabdingbar.

Ein Begriff, den man vielleicht in diesem Kontext schon gehört hat und der von Krypto-Enthusiasten häufig verwendet wird, ist «Shitcoin». Dieser Begriff wird verwendet, um eine Kryptowährung mit bestimmten Eigenschaften (oder deren Fehlen) zu beschreiben. Ausserdem ist ein Shitcoin oft nicht von Natur aus schlecht, sondern es kommt darauf an, wie er von Investoren und Spekulanten wahrgenommen wird. «Die Definition ist subjektiv und variiert je nachdem, wen Sie fragen. Ein Bitcoin-Maximalist könnte zum Beispiel jeden Altcoin als solchen bezeichnen, während ein Altcoin-Enthusiast ihn vielleicht besitzt und unterstützt», meint Martens.