Wer heute beruflich neue Wege gehen will, hat einen guten Zeitpunkt erwischt. In einigen Branchen sucht man händeringend nach Leuten – zum Beispiel im Gesundheitswesen, in der Gastronomie, aber auch in den klassischen Handwerksberufen. Das bestätigt François Ems, der als Berufs- und Laufbahnberater im Berufsinformationszentrum Urdorf ZH Menschen bei ihrem Quereinstieg unterstützt und begleitet. Es gebe Berufsverbände, die derzeit verkürzte Ausbildungen anbieten, so der 62-Jährige.
Auch Berufe, für die man schon einen anderen Berufsabschluss oder eine Matura braucht, würden sich für Quereinsteiger anbieten. Bei der Polizei zum Beispiel oder im öffentlichen Verkehr. «Der Vorteil ist, dass man dort in der Regel schon während der Ausbildung gut verdient», sagt Ems. Ein Quereinstieg bedeutet nämlich häufig einen tieferen Lohn. Auch die Arbeitszeiten sind nicht immer optimal. Dafür erlebt man den Job oft als befriedigender, sinnhafter.
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François Ems weiss nicht nur von Berufs wegen, wovon er spricht. Sondern aus Erfahrung am eigenen Leib. Nachdem er zwölf Jahre als Elektroingenieur gearbeitet hatte, machte er 2001 die Ausbildung zum Berufs- und Laufbahnberater. So fand er selbst heraus, was es braucht, damit ein Quereinstieg oder eine Umschulung möglichst reibungslos gelingt: ein gutes Zeitmanagement – vor allem, wenn man nebenbei noch im alten Job arbeitet, Familie hat oder lernen muss.
Idealerweise ist man neugierig, flexibel, mutig und bereit, die eigene Komfortzone auch mal zu verlassen. Denn auch diese Erfahrung machte er: «Auf einem Gebiet wieder der Anfänger zu sein, das kann manchmal hart sein.»
Schnuppern gehen – auch wenn man erwachsen ist
Wenn man unsicher ist, ob einem eine neue Branche gefällt, solle man sich mit Leuten aus der Branche austauschen, Fachmessen besuchen oder auch einmal einen Schnuppertag machen. Auch wenn das bei Erwachsenen etwas ungewohnt ist. «Doch das kann eine sehr wertvolle Erfahrung sein und ein wichtiger Test, ob man die Strapazen eines Quereinstiegs auf sich nehmen will.»
Eine böse Schramme über dem Auge und Blut überall – so beginnt Sandra D’Adamos Schlüsselerlebnis. Als ihr damals zweijähriger Sohn auf der Treppe stürzt und in den Notfall muss, ist sie fasziniert von der Pflege dort. Zurück vom Spital sagt sie zu ihrem Mann, dass sie auch einmal im Spital arbeiten wolle. «Mach das!», sagt er.
D’Adamo informiert sich und findet heraus, dass sie die Ausbildung zur Pflegefachfrau auch in Teilzeit absolvieren kann. Im September 2020 fängt sie mit der Schule an – auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie. Für sie kein Hindernis. Viel eher denkt sie: Jetzt erst recht!
Der Computer verdrängte sie
Anfangs arbeitet sie noch 50 Prozent im alten Job bei den SBB weiter. Dort hatte sie auch schon das KV gemacht, arbeitete danach lange Zeit als Kondukteurin und zuletzt in der SBB-Störungszentrale. Dazwischen wurde sie Mutter zweier Kinder.
Die Arbeit in der Störungszentrale erledigte zuletzt ein Computer. «Ich musste fast nur noch überwachen, ob das Computerprogramm richtig arbeitet oder nicht.» Das erfüllte und forderte sie auf Dauer nicht mehr. «Ob ich da war oder nicht, machte irgendwie keinen Unterschied. Ich wollte dafür auch nicht meine Zeit mit der Familie opfern.»
«Finanziell ein krasser Einschnitt»
Doch neben der Ausbildung und den Kindern wird es trotzdem schnell zu viel. D’Adamo kündigt bei den SBB. «Finanziell war das für uns ein krasser Einschnitt.» Die Familie fährt nicht mehr jede Ferien weg, geht nicht mehr so häufig auswärts essen und verkauft eines ihrer zwei Autos.
Nochmals bei null anzufangen, eine Lernende zu sein, das hat am Anfang schon etwas an D’Adamos Selbstbewusstsein gekratzt. «Im alten Job war ich diejenige, die viel wusste und die man um Rat gefragt hatte. Nun musste ich fragen.»
Diesen Sommer wird D’Adamo die Ausbildung abschliessen. Von den ursprünglich 25 Leuten, mit denen sie angefangen hat, sind zehn übrig geblieben. «Wenn ich kurz vor dem Aufgeben war, hat mir mein Mann immer Mut gemacht und mich bestärkt.» Ein stabiles und unterstützendes Umfeld sei unglaublich wichtig. Bereut hat sie ihren Entscheid nie. «In den Momenten mit meinen Patienten weiss ich, dass sich alles gelohnt hat.»
Fische, Reptilien, Tierfutter. Das hat Rahel Klein 16 Jahre lang verkauft. Eigentlich gern, wie sie sagt. Doch dann kam Corona – und damit auch die Lust auf etwas Neues.
Die Stadt Zürich suche Tram- und Buschauffeure, meinte ein Kollege eher zufällig. «Doch was soll ich – als Innerschweizerin – in der Stadt?», denkt sie sich. Aber irgendetwas klingt in ihr nach, so ein Gefühl. Auf der Website der Verkehrsbetriebe Zug erfährt Klein, dass auch in der Innerschweiz nach Fahrerinnen gesucht wird. Sie bewirbt sich.
Eine anstrengende Sache
Das Auswahlverfahren ist intensiv. Sie soll wissen, worauf sie sich einlässt – auf die unregelmässigen Arbeitszeiten oder die Fahrten an Wochenenden, in der Nacht und an Feiertagen zum Beispiel. Ihr wird bewusst, dass da auch Familie und Freundeskreis hinter einem stehen müssen. Zum Glück tun sie es. «Mein Quereinstieg war spontan, ein Sprung ins kalte Wasser. Ich merkte aber sofort, dass ich mich richtig entschieden hatte.»
Die Umschulung ist anstrengend. Abends fällt Klein todmüde ins Bett. Immerhin muss sie sich finanziell keine Sorgen machen. Die ZVB übernehmen die eine Hälfte der Kosten, die andere wird ihr in den nächsten zwei Jahren anteilsmässig vom Lohn abgezogen.
Die erste Fahrt allein
Weil sie als Busfahrerin mehr verdient als im Verkauf, muss sie sich dafür nicht einschränken. Im März 2024 ist es dann so weit: Sie fährt zum ersten Mal allein eine Schicht. Alles klappt.
Doch es gibt auch Herausforderungen. Klein ist eigentlich ein Gewohnheitstier. Sie mag die Routine und fühlt sich wohl, wenn sie weiss, was sie erwartet. «Da musste ich mich total umstellen. Im Bus ist jeder Tag anders, ja sogar jede Fahrt – auch wenn man den ganzen Tag auf der gleichen Linie fährt.»
Weniger Mühe hat sie mit den Arbeitszeiten. Wenn um vier Uhr morgens der Wecker klingelt, ist das kein Problem. Sie mag das lieber als die Spätschicht, wo meist nicht viel los ist – fast schon etwas langweilig. Rahel Klein ist stolz, was sie alles geschafft hat. «Wenn ich sehe, was ich für Schwierigkeiten gemeistert habe, gibt mir das Selbstvertrauen.»