Der 1. April war der erste Arbeitstag von Dominik de Daniel (48) als neuem CEO der Holding von Klaus-Michael Kühne, und schon drei Wochen später konnte der frischgebackene operative Chef sein Gesellenstück präsentieren: Am 24. April gab die Kühne Holding die Übernahme des deutschen Pharmaherstellers Aenova bekannt.
Paradigmenwechsel
Eine Überraschung, denn anders als die anderen Grossbeteiligungen im Reich von Kühne – jener am Logistikkonzern Kühne+Nagel, an der Reederei Hapag-Lloyd oder der Airline Lufthansa – hat dieser Kauf keinen Transport- oder Handelshintergrund. Für Kühne, der mit der Konzentration auf seinen angestammten Bereich bisher gut gefahren ist, ein Paradigmenwechsel – ein bewusster allerdings: «Grundidee ist, nicht nur auf einem Bein zu stehen, nicht nur von Verkehr und Logistik abhängig zu sein, sondern auch in anderen Branchen Fuss zu fassen», sagt er. Den Bereich Medizin, den er ja auch durch die vielfältigen Förderaktivitäten seiner Stiftung kenne, halte er für vielversprechend. Ziel sei es, hier künftig weiter auszubauen und nach spannenden Firmen Ausschau zu halten, «auch wenn es zurzeit keine heissen Spuren gibt».
Mit einem Vermögen von fast 25 Milliarden Franken rangiert Kühne in der letztjährigen Reichstenliste von BILANZ auf Platz 3, die Sonderkonjunktur in der Transportbranche in den Corona-Jahren spülte allein an Dividenden mehrere zusätzliche Milliarden in die Kasse.
Und so hat er auch in den angestammten Bereichen ausgebaut. Die Beteiligung der Kühne Holding an der Lufthansa – bisher 17,5 Prozent – wurde auf 18,8 Prozent aufgestockt. Das Paket hat heute einen Wert von fast 1,5 Milliarden Euro. Grund zur Freude am Investment gab es allerdings zuletzt wenig: Der Kurs der Lufthansa-Aktie hat im laufenden Jahr um rund 20 Prozent nachgegeben. (Stand 27. Mai) Doch nicht nur strategisch, sondern auch personell gibt es einige Überraschungen, denn de Daniel war ursprünglich gar nicht für eine operative Rolle geholt worden: Der 48-Jährige war letztes Jahr von Karl Gernandt (63), seit vielen Jahren die rechte Hand von Kühne und Präsident von dessen Holding, als Verwaltungsratsmitglied geholt worden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Gernandt in einer Doppelrolle auch noch die Funktion des CEO inne – er galt damit als die zentrale Figur im System Kühne.
Neue Chance
De Daniel seinerseits war zu jenem Zeitpunkt Finanzchef des Warenprüfkonzerns SGS und soll laut Insidern im Gespräch für den CEO-Job dort gewesen sein. Doch es kam anders – die per 1. Dezember geholte neue Finanzchefin Géraldine Picaud wurde CEO, de Daniel räumte das Feld. Das Gute daran: Er war frei für neue Aufgaben.
Gernandt wiederum, stark verankert in Hamburg, seinem Wohnort, hatte schon seit Längerem den Wunsch geäussert, von den operativen Funktionen in der fernen Schweiz stärker entlastet zu werden. Aber auch sonst war Dynamik in die Sache gekommen, denn 2022 war Gernandt in den Strudel der Pleite um den gestrauchelten Immobilienfinancier René Benko geraten. Es war allerdings Kühne selbst, der (wie viele andere Investoren) vom schillernden Österreicher geblendet worden war – «wir sind da gemeinsam in ein Abenteuer reingeraten, doch die Hauptverantwortung dafür übernehme ich selbst», räumt Kühne ein.
«Kein Dissens»
Gernandt aber war mit der Umsetzung betraut gewesen und hatte als Verwaltungsrat der Immobilienfirma Signa Prime auch eine offizielle Funktion im verschachtelten Benko-Imperium eingenommen. Damit waren für Gernandt die juristischen Risiken gestiegen und auch die Gefahr, dass das Ganze weiter auf die Kühne-Firmen abfärben würde. Vor diesem Hintergrund bekam eine Änderung auf dem CEO-Posten der Holding zusätzlichen Schub. In «Inside Signa», dem jüngst erschienenen Buch über Benko aus der Feder der österreichischen Autoren Rainer Fleckl und Sebastian Reinhart, ist die Episode beschrieben, wie Gernandt mit Benko in dessen Privatjet nach Hamburg geflogen ist, wo eine Aussprache zwischen Benko und Kühne geplant war. Dass dies zum Vertrauensbruch zwischen Kühne und Gernandt und letztlich zu dessen Zurückstufung und der Aufgabe der Doppelfunktion geführt habe, wie in den Medien vermutet wurde, sei eine Fehlinterpretation: Er sei zwar in der Tat wenig begeistert gewesen – schliesslich habe eine kontroverse Aussprache mit Benko angestanden, da sei eine gemeinsame Anreise im Privatjet wenig passend –, doch die Sache sei für ihn längst erledigt. «Es gibt keinen Dissens zwischen Gernandt und mir», betont Kühne.
Gernandt ist mehr als nur ein Fahnenträger – der Manager ist ein Vertrauter, der Kühne rundum versorgt. Wenn es etwa ein neues Haushälterehepaar in seinem Haus in Mallorca braucht oder es Probleme mit seiner Yacht gibt, kümmert sich Gernandt darum: «Er liefert für Kühne quasi ein Rundum-Betreuungspaket», so ein Insider.
Einfacher wurde die Frage einer Neubesetzung der Holdingspitze dadurch, dass eine gute Lösung bereitstand: Dass de Daniel ein Finanzprofi mit Erfahrung bei grossen Firmentransaktionen war, wusste Gernandt wohl – vor der SGS hatte de Daniel in Diensten der Kaffeedynastie Jacobs gestanden und für die Jacobs Holding unter anderem den Verkauf des Personalvermittlers Adecco bewerkstelligt. Gernandt und die Familie Jacobs sind persönlich befreundet.
Dabei hatte Gernandt nur wenige Monate zuvor noch ganz andere Pläne für seine operative Entlastung gehegt. Im September 2023 hatte er mit Doreen Nowotne, die unter anderem auch als Aufsichtsratschefin der Kühne-Beteiligung Brenntag tätig war, eine der Vorzeigefrauen der deutschen Wirtschaft geholt. Doch Patron Kühne soll mit Nowotne von Anfang an nicht richtig warm geworden sein, und bald machte das Wort von einer Fehlbesetzung die Runde. Als Gernandt das realisiert habe, soll er Nowotne fallen gelassen haben, berichten Insider. Die Kühne Holding gab gleichzeitig mit der Berufung de Daniels bekannt, dass Nowotne die Gesellschaft per Ende Februar auf eigenen Wunsch verlasse.
Grosse Autorität
Doch die Berufung von de Daniel zum CEO der Kühne Holding ist nur eine der zentralen neuen Personalien im Reich des Klaus-Michael Kühne. In der Kühne-Stiftung, dem obersten Gefäss im System, gab es 2023 einen Schub hochkarätiger Neubesetzungen. Wichtig ist dies, weil die Stiftung nach dem Ableben des Patrons irgendwann die Drehscheibe der Macht sein wird, wird sie doch dereinst den Besitz des kinderlosen Milliardärs erben. Damit wird die Kühne-Stiftung dann auch die Holding kontrollieren, wo die Beteiligungen konkret eingebracht sind, wobei der 54,1-Prozent-Anteil am Logistikkonzern Kühne+Nagel mit einem Wert von 16 Milliarden (Stand 27. Mai) das grösste Asset ist. Weitere 4,7 Prozent hält die Kühne-Stiftung bereits heute. Operativ hat sich Kühne aus dem Logistikkonzern mit Sitz in Schindellegi schon vor Jahren zurückgezogen, er amtet lediglich noch als Mitglied des Verwaltungsrats – als Mehrheitsbesitzer aber natürlich mit gewichtiger Stimme.
Über der Kühne-Stiftung thront er aber weiter als Präsident, und von hier aus strahlt seine Autorität wie eh und je. Der Grand Old Man ist ebenso geachtet wie gefürchtet – in seinem Umfeld darf man nicht zimperlich sein. Wer seine Gunst nicht geniesse, müsse oftmals arg untendurch, wie mehrere ehemalige Kühne+Nagel-Manager berichten. Jeder weiss: Das letzte Wort hat bis heute immer noch Kühne selbst.
Topleute
So gesehen ist die Besetzung von Ämtern in der Stiftung nicht Zeichen seiner abnehmenden Macht, sondern seiner eigenen Einsicht, dass auch die Nachfolge gut aufgegleist werden will: «Die Stiftung wird nach meinem Ableben sehr vermögend sein, weil die Anteile der Holding an die Stiftung übergehen werden.» Das grosse Vermögen und das hohe Dividendenpotenzial würden dazu führen, dass die Stiftung ihren Aktionsradius und ihre Aktivitäten noch wesentlich ausweiten werde: «Da müssen sehr profilierte Persönlichkeiten da sein, um den eigentlichen Stiftungszweck der Gemeinnützigkeit und die unternehmerische Verantwortung gleichermassen abzudecken.»
Im letzten Jahr hat er den Verwaltungsrat mit vier Neuzugängen ausgebaut; unter anderem kamen im November 2023 mit Jens Weidmann, Ex-Präsident der Deutschen Bundesbank, und Thomas Buberl, CEO des Versicherungsgiganten Axa, zwei Schwergewichte hinzu.
Mächtigster Mann wird in der Stiftung aber dereinst ein Mann sein, der im Hintergrund wirkt und den kaum jemand kennt: Vizepräsident Thomas Staehelin (77). Staehelin ist Kühnes Rechtsanwalt und schon seit Jahrzehnten sein engster Vertrauter. Der Basler Jurist ist als Testamentsvollstrecker bestimmt, und «er ist nach meinem Ableben oder Ausscheiden auch als neuer Präsident der Stiftung vorgesehen», wie Kühne verrät. Staehelin ist schon seit 1998 im Stiftungsrat.
Die Bekanntschaft der beiden Männer geht noch auf Vater Alfred Kühne (1895–1981) zurück. Als jener Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre mit seiner Firma aus Deutschland in die Schweiz wechselte, suchte er in vielfältigen juristischen Angelegenheiten Beratung und fand diese bei Leo Fromer von der gleichnamigen Basler Kanzlei. Bei Fromer gab es auch einen jungen aufstrebenden Anwalt – Thomas Staehelin. Dieser wurde für Klaus-Michael Kühne einer der wichtigsten Gefährten in seiner langen Unternehmerkarriere. Letztes Jahr zog Kühne auch dessen Sohn Tobias Staehelin, wie jener Rechtsanwalt, in die Stiftung nach. Schon seit 2021 waltet Staehelin jr. im VR von Kühne+Nagel. Die Familien sind auch persönlich befreundet – Kühne kennt Tobias Staehelin schon seit dieser noch im Sandkasten spielte.
Viele sehen im jungen Staehelin schon den potenziellen Nachfolger für die wichtige Rolle, die Vater Thomas in den letzten Jahrzehnten spielte, nicht zuletzt auch irgendwann als Präsident der Stiftung. Laut Insidern hängt dies aber auch von äusseren Umständen ab. Denn Tobias Staehelin gilt auch als Coming Man in einem anderen Reich eines mächtigen Patrons – beim Liftbauer Schindler. Seine Mutter stammt aus dem Familienzweig Bonnard, der zusammen mit dem Zweig von Alfred Schindler die Mehrheit besitzt. Sollte Tobias Staehelin dereinst ins Präsidium von Schindler aufrücken, wäre eine zusätzliche Präsidiumsfunktion bei Kühne sehr unwahrscheinlich, sagen Kenner des Unternehmens.
Vertrauensanwalt
An Thomas Staehelin wird es sein, die Stiftung personell neu auszurichten und die Machtverhältnisse neu einzupendeln. Wenn es mehrere starke Persönlichkeiten gebe, habe man die Qual der Wahl, sagt Kühne. Er selbst habe sich noch in keiner Weise festgelegt, er halte eine vorzeitige Weichenstellung nicht für sinnvoll. Auch die eigene Nachfolge muss Staehelin dannzumal aufgleisen: Er ist mit 77 Jahren selbst nicht mehr der Jüngste.
Auch auf längere Sicht eine zentrale Rolle spielen dürfte Jörg Wolle, als Präsident von Kühne+Nagel schon jetzt eine Schlüsselfigur und zudem ein erfolgreicher Unternehmer, auf den Kühne stark hört und von dessen Fähigkeiten er viel halten soll, wie aus seinem Umfeld verlautet. Als Einziger neben Gernandt hat Wolle in allen drei Gefässen Einsitz, der Stiftung, der Holding und bei Kühne+Nagel. Beim Logistikkonzern ist er seit 2010 als Verwaltungsrat, 2016 wurde er Präsident und hat grossen Anteil an der erfolgreichen Ausrichtung des Unternehmens. Dass Kühne bei Kühne+Nagel überhaupt habe loslassen können, liege daran, dass er sein Unternehmen bei Wolle in guten Händen wisse. «Ich habe sehr viel Vertrauen in Jörg Wolle», sagt Kühne.
Dass der Kurs in diesem Jahr gelitten hat – mit einem Minus von 15,2 Prozent (Stand 27. Mai) ist die Kühne+Nagel-Aktie die schlechteste von allen SMI-Werten im laufenden Börsenjahr –, beunruhigt Kühne nicht weiter: Das sei in erster Linie Zeichen einer Normalisierung der Marktverhältnisse nach den ausserordentlich guten Jahren der Sonderkonjunktur in der Corona-Zeit.
Geistig topfit
Dieses Jahr wurde Kühne erstmals nicht an der Generalversammlung von Kühne+Nagel gesichtet, was Aussenstehende dahingehend interpretierten, dass der Patron aktiv ein Zeichen setzen wolle, dass er sich immer mehr zurückziehe. Nein, sagt Kühne, seine Nichtteilnahme habe viel profanere Gründe gehabt, nämlich gesundheitliche. Er habe sich in jener Zeit mehreren Behandlungen unterziehen müssen, die ihn etwas geschwächt hätten. Aussenstehenden ist aufgefallen, dass Kühne – lange Zeit auch körperlich der Inbegriff von Energie – zuletzt nicht gut zu Fuss war.
Im Gespräch wirkt Kühne allerdings rege wie eh und je: Er kommt schnell auf den Punkt, argumentiert ruhig und bestimmt, hält mit seiner Meinung wie immer nicht zurück und schüttelt auch Geschäftsdetails mühelos aus dem Ärmel. Ja, er gehe weiter jeden Vormittag ins Büro, nachmittags arbeite er von zu Hause, so habe er seinen Rhythmus seit einem halben Jahr etwas angepasst.
Engagiert ist er weiterhin bei seinen vielfältigen Charity-Aktivitäten. Das Spektrum ist breit und reicht vom Kulturbereich (er ist Hauptsponsor von Lucerne Festival und Elbphilharmonie) über die Ausbildung (er ist Gründer der Kühne Logistics University in Hamburg) bis hin zum Medizinbereich (er ist Geldgeber der Allergologie- und Kardiologieforschung am Medizincampus in Davos). Auch Gattin Christine (86) ist gemeinnützig stark engagiert, dem Medizinbereich gilt ihr besonderes Interesse. Ins geschäftliche Umfeld der Kühne-Firmen wurde sie aber nicht eingebunden.
Die Personen aus den Charity-Bereichen ergänzen das Netzwerk von Klaus-Michael Kühne in verschiedener Hinsicht, und mitunter ergeben sich wertvolle Verbindungen zu seinen geschäftlichen Aktivitäten. So habe er sich im Zusammenhang mit dem jüngsten Entscheid des Aufbruchs in den Medizinbereich durch den Kauf von Aenova unter anderem auch mit Gregor Zünd beraten, sagt Kühne. Der Herzchirurg war bis 2023 Direktor des Universitätsspitals Zürich und wirkt heute unter anderem als Präsident der von Kühne unterstützten Hochgebirgsklinik Davos. Zünd hat zudem mehrere Start-ups im Bereich Medtech gegründet. An der Seite von Zünd im Board der Hochgebirgsklinik wiederum finden sich zwei Namen, die auch sonst im Kühne-Reich eine bedeutende Rolle spielen: der erwähnte Karl Gernandt, Präsident seiner Holding, sowie Jörg Dräger, Geschäftsführer seiner Stiftung. So schliesst sich der Kreis in einer Runde hochkarätiger Persönlichkeiten, in der sich die unterschiedlichsten Bereiche gegenseitig befruchten.