Die Gefahr einer Strommangellage ist gesunken, doch die Situation bleibt ernst. Sicherheit gibt die Not-Wasserkraftreserve, die der Bundesrat im letzten Herbst anordnete: 400 Gigawattstunden Strom stellte die Landesregierung über eine Ausschreibung sicher.
Diese Menge müssen die Betreiber von Speicherkraftwerken zurückhalten – für den Fall, dass die Energie im Frühling knapp wird. Dafür erhalten sie 300 Millionen Franken, bezahlt von den Verbrauchern. Und wenn die Betreiber die Reserve später verkaufen, kassieren sie noch einmal ab.
Die Schweizer sparen Energie, blechen für teuren Strom, finanzieren einen Milliarden-Schutzschirm für Stromunternehmen und zahlen extra für Notreserven, damit die Speicherseen nicht auslaufen. Da macht es Sinn, dass die Energiekonzerne wacker Strom importieren, um die Füllstände in den alpinen Badewannen hoch zu halten.
Das Problem ist nur, dass die Betreiber gleichzeitig auch eifrig Strom exportieren. So kamen im letzten November 2,9 Terawattstunden aus Deutschland, Österreich und Frankreich rein – im gleichen Monat flossen aber auch 1,9 Terawattstunden nach Italien raus. Die Schweiz hat also fast drei Terawattstunden importiert, doch unter dem Strich blieb gerade einmal eine Terawattstunde im Land. Das zeigen Daten der Website Swiss Energy-Charts.
Die Daten zeigen auch, wie das Geschäft funktioniert: Die Importe finden in der Nacht statt, wenn die Börsenstrompreise tief sind. Die Exporte fliessen tagsüber, wenn die Preise hoch sind. «Das Ergebnis dieser Börsenspekulation sind grosse Gewinne für die Unternehmen – zulasten der Stausee-Kapazitäten, die im Verlauf des Winters abnehmen», sagt Energieexperte Thomas Nordmann (70), Herausgeber und Betreiber von Swiss Energy-Charts.
Damit die Handelsaktivitäten der Energiekonzerne die Seen nicht komplett leeren, müssen die Verbraucher ihnen nun Hunderte Millionen zahlen. Das gelte es künftig zu verhindern, sagt Nordmann. «Es gibt drei Instrumente zur Sicherung der Füllstände in den Stauseen: Energiesparen, Ausbau der Fotovoltaik und Reduktion der Exporte aus den Speicherkraftwerken.»
BKW hält sich bedeckt
Der Berner Energielieferant BKW hat für 2022 einen Gewinn von einer Milliarde Franken angekündigt. Welchen Anteil daran haben die Stromverkäufe ins Ausland? Wie viel Geld verdient die BKW mit den Exporten insbesondere in der kritischen Winterzeit? «Zu einzelnen Handelspositionen gibt die BKW keine Auskunft», sagt der Konzern auf Anfrage. «Auch über Mengen und Preise geben wir keine Auskunft.»
Die Frage, wie viele Millionen die BKW für die Zurückhaltung von Wasserkraftreserven vom Bund erhält, beantwortet der Konzern ebenfalls nicht. Auch das Westschweizer Unternehmen Alpiq, das 50 Prozent der ausgeschriebenen Wasserkraftreserve stellt, schweigt sich zur Entschädigung aus. Zu seinen Einnahmen mit Stromexporten äussert sich Alpiq genauso wenig wie der Energiekonzern Axpo.
Besonders gesprächig sind die Strombarone nicht. Das ist auch dem Bundesrat aufgefallen. Simonetta Sommaruga (62) leitete kurz vor ihrem Rücktritt Ende 2022 ein neues Transparenzgesetz in die Wege: Die Energieunternehmen – grösstenteils im Besitz von Kantonen und Gemeinden – sollen künftig ihre Bücher offenlegen.
«Das System beim Handel ist komplex», sagte Sommaruga zur Vorlage. «Es besteht die Gefahr von Kettenreaktionen, die die ganze Stromversorgung gefährden können.»