Keine andere Fluggesellschaft deckt die Welt so gut ab wie Emirates. Sie bedient das grösste internationale Streckennetz. Dementsprechend hart setzte die globale Pandemie der Wüstenairline zu. Blick trifft Emirates-Europa-Chef Thierry Aucoc (59) zum virtuellen Zoom-Interview. Der gebürtige Pariser sitzt in der Emirates-Zentrale in Dubai. Den Schweizer EM-Sieg über Frankreich hat der Fussballfan mittlerweile verdaut. «Gut, dass wir erst jetzt sprechen und nicht gleich nach dem Spiel», sagt er und lacht.
Blick: Herr Aucoc, ist die Corona-Krise für Emirates bereits ausgestanden?
Thierry Aucoc: Leider noch nicht. Derzeit bieten wir im Vergleich zu 2019 eine Sitzplatzkapazität von rund 30 Prozent an. Wir bauen unser Streckennetz schrittweise wieder auf. Ende Juli werden wir schon wieder fast 90 Prozent unseres ursprünglichen Streckennetzes anfliegen. Natürlich haben wir aber noch nicht an jedem Zielort die gleiche Anzahl von Flügen pro Woche.
Auffallend ist die Präsenz von Emirates in der kleinen Schweiz. Sie führen einen Direktflug pro Tag ab Genf und Zürich durch. Das kann doch nicht aufgehen. Fliegen Sie gerne Geisterflugzeuge durch die Welt?
Es stimmt, dass die Kapazität von Emirates für ein Land wie die Schweiz hoch ist. Das geht aber sehr wohl auf. Die Schweiz ist traditionell ein grosser Markt – für viele Fluggesellschaften. Die Schweizer sind sehr reisefreudige Menschen. Die Anzahl der Flüge pro Kopf ist hoch. Hinzu kommt: Die Schweizer reisen mit uns nicht nur nach Dubai, sondern derzeit auch wieder auf die Malediven, die Seychellen und zu weiteren verschiedenen Zielen in Afrika. Normalerweise ist auch Australien sehr beliebt, nur ist das Land derzeit leider für Touristen geschlossen. Glauben Sie mir: Wir haben nicht die Absicht, leere Flugzeuge in die Luft zu setzen, nur um eine Show über Zürich zu veranstalten.
In der Schweiz haben Sie viele Geschäftsreisende. Aber die Businessklasse muss derzeit auch bei Emirates verwaist sein. Diese Form von Reisen hat keine rosige Zukunft.
Ich glaube, die Erholung wird in diesem Segment einfach etwas länger dauern. Wir stellen bereits fest, dass Mitarbeitende von kleineren oder mittelgrossen Firmen vermehrt wieder auf Geschäftsreise gehen. Sie müssen ihre Produkte schliesslich weiterhin in der Welt bekannt machen und verkaufen. Und ein virtuelles Meeting ersetzt keine physischen Treffen. Das haben wir alle in dieser Pandemie gemerkt. Die grossen Unternehmen fragen sich jetzt noch, ob eine Dienstreise wirklich notwendig ist. Zuerst werden sie diese teilweise noch einsparen. Aber auch in diesem Segment werden wir das frühere Volumen wieder erreichen. Und übrigens muss ich klar sagen: Nicht alle Gäste in der Businessklasse sind Geschäftsreisende. Insbesondere die Schweizer fliegen gerne Business – auch wenn sie in die Ferien fliegen.
Sie beschönigen die Situation. Experten gehen davon aus, dass die Airline-Branche erst 2025 oder gar 2027 wieder das Vorkrisenniveau erreicht.
Wir sind optimistisch und erwarten, dass die Nachfrage im späteren Verlauf des Jahres 2022 wieder auf dem Level von vor der Pandemie sein wird. Dies gilt auch für unsere Kapazitäten.
Wie bitte? Schon im nächsten Jahr?
Es kann auch 2023 werden. Aber wir müssen ein Ziel haben. Sehen Sie nur, wie schnell sich die Situation in Europa zuletzt verändert hat. Im Frühling war fast alles zu, jetzt ist fast alles wieder offen. Unser Streckennetz wächst von Woche zu Woche. Das alles stimmt mich zuversichtlich. Und wir profitieren zusätzlich von der Weltausstellung Expo, die in Dubai im Oktober beginnt.
Wie lange müssen wir noch mit Maske fliegen?
Leider noch eine Weile. Mindestens für die nächsten Monate. Wir wissen, dass sich einige Kunden daran stören. Natürlich würden wir alle lieber ohne Maske fliegen. Aber es ist wahrlich kein Gamechanger: Mit der Maske schütze ich die Mitreisenden und auch mich selbst. Das ist es mir persönlich wert, einen Gesichtsschutz zu tragen. Emirates hat sich immer an die Vorgaben der Gesundheitsbehörden gehalten. Das werden wir weiterhin tun. Unsere Flugzeuge sind auch alle mit modernsten Filtersystemen ausgestattet, die die Kabinenluft alle zwei bis drei Minuten vollständig austauschen.
Der Airport von Dubai ist das grösste Flughafen-Drehkreuz der Welt. Emirates hat davon enorm profitiert. Nun haben Sie aber ein Problem: Flugzeuge können immer längere Distanzen zurücklegen. Der Hub in Dubai wird überflüssig.
Da täuschen Sie sich. Es gibt zwar immer mehr Maschinen, die eine Kapazität von 250 bis 300 Passagieren haben und sehr lange Strecken fliegen können. Einerseits rechnen sich Direktflüge für die allermeisten Destinationen aber schlicht und einfach nicht. Die Nachfrage ist nicht gross genug für einen Flug von beispielsweise Genf nach Hanoi. Andererseits wird ein grosses Streckennetz für die Airlines immer wichtiger. Wir brauchen unser Drehkreuz. Wir können uns mit Dubai in der Mitte der grössten Passagierentwicklung der Welt positionieren: Asien, Europa und Afrika. Deshalb haben wir noch viele Erfolg versprechende Jahre vor uns.
Ich merke: Sie glauben nicht, dass sich die Art des Reisens nach der Pandemie verändern wird?
Die Reiselust ist immer noch da. Wir haben die Zahlen dazu: Jedes Mal, wenn eine Feriendestination sich wieder für Touristen öffnet, gibt es unmittelbar eine grosse Nachfrage. Das war eine Stärke von Dubai, wo Touristen seit dem Sommer 2020 wieder empfangen werden. Dubai ist seither stark nachgefragt.
Darüber haben sich viele Schweizer echauffiert. Influencer, die von Emirates im vergangenen Winter nach Dubai eingeflogen worden sind. Und das mitten in der Pandemie. Als wir alle mehrheitlich zu Hause in den eigenen vier Wänden sassen. Verstehen Sie den Ärger?
Es ist nicht unsere Verantwortung. Reiseinhalte zu posten, ist Teil des Lebens von Influencern. Und Dubai ist eine passende Stadt dafür: Die Stadt ist offen für Tourismus, bietet immer eine Show, und die Sonne scheint. Dubai ist modern mit seinen vielen Wolkenkratzern und den ikonischen Hotels und Spitzenrestaurants – das kommt beim Publikum an. Ich kann aber gut verstehen, dass solche Bilder in den sozialen Netzwerken auch eine Provokation sein können. Und das zu einem Zeitpunkt, als in der Schweiz das Wetter nicht gut und die Restaurants geschlossen waren. Dieser Kontrast war heftig. Aber die Influencer posten von vielen Orten. Nicht nur aus Dubai, sie gehen auch nach Miami. Sie ziehen immer weiter für ihre Projekte ...
... das ist etwas anderes. Es stimmt doch, dass Emirates als staatliche Airline gezielt Influencer einfliegt, um Werbung für Dubai zu machen?
Emirates verfolgt keine grosse Influencer-Strategie. Wir unterstützen punktuell einzelne Influencer-Reisen mit inhaltlichem Fokus auf den Flug. Die meisten buchen ihre Flüge aber selbst. Sie fliegen mit uns, veröffentlichen Bilder aus der Businessklasse und bekommen dafür viele Klicks und Likes. Natürlich freut es uns, wenn sie damit das Reisen promoten.
Dubai verdankt seine Popularität den Reichen und Schönen.
Es ist eine attraktive Stadt. Diese Leute, die Sie ansprechen, sind wegen ihrer Bekanntheit sehr sichtbar. Aber eigentlich in der klaren Minderheit. Wir haben viele Familien, die mit ihren Kindern die Stadt erkunden. Und Dubai steht nicht nur für Show und die Skyline. Die Touristen entdecken die Wüste, gehen wandern auf den Bergen oder besuchen den historischen Teil der Stadt.
Die Vergangenheit von Dubai ist belastet. Die Werte sind für einen Westler eigentlich nicht zu vereinbaren. Sie sind Franzose, Hand aufs Herz: Hatten Sie nie ein schlechtes Gewissen, in den Vereinten Arabischen Emiraten für Emirates zu arbeiten?
Nein. Ich arbeite jetzt seit acht Jahren in Dubai. Es ist nicht das Gleiche, wenn man als Tourist nur drei Tage die Stadt besichtigt. Wenn man dort lebt, entdeckt man ein Land, das organisiert, offen und tolerant ist. Dubai ist sehr multikulturell. Das mag ich.
Tolerant? Ich bitte Sie. Es gibt keine Meinungsfreiheit in Dubai.
Ich bin kein Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate und mache auch keine Politik. Das liegt in der Hand der Einheimischen. Seien wir doch ehrlich: Entweder Sie mögen dieses Land und bleiben hier. Oder Sie mögen es nicht und Sie gehen. Ich bin nach acht Jahren noch hier. Ich mag es, in diesem Land zu leben. Und ganz offensichtlich geht es vielen anderen genauso.
Thierry Aucoc (59) hat sein Leben ganz dem Fliegen gewidmet. Geboren und aufgewachsen in Paris, hat der Franzose eine beeindruckende Karriere in der Airline-Branche gemacht. Bei der UTA und später der Air France war er Manager für die Schweiz, aber auch für grössere Regionen wie Nord- und Südamerika sowie Südafrika zuständig. Seit zehn Jahren ist er bei Emirates, acht Jahre davon als Europa-Chef.
Thierry Aucoc (59) hat sein Leben ganz dem Fliegen gewidmet. Geboren und aufgewachsen in Paris, hat der Franzose eine beeindruckende Karriere in der Airline-Branche gemacht. Bei der UTA und später der Air France war er Manager für die Schweiz, aber auch für grössere Regionen wie Nord- und Südamerika sowie Südafrika zuständig. Seit zehn Jahren ist er bei Emirates, acht Jahre davon als Europa-Chef.