Erotikunternehmer Patrik Stöckli (65) geht in Rente. Seinen Ausstieg begründet der Schweizer «Sex-König» unter anderem mit einem schweren Velounfall. Bei diesem zog er sich vor zwei Jahren einen Beckenbruch zu.
Nun will er kürzertreten. Im Gespräch mit Blick macht Stöckli aber einen sehr lebhaften Eindruck. Redet mal leise und besonnen, mal laut und wild gestikulierend. So richtig in Fahrt kommt er, wenn er über «die Banken» spricht. Diese hätten ihm nie einen Franken Kredit gewährt. Sie trauen sich laut Stöckli keine Verbindung zum Sexgeschäft zu, was «verlogen» sei.
Diese Behauptung knüpft er an den verurteilten früheren Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz (66), der laut Stöckli ungerecht behandelt wird. «Eine Schweinerei ist das! Er hat doch das ganze Geschäft für die Banken in den Cabarets hereingeholt. Da darf er wohl auch Spesen dafür einfordern.»
Stöckli bleibt Inhaber von Cruising World
Ruhiger ist Stöckli, wenn es um Zahlen geht. «Wenn die Miete eines Ladens mehr als zehn Prozent seines Umsatzes beträgt, dann wird geschlossen», sagt er in seinem Büro in Wollerau SZ. 2017 schloss er deswegen schon sechs Erotik-Markt-Filialen.
Selbst in seinem eigenen Gebäude in Wollerau gibt es keinen Erotik-Markt mehr. Hier ist noch ein grosses Lager mit allerhand Sextoys sowie der Sitz der CNP Entertainment, die Stöckli weiterhin gehört. Verkauft hat er die zuletzt noch acht Filialen von Erotik Markt an den Mitbewerber Magic X. Im Portfolio von CNP verbleiben aber 6 Standorte von Cruising World. Das sind Swinger- und Saunaclubs ohne Prostitution. Stöckli ist operativ kaum mehr involviert.
Hat der Verkauf von Erotik Markt auch mit mangelnden Zukunftsperspektiven zu tun? Stöckli verneint: «Die zuletzt noch bestehenden Filialen von Erotik Markt waren allesamt profitabel.» Natürlich sei der Konkurrenzdruck höher als in früheren Zeiten. Hat er den Anschluss in den E-Commerce verpasst? Stöckli verneint erneut: «Wir haben da auch mitgemischt und gerade während Corona sehr viel Umsatz gemacht.» Es sei aber nicht sein Ding: «Ich verstehe nicht viel von E-Commerce.»
Bis zuletzt war der in den Läden erzielte Umsatz höher als jener aus dem E-Commerce. Stöcklis Erfolgskonzept basiert darauf, dass der Verkauf von Erotik-Artikeln kein «schmuddeliges» Geschäft ist. Seine Läden sind hell und sauber. Auch Paare zählen zu seinen Kunden. Mit einem Schmunzeln erzählt er vom Kaufdruck, der beim Mann entsteht, wenn der Frau etwas im Laden gefällt.
Die Anfänge in der Illegalität
Ursprünglich arbeitete Stöckli als Bildhauer in Hersiwil SO. 1983, mit 24 Jahren, sattelt er aufs Sexgeschäft um. Inspiriert wird er von einem Protzbild der deutschen Sexunternehmerin Beate Uhse (1919–2001) im «Stern», mit dem Titel «Das ist alles meins». Stöckli wittert das grosse Geschäft. Pornoartikel sind in der Schweiz zu jenem Zeitpunkt noch verboten. So besorgt er sich Hefte, Filme und Toys in Wiesbaden (D) und schmuggelt die Sachen über die Grenze. «Ich wurde mehrmals erwischt», gesteht er.
Ins Gefängnis kam er nicht. Er konnte durch die Gründung einer Niederlassung in Lörrach (D) sogar legal kleine Mengen in die Schweiz verschicken. Mit Inseraten im Blick bringt er die Ware an die Leute. Viel Geld macht er nicht, auch weil die Empfänger der Sexartikel aus Deutschland Mehrwertsteuer zahlen müssen. Stöckli kauft daraufhin die Vertriebsrechte für Sexfilme und legt in Wollerau eine «Kopierstrasse» an: Hunderte VHS-Recorder kopieren Sexfilme auf leere VHS-Kassetten, die Stöckli dann illegal innerhalb der Schweiz verschickt.
Dank sei der Abstimmung
Das Geschäft mit Sexartikeln explodiert aber erst mit der Liberalisierung. Am 17. Mai 1992 stimmt das Schweizer Volk dafür, dass pornografische Inhalte zulässig sind und nur «harte Pornografie» (etwa mit Tieren oder Kindern) verboten bleibt.
Stöckli ist mit dem Vertrieb von Sexheftli, -videos und -artikeln in der Schweiz bereits aktiv. Setzt alles auf eine Karte und organisiert am Abstimmungswochenende eine Sexmesse in Niedergösgen SO. Der Andrang sei riesig gewesen. «Wäre die Abstimmung anders verlaufen, wäre ich im Gefängnis gelandet», lacht Stöckli.
Die goldenen Zeiten
Es folgen goldene Zeiten. Zunächst im Versand, bald auch mit Läden. Der erste Erotik Markt in Wollerau ist gleich ein Erfolg. 1994 folgt ein 2000 Quadratmeter grosser Laden in Lyssach BE. Vor dessen Eröffnung stösst Stöckli auf erbitterten Widerstand der Gemeindebehörden. Er setzt sich durch und eröffnet munter weiter Läden. Zur Spitzenzeit um den Jahrtausendwechsel besitzt er 21 Erotik-Markt-Standorte.
«Auch mit Telefonsex-Nummern habe ich Millionen verdient», so Stöckli. Jetzt ist er auf dem Zenit angekommen. In den Erotik-Markt-Filialen steigen grosse Kundenpartys mit Hunderten Gästen. Zeitweilig steht Stöckli sogar kurz davor, das Seximperium von Beate Uhse zu kaufen. Letztlich kommt es nicht dazu. «Im Angebot waren zu viele Mietverträge und nicht genug Immobilien», so seine Begründung. Zudem findet er keine weiteren Investoren.
Der Fehlentscheid mit dem Womanizer
Als das Internet den Sexartikelvertrieb verändert, greift Stöckli zu besonderen Marketing-Aktionen. So verteilt er 2017 einmal persönlich 20-Franken-Scheine an alle Kunden, die den Erotik Markt betreten. «Das Geld holte ich zu 85 Prozent über die Verkäufe wieder herein», bilanziert Stöckli.
Nur einen Fehlentscheid bereut er bis heute: Er hätte sich beim «Womanizer»-Vibrator am Patent beteiligen können, pochte jedoch auf eine Mehrheit von 51 Prozent. Der Deal scheitert deswegen. An seinem späteren Verkaufsschlager hätte Stöckli als Miteigentümer deutlich mehr verdienen können.
Auf das Erreichte ist Stöckli dennoch stolz. Sein grösster Verdienst sei es, alles ohne Hilfe der Banken geschafft zu haben, sagt er nochmals stolz und angriffig.
Und jetzt?
Eine Zeit lang lief Stöckli Marathons, weil er deutlich an Gewicht zugelegt hatte. 80 waren es an der Zahl, heute könne er aber nicht mehr laufen. Seinen Lebensabend wird er oft auf dem Golfplatz verbringen. In der Schweiz, nahe seinem Wohnort Pfäffikon SZ, oder in seinem Zweitwohnsitz auf Ibiza (Spanien). Auch will er weitere Häuser bauen, «das ist für mich ein Hobby». Doch wolle er mit seinen Ressourcen haushalten.
Trotz des Erfolgs ist er bodenständig geblieben, hat sein schelmisches Lachen behalten. Den früheren Prunk, als er im Ferrari oder im Privathelikopter reiste, hat er abgelegt. Seine letzte Extravaganz: Eine Autonummer bestehend aus lauter «Sexen».