Am Mittwoch der Schock: Der US-Kongress in Washington verabschiedet ein Gesetz, dass einen Eigentümerwechsel der beliebten chinesischen Videoplattform Tiktok erzwingen will. Und das bereits in 180 Tagen. Andernfalls werde die App aus dem Verkehr gezogen. Der Gesetzesentwurf wandert nun weiter in den US-Senat, wo die Positionen noch unklar sind.
Das Mutterunternehmen von Tiktok, der chinesische Riese Bytedance, will das Gesetz jetzt mit allen Mitteln verhindern. Der Verkauf? Nur eine allerletzte Option. Das mögliche Verbot und die damit verbundenen Auswirkungen schlagen bereits hohe Wellen. Geopolitisch und wirtschaftlich ist die Tiktok-Saga ein ganz heisses Eisen. Auch für die Schweiz? Blick ordnet ein.
Ist ein Tiktok-Verbot überhaupt realistisch?
Ein Tiktok-Verbot in den USA erscheint durchaus realistisch, da sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Präsident Joe Biden (81) Unterstützung für entsprechende Massnahmen gezeigt haben, sagt Manuel P. Nappo (52), Leiter des Instituts für Digital Business an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ). «Es ist ein Muskelspiel zwischen Amerika und China.» Das sehe man auch an der Argumentation der Abgeordneten; Tiktok wird als Gefahr für die nationale Sicherheit Amerikas positioniert. Kommt der US-Kongress damit durch, wären 170 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner von Tiktok abgeschnitten.
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Ein Tiktok-Verbot ist technisch machbar, indem die App aus den App-Stores entfernt und ihre Nutzung in den USA blockiert wird. Allerdings könnten technikaffine Nutzer mit Mitteln wie VPNs (virtuellen privaten Netzwerken) solche Einschränkungen umgehen, was die vollständige Durchsetzung des Verbots erschwert.
Könnte die Schweiz oder Europa mitziehen?
Kommt der US-Kongress damit durch, schafft er einen Präzedenzfall. Er dient dann als Vorlage für andere Länder, die auch Tiktok einschränken möchten. Auch die Schweiz und Europa? Nappo erachtet dies als unwahrscheinlich. «Europa ist interessanterweise weniger besorgt als Amerika», sagt er.
Interessant sei aber, dass die Tech-Welt nicht mehr unberührbar ist. Lange war die Entwicklung neuer Technologien ungebremst. In den letzten Jahren senkten sich aber immer mehr politische Schranken, an die sich Unternehmen halten müssen. So auch das vor Kurzem ausgegebene KI-Reglement des Europaparlaments.
Was sind die amerikanischen Bedenken gegenüber Tiktok?
Der US-Kongress sorgt sich vor allem über die Daten. Der Verdacht: Bytedance steckt mit der chinesischen Regierung unter einer Decke – und gibt die sensiblen Nutzerdaten von Millionen amerikanischer Bürgerinnen und Bürger an die Regierung in Peking weiter. Kein unbegründeter Verdacht.
Tiktok behauptete jahrelang, sämtliche Daten von amerikanischen und europäischen Userinnen in Amerika und Singapur zu speichern. Doch Enthüllungen von «Buzzfeed» im Sommer 2022 brachten ans Tageslicht, dass sämtliche Daten auch in China eingesehen werden können. «Alles kann in China eingesehen werden», sagte ein Tiktok-Mitarbeiter in einem Meeting im September 2021. Das Gespräch wurde geleakt, die Audioaufzeichnungen liegen «Buzzfeed» vor.
Die Datendiskussion beschäftigt Katarina Stanoevska von der Universität St. Gallen. «Da die Nutzerdaten auf chinesischen Servern landen und die Behörden dort sich Zugriff verschaffen können, besteht die Gefahr, dass Daten missbraucht werden, um sowohl chinesische als auch andere Nutzer zu tracken.» Nur eine Tiktok-Sperre könne die Gefahr des Missbrauchs durch chinesische Behörden komplett abwehren, sagte Stanoevska im letzten Jahr zu Blick.
Wer könnte an Tiktok interessiert sein?
«Das ist die 1-Million-Dollar-Frage», meint Nappo. Denn die Ausgangslage ist nicht einfach. «Am Schluss müsste es einer der grossen Player sein, aber A) wird es teuer und B) übernimmt man auch die geopolitische Situation.» Der neue Besitzer wäre damit auch mit den Spannungen zwischen China und den USA konfrontiert. «Wer das wollen soll – ausser vielleicht Elon Musk – ist mir unklar», so der Experte.
Und dann gibt es noch die US-Wettbewerbskommission. Nappo sagt: «Es gibt sicher Plattformen, die nahe am Geschäftsmodell sind, jedoch stellt sich da die Frage, ob diese aufgrund möglichen Marktvorteiles vom Kartellrecht ausgebremst werden.» Vielen wäre dieser Kauf zu heikel und das Interesse wohl doch eher schmal.
Immerhin: Der ehemalige US-Finanzminister Steven Mnuchin (61) hat Interesse bekundet. Er möchte eine Investorengruppe für den Kauf von Tiktok zusammenstellen. Wer dabei sein soll, ist noch nicht bekannt.