Drei von vier Hotels in Personalnot
Jetzt sollen Quereinsteiger die Hotellerie retten

In den Hotels fehlt es an Réceptionisten, Köchinnen und Hilfskräften. Die Hotellerie lanciert jetzt ein Quereinsteigerprogramm. In einem einjährigen Crashkurs werden Branchenfremde für die Hotellerie fit gemacht. Ob das im Kampf gegen den Fachkräftemangel reicht?
Publiziert: 12.04.2022 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2022 um 12:11 Uhr
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In den Küchen ...
Foto: Zvg
Sarah Frattaroli

50 Bewerbungen hat der Zürcher Hotelier Verein (ZHV) erwartet. 400 sind eingegangen. Die Krux: Es sind keine Bewerbungen ausgebildeter Réceptionisten oder gelernter Köchinnen, sondern solche von Polymechanikern, Müttern nach der Babypause und arbeitslosen Endfünfzigern. Klassische Quereinsteiger.

«Wir waren vom Interesse überwältigt», sagt Martin von Moos (58), Präsident des ZHV, Direktor zweier Hotels am Zürichsee und Mitinitiant des neuen Quereinsteigerprogramms in der Hotellerie. Seine Branche leidet unter akutem Fachkräftemangel. Drei von vier Schweizer Hotels geben in einer aktuellen Umfrage des Dachverbands Hotelleriesuisse an, dass sie nicht genügend Personal finden.

Jetzt, da die Reiselust nach zwei Jahren Pandemie und Ferien zu Hause wieder anziehe, stünden die Hoteliers gerne in den Startlöchern, um Massen von Touristen zu empfangen. Doch vielen fehlt das Personal. Restaurants schränken ihre Öffnungszeiten ein, die Wartezeiten an der Réception verlängern sich.

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«Nur ein Tropfen auf den heissen Stein»

Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, haben der ZHV und Hotelleriesuisse nun erstmals ein Quereinsteigerprogramm lanciert. Branchenfremde sollen in einem einjährigen Crashkurs zu Réceptionisten und Köchinnen ausgebildet werden. Ähnlich wie bei einer Berufslehre sind sie in einem Hotel angestellt und besuchen berufsbegleitend die Schule – die Hotelfachschule EHL in Passugg GR oder in Thun BE.

In diesen Tagen starten die ersten Quereinsteiger ihre Ausbildung, mehr als ein Dutzend Zürcher Hotels machen mit. «Das mag erst mal nur ein Tropfen auf den heissen Stein sein», gibt ZHV-Präsident von Moos zu. «Aber wir hoffen, das Projekt später schweizweit auszurollen.»

Wer das Quereinsteigerprogramm abschliesst, erhält ein Attest, soll damit bessere Berufsaussichten in der Hotellerie haben. Das Programm wird teilweise als «Schnellbleiche» kritisiert – auch innerhalb der Branche. «Es kommt natürlich nicht an eine abgeschlossene Berufslehre heran», gibt von Moos zu bedenken. Doch die Zahl der Lernenden in der Hotellerie geht seit Jahren zurück.

Hälfte wechselt die Branche

«Die Lage ist prekär und hat sich durch Corona noch zugespitzt», sagt dazu Beatrice Schweighauser (47), Prorektorin der EHL in Passugg. Schnupperlehren im Hotel waren zwei Jahre lang fast unmöglich. Jedes dritte Hotel bildet weniger Lernende aus als noch vor der Krise.

Hinzu kommt, dass viele junge Berufsleute der Branche nach wenigen Jahren den Rücken kehren. Gemäss einem Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat vier Jahre nach dem Abschluss die Hälfte der Lehrabgänger die Branche gewechselt.

Beatrice Schweighauser sieht das auch als Kompliment: «Unsere jungen Leute sind andernorts gefragt. Sie bringen den Dienstleistungsgedanken mit und arbeiten nicht nur von morgens um 8 bis abends um 17 Uhr – sondern dann, wenn es sie braucht.»

Rund 4000 Franken Lohn

Dass die Leute abwandern, hat aber auch mit den Arbeitsbedingungen in der Hotellerie zu tun. Die Mindestlöhne liegen gemäss Gesamtarbeitsvertrag je nach Lehrabschluss zwischen 3800 und 4300 Franken. Die Arbeitszeiten sind mit Wochenendeinsätzen und Zimmerstunden hart und werden oft kurzfristig umgestellt, zum Beispiel wetterbedingt. Je nach Hotel hausen die Angestellten in heruntergekommenen Personalunterkünften unter beengten Verhältnissen. Hinzu kommen seit zwei Jahren Sorgen um Lockdowns und Jobverlust.

An diesen Stellschrauben müssten die Hoteliers nun dringend drehen, analysiert Beatrice Schweighauser. «Sie müssen kreativ werden. Es gibt zum Beispiel Hotels, die mit einer 4-Tage-Woche experimentieren.» Auch attraktive Mitarbeiterprogramme, etwa Spa-Gratiseintritte nicht nur beim eigenen Arbeitgeber, sondern in sämtlichen Hotels der Region, seien gerade für junge Berufsleute ausschlaggebend.

Bereits in Hälfte aller Stellenanzeigen nach digitalen Kompetenzen gefragt

Wer beim Job digitale Berührungsängste hat, dürfte es beim Jobwechsel künftig schwerer haben. «In Zukunft werden Fähigkeiten im Umgang mit neuen digitalen Technologien immer häufiger von Arbeitnehmenden erwartet», sagt Marcel Keller, Länderchef Adecco Schweiz. Der Stellenvermittler hat Schweizer Stelleninserate über die letzten sieben Jahre untersucht. Resultat: Fast die Hälfte aller Inserate verlangt heute mindestens eine digitale Kompetenz. Oft seien es aber mehrere unterschiedliche Kompetenzen gleichzeitig, die vorausgesetzt werden. Häufig verlangen Firmen digitale Grundkompetenzen, Content-Management-Fähigkeiten und Fertigkeiten im Netzwerk-, System- und Datenmanagement. Keller: «Verfügen Arbeitskräfte über besonders nachgefragte digitale Kompetenzen, dann stehen ihnen die Türen zum Arbeitsmarkt weit offen.»

Wer beim Job digitale Berührungsängste hat, dürfte es beim Jobwechsel künftig schwerer haben. «In Zukunft werden Fähigkeiten im Umgang mit neuen digitalen Technologien immer häufiger von Arbeitnehmenden erwartet», sagt Marcel Keller, Länderchef Adecco Schweiz. Der Stellenvermittler hat Schweizer Stelleninserate über die letzten sieben Jahre untersucht. Resultat: Fast die Hälfte aller Inserate verlangt heute mindestens eine digitale Kompetenz. Oft seien es aber mehrere unterschiedliche Kompetenzen gleichzeitig, die vorausgesetzt werden. Häufig verlangen Firmen digitale Grundkompetenzen, Content-Management-Fähigkeiten und Fertigkeiten im Netzwerk-, System- und Datenmanagement. Keller: «Verfügen Arbeitskräfte über besonders nachgefragte digitale Kompetenzen, dann stehen ihnen die Türen zum Arbeitsmarkt weit offen.»

Auch Österreich wirbt um Fachkräfte

Das Loch mit Saisonniers aus dem Ausland zu stopfen, darf für Schweighauser nicht der erste Schritt sein. «Wir müssen im Inland zu unseren Fachkräften kommen.» Denn auch andernorts herrscht Fachkräftemangel, zum Beispiel in Österreich. Die Konkurrenz ums Personal wächst.

Schweighauser ist allerdings überzeugt, dass die Schweizer Hoteliers die Kurve kriegen. Dies, obwohl es heutzutage nicht mehr besonders en vogue ist, anderen zu dienen. «Aber es geht doch auch vielmehr darum, dem Gast ein Erlebnis zu bieten.» Auch der Zürcher Hotelier von Moos bereut seine Berufswahl nicht: «Kein Tag ist wie der andere. Die Aufgabe ist abwechslungsreich.» Dass das Quereinsteigerprogramm auf derartiges Interesse gestossen ist, beweist für ihn, dass er damit nicht alleine ist.

Er hat vor kurzem eine Quereinsteigerin für die Réception in seinem Hotel Belvoir in Rüschlikon ZH eingestellt. «Mitte April nimmt sie ihre Ausbildung in Angriff.» Damit steht sie in einem Jahr bereit, um den Fachkräftemangel in der Hotellerie zu mindern.

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